Hans Fritz

Aufbruch in eine ferne fremde Welt


Die Trodewils sind keine Vorzeigefamilie aus dem Bilderbuch, aber guter Durchschnitt. Anselm arbeitet als Techniker in einer Energiezentrale. Alma ist Dozentin für Erdkunde an einer Akademie. Die beiden halbwüchsigen Kinder, Ken und Brenda, bereiten sich auf eine Berufslehre vor. Das alles spielt sich auf dem mehr als erdfernen Planeten Tambosirk ab, und zwar in der Stadt Moghsunda. Während die Trodewils sich voller Stolz Moghsundaner nennen dürfen, ist es mit dem Geburtsort der Vorfahren so eine Sache. Der heisst nämlich Mercurion. Nein, es ist keine Stadt auf dem Tambosirk, es war ein Raumschiff, das vor etlichen Jahrzehnten auf der Erde, im Westen der USA, gestartet war. Die Grosseltern der Trodewils gehörten zur sechsten Generation der im Mercurion reisenden Kosmonauten. Sie gehörten zu den Überglücklichen, die die Landung auf dem Tambosirk erleben durften.

 

Tambosirk

Kurz vor der Landung werden beim Umkreisen des Planeten Messungen vorgenommen. Tambosirk erweist sich um ein Viertel grösser als die Erde. Ein Mond fehlt. Die durchschnittliche Entfernung zum Zentralgestirn, das so in etwa die Grösse der ‘irdischen’ Sonne haben dürfte, beträgt rund 200 Millionen Kilometer.

Vier Kontinente sind durch grosse Wasserflächen voneinander getrennt. Der kleinste Kontinent, der in seinen Dimensionen dem irdischen Australien gleicht, scheint komplett bewaldet zu sein.

An beiden Polkappen wird eine dicke Schicht aus bläulich schimmerndem Eis sichtbar.

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Die harte Landung gelingt nach ein paar missglückten Ansätzen auf dem ‘Grossen Kontinent’, der dereinst den wohlklingenden Namen Terragrande tragen wird.

Die Atmosphäre gleicht annähernd der der Erde, sodass vorsorglich angelegte Schutzkleidung entbehrlich wird. Es sei vorausgeschickt, dass die Temperaturen auf Tambosirk je nach Entfernung vom Äquator minus 20 bis plus 40 Grad Celsius betragen.

Schon bei ihrem ersten Erkundungsgang stossen Neusiedler auf eine Kombination aus einem aus Bildersammlungen bekannten Hundertwasserhaus und einem Termitenhügel. Die Eroberer vermuten menschenähnliche Wesen als Bewohner. Wie sich bald herausstellt, handelt es sich bei den Bauten jedoch um Brutstätten von krähengrossen Geflügelten. Es sind weder Vögel noch Insekten, wie sie auf der Erde vorkommen. Markant sind der grünlich schimmernde Panzer, schaufelartige Vorderfüsse, krallenbewehrte Hinterfüsse und riesige Augen. Ein tiefer Brummton scheint das Mittel der Kommunikation zu sein. Das Flugmuster erinnert an das irdischer Spechte. Die Kreaturen könnten hier am Ende einer Evolution stehen, vorausgesetzt, dass nicht noch höher entwickelte entdeckt werden.

Aus einem dichten Gebüsch mit spitzdornigen Stauden kriechen kurzbeinige, scheinbar augenlose Tiere von gut einem halben Meter Länge hervor. Sie tragen ein tief schwarzes Schuppenkleid.

Ein lichter Wald fällt durch mannshohe Sträucher mit derben Blättern auf. Bäume scheinen nicht höher als 30 Meter zu werden. Ein offensichtlich immergrüner Baum trägt dickfleischige Blätter und sternförmige, tiefblaue Blüten. Manche Zweige sind mit rötlichem Staub überzogen.

Schliesslich sind die Erdlinge sichtlich erleichtert, als sie nicht auf menschenähnliche Wesen stossen. Niemand hatte ihnen gesagt, wie sie sich solchen Wesen gegenüber verhalten sollten. Die mitgeführten Strahlenwaffen müssen also hoffentlich nie zum Einsatz kommen.

Aus einem Weiher werden von Gewässerkundlern Kleinstlebewesen gefiltert, bizarre Formen, die an lebende Kristalldrusen erinnern und sich beim Antippen rasch fortbewegen.

Alles in allem scheint es auf dem Tambosirk keine Artenvielfalt zu geben, wie sie einst für die Erde charakteristisch war. Die Forschung hat es daher einfach mit dem Katalogisieren, zumal die elektronische Datenerfassung noch schier unerreichbares Traumland ist.

Seen mit maximalen Tiefen von circa hundert Metern durchsetzen steppenähnliche Gebiete. Am Rande eines solchen Gewässers schwimmt Bimsstein, was andeuten mag, dass vor nicht allzu langer Zeit ein heftiger Vulkanausbruch stattfand. Ein paar Wochen später wird ein Grosses Binnenmeer mit einer geschätzten Tiefe von 2000 Metern aufgespürt.

Stark zerklüftete Gebirge ragen bis 6000 Meter auf. Am Fuss des höchsten Gipfels wird unter einer Schicht lockeren Gesteins ein Material entdeckt, das seiner Konsistenz nach zwischen Braunkohle und Torf eingeordnet werden könnte. Später wird es als Brennmaterial der Wahl bei der Metallschmelze verwendet.

Gerade die Andersartigkeit der Pflanzenwelt stellt die Verantwortlichen für die Versorgung der Menschen mit vitaminreicher Nahrung vor grosse Probleme. Welche Gewächse sind nun essbar, welche nicht? Eine im Raumschiff mitgeführte Apparatur analysiert Pflanzenteile auf ihre Giftigkeit, ausgehend von bekannten irdischen Giften. Restrisiken sind nicht auszuschliessen. Die häufig vorkommenden birnenähnlichen, blaubereiften Früchte erweisen sich als essbar und wahrscheinlich frei von gesundheitsschädigenden Stoffen. Feingeriebene olivgrüne Wurzelstöcke liefern eine delikate Würze, in kleinen Mengen ungiftig, in grossen Mengen möglicherweise tödlich. Viele analysierte Stoffe lassen sich nicht in bekannte irdische ‘Klassen’ einordnen.

Auf Tambosirk sollten weder Pflanzen noch Tiere irdischen Ursprungs angesiedelt werden - mit einer streng kontrollierten Ausnahme. Aus dem Mercurion geborgene Saatgerste wird in einem Versuchsgelände ausgesät. Das bald üppig wachsende Getreide wird jedoch von einem Rostpilz befallen und muss verbrannt werden. Zeichen des Pilzbefalls sind bereits an den Sträuchern eines benachbarten Hains auszumachen.

Oberflächliche Lagerstätten von Eisenerz, Mangan, Zinn, Kupfer und Gold sind reichlich vorhanden und zum Greifen nah. Fehlende  Anzeichen eines Abbaus mögen beweisen, dass auf Tambosirk keine Hominiden existieren. Ein erster Schritt zum Einstieg in eine moderne Gesellschaft ist die Herstellung von Werkzeug aus Metall. Dann werden Münzen als wichtiges Attribut einer Zivilisation geprägt.

Erschütterungen in unregelmässigen zeitlichen Abständen erschweren den Aufbau provisorischer Behausungen. Es müssen gegeneinander verschiebbare Platten für den Unterbau gefertigt werden. Auslöser der leichten Beben sind offenbar Bewegungen von Lavamassen im Innern des Planeten. Die Ursache hierzu bleibt erst einmal unklar. «Endogener Mondersatz», meint ein Tambosirkologe lapidar. Fachleute mögen das zu deuten wissen.

 

Erdkunde (Intermezzo)

Die kürzlich im wahrsten Sinne aus dem Boden gestampfte ‘Akademie der Wissenschaften’ ruft die ‘Arbeitsgemeinschaft Erde’ ins Leben. Es sollen Vorträge und Seminare stattfinden. Die Begeisterung der Tambosirker hierfür hält sich in Grenzen. Immerhin wird die als Ziel gesetzte Mindestgrenze von zwanzig Teilnehmern um zwei überschritten.

Die erste Lektion befasst sich mit den Gründen, die zum irdischen Exodus führten. «Alles was wir hierüber wissen, fusst auf den Aufzeichnungen einiger Kosmonauten», beginnt die Dozentin in der Gestalt von Alma Trodewil ihr Kolleg. «Der Planet Erde durchlief eine Periode zunehmender Trockenheit bei allmählich ansteigenden Temperaturen. Sporadisch auftretende Starkniederschläge förderten eher die Bodenerosion als das dringendst benötigte Nass für die ausgetrockneten Böden zu liefern. Die Versteppung üppig grüner Paradiese schritt unaufhaltsam fort. Es gab keine grossen Kriege, aber zunehmend lokale Konflikte, die mit Waffengewalt ausgetragen wurden. Was bei den meisten Wissenschaftlern als abstruseste Utopie aller Zeiten galt, wurde so um das Erdenjahr 2400 Wirklichkeit. 260 Personen stellten sich für das Wahnsinnsprojekt ‘Tambosirk’ zur Verfügung, wohl wissend, dass erst spätere Generationen das Unternehmen mit dem Betreten jenes fernen Planeten abschliessen könnten. Mit einem Hundertstel der Lichtgeschwindigkeit reisen bedeutet schon viel. Was die Astronomie damals über den Tambosirk auf rätselhafte Weise herausgefunden haben will, hat sich glücklicherweise in vielen Punkten bestätigt. Aber gibt es dort so etwas wie Menschen? Wenn ja, wie werden sie den Erdenmenschen begegnen? Wird es zu unvermeidbaren Konflikten kommen? Das blieb offen». Eine Schülerin möchte wissen, ob es bezüglich Kosmonauten eine Art von Ausleseverfahren gab. Die Dozentin erklärt, darüber sei nichts Genaues überliefert worden. Hierzu Befragte, die es hätten wissen können, hätten geschwiegen oder sich zumindest äusserst wortkarg gegeben.


Wieder Tambosirk

Beim Bau eines Bahntunnels stösst ein Sondierungstrupp auf ein offenbar weit verzweigtes Höhlensystem. Eine Grotte wird von bläulichem Licht schwach erhellt. Wie sich später herausstellen wird, besteht die Lichtquelle aus fluoreszierenden Algen, die die feuchten Wände überziehen. Ein paar Skelettfragmente im lehmigen Boden weisen auf Tiere von Wolfsgrösse hin, die die Höhle wahrscheinlich als Zufluchtsstätte während eines Naturereignisses gewählt hatten.

Allen Anstrengungen zum Trotz bleibt das Leben auf Tambosirk voller Mühe und Entbehrungen. Die Technik ist nach drei Jahrhunderten der Besiedlung auf einem Stand, der die Mitte des irdischen neunzehnten Jahrhunderts geprägt hat. Lange scheitern die Menschen an der Idee eines Schnelldurchlaufs irdischer Errungenschaften. Erst gut tausend Jahre später wird ein Höchststand von Kultur und Wissenschaft erreicht.

Auch auf dem Tambosirk bedarf es bestimmter Formen einer Regierung. Nach dem unrühmlichen Ende mehrerer Regionalregierungen hat sich im Jahr 142 der Besiedlung das Triumvirat ‘MacKelly, Wong, Altenbauer’ im ‘Hexagon der Staatsführung’ auf dem Hauptkontinent etabliert. Dem Triumvirat sind 23 Ministerien zugeordnet, deren Amtsinhaber vom Volk per Akklamation gewählt werden.

Die Mehrheit der Bevölkerung ist konfessionsfrei. Angehörige der zahlreichen Religionsrichtungen und -gemeinschaften versammeln sich in flachen, unscheinbaren Gebäuden, die je nach Glaubensrichtung, durch eine besondere Form des Haupttors gekennzeichnet sind.

 

Eine Rückkehr

Nach einem gewaltigen Vulkanausbruch auf der dem Waldkontinent vorgelagerten Katoka-Insel, herrscht während sieben Monaten Finsternis über weiten Teilen des Planeten. Die Folge sind ein ausbleibender Sommer und massive Ernteausfälle. Mit gigantischen, von Gasturbinen angetriebenen Staubfängern versuchen Pioniere Asche aus der Atmosphäre zu filtern. Aber ein sichtbarer Erfolg bleibt aus. Die fatale Lage der Tambosirken wird noch verschärft durch immer wieder aufflammende Rebellenkämpfe und Ausstände nach Jahrhunderten ‘relativen’ Friedens. Die Städte sind hoffnungslos verschuldet. Auf dem Waldkontinent heimische, sperlingsgrosse Spinnenähnliche sind vom Menschen auf die anderen Kontinente verschleppt worden, wo sie sich rasch ausbreiten. Mit ihrem äusserst schmerzhaften Biss werden diverse Krankheiten übertragen, die noch nicht therapierbar sind.

In einem Arbeitskreis namhafter Astronomen wird allen Ernstes diskutiert, in einem Mehrgenerationenunternehmen Menschen zurück zur Erde zu befördern. Der Planet sei kürzlich wiederentdeckt und als noch bewohnbar erachtet worden. Ein geeignetes Raumschiff müsste allerdings her, konstruiert nach den archivierten Bauplänen des längst verschrotteten Mercurion. Eine Hundertschaft gewiefter Techniker macht sich sofort an die Arbeit. Ein leitender Ingenieur ist Nachfahre der Trodewils. Drei Jahre später ist Mercurion II startbereit.

Der Start ist geglückt. Sekunden später ist das Raumschiff den Blicken der Zurückgebliebenen entschwunden. Die Reise zur Erde hat begonnen.
 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.12.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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