Monika Litschko

Aufregung im Weihnachtsland

Da war sie wieder, die Vorweihnachtszeit. Die Menschen auf der Erde schmückten ihre Häuser und auch die Städte sorgten für das richtige Weihnachtsambiente, mit bunten Lichtern über den Straßen. Geschäfte zauberten mit künstlichen Bäumen und bunten Kugeln eine weihnachtliche Atmosphäre, in der Hoffnung, dass die Menschen ihre Liebsten reichlich beschenken würden.

Der Weihnachtsmann, der aus dem Weihnachtsland alles mit einem Fernglas beobachtete, wurde wütend. Wo war er nur geblieben, der Sinn der Weihnacht? Die Wünsche der Kinder wurden immer größer und maßloser. Auch die Erwachsenen beschenkten sich mit allerlei Schnickschnack, den sie nach den Festtagen in eine Ecke legten und vergaßen. Er richtete sein Glas auf ein großes Haus und beobachtete den kleinen Jonas, der eifrig an seinem Wunschzettel bastelte.

Lieber Weihnachtsmann liest er, ich wünsche mir dringend ein neues Videospiel und das supergeile Fahrrad, das ich in dem Laden an der Ecke gesehen habe. Ach ja, und einen Computer. Jeder hat doch einen, nur ich nicht. Der kleine Jonas schrieb noch ein paar Kleinigkeiten auf, und steckte seinen Brief in ein Kuvert.

Der Weihnachtsmann drehte sich ein wenig zur Seite und suchte mit seinem Fernglas die anderen Häuser ab. In einem kleinen Zimmer saßen drei Kinder auf ihren Betten und auch hier schrieb jedes Kind an seinem Wunschzettel. Petra wünschte sich endlich eine moderne Winterjacke und ein paar neue Stiefel, schließlich war sie dreizehn Jahre und trug immer die aufgetragene Garderobe ihrer Cousine. Anna, ihre kleinere Schwester, wünschte sich ein Tagebuch und eine wunderschöne Puppenstube. Jens, der Jüngste, wünschte sich sehnlichst eine Eisenbahn. Im Nebenzimmer saßen ihre Eltern mit traurigen Gesichtern, da sie wussten, dass sie ihren Kindern keinen dieser Wünsche erfüllen konnten. Vor langer Zeit hatte der Vater seine Arbeit verloren und trotz aller Anstrengungen keine neue Beschäftigung mehr gefunden. Das Geld, welches sie monatlich bekamen, war so knapp, dass es ihnen kaum zum Leben reichte. Um den Kindern Weihnachtswünsche zu erfüllen, reichte es erst recht nicht. Wie jedes Jahr würde ein Verwandter ihnen Spielsachen und Kleidung schenken, die nicht mehr gebraucht wurden. Der Mann und die Frau würden sie neu herrichten und ihren Kindern unter den Baum legen, und wie jedes Jahr würden ihre enttäuschten Gesichter ihnen tief ins Herz schneiden.

Der Weihnachtsmann schüttelte den Kopf. „Wie ungerecht alles auf der Erde geworden ist“, sagte er zu seiner Frau, „und es wird jedes Jahr schlimmer.“ Er erzählte ihr, was er gesehen und gelesen hatte.
Die Weihnachtsfrau war erschüttert. „Wenn jeder, der ein bisschen mehr hat, etwas geben würde, gäbe es keine enttäuschten Gesichter“, sagte sie traurig. „Früher hatte Weihnachten noch einen anderen Sinn. Da waren es die Kleinigkeiten, die glücklich machten, oder das Zusammensein. Die Menschen spürten, nein, sie fühlten tiefen Frieden in sich und ehrliche Dankbarkeit. Seufzend nahm der Weihnachtsmann seine Frau in den Arm. „So ist es“, murmelte er.

Schon lange stellte das Weihnachtsland keine Spielsachen mehr her. Wie die Wünsche immer größer wurden und die Menschen immer mehr wollten, schloss das Weihnachtsland seine Spielzeugfabriken. Auch der Weihnachtsbäcker backte keine Lebkuchen mehr und der wunderbare Duft der Weihnachtsplätzchen verflog so langsam. Elfen und Trolle vermissten das Fertigstellen der vielen Spielsachen und vertrieben sich ihre Zeit, in dem sie sich Geschichten über die frühere Weihnacht erzählten. Über dem ganzen Weihnachtsland lag eine stille Traurigkeit. Die Menschen auf der Erde bemerkten dieses gar nicht, und so wurde der Sinn der Weihnacht irgendwann fast vergessen.

„Ich habe da eine Idee“, sagte die Weihnachtsfrau. „Warum sprichst du nicht mit dem Geist der Weihnacht? Euch fällt bestimmt etwas ein, denn irgendwie müssen wir die Menschen doch wachrütteln.“

Der Weihnachtsmann fand die Idee seiner Frau so gut, dass er Pips den Weihnachtstroll zu sich rief. „Pips spanne Rudolph, Dasher, Dancer, Prancer, Vixem, Comet, Cupid, Donner und Blitz vor meinen Schlitten, denn ich will dem Geist der Weihnacht einen Besuch abstatten.“

Olive, die friedlich vor dem großen Kamin lag und verschlafen blinzelte, spitzte die Öhrchen. „Ach Olive“, sagte der Weihnachtsmann und streichelt sie liebevoll, „du musst hierbleiben, denn du bist ein Hund und kein Rentier.“ Olive sprang an ihm hoch und rannte aufgeregt zur Tür. Der Weihnachtsmann seufzte ergeben. „Also gut, aber du sitzt im Schlitten, verstanden?“

Der Geist der Weihnacht hörte schon von Weitem die Hufe der Rentiere. „Na, wenn der unangemeldet kommt, ist etwas im Busch“, sagte er zu dem Weihnachtsengel, der auch mit einem Problem bei ihm aufgetaucht war. „Am besten hörst dir auch an, was unser lieber Weihnachtsmann auf dem Herzen hat.“

Nachdem sie sich begrüßt hatten, erzählt der Weihnachtsmann auch gleich von dem großen Problem, welches ihn so erzürnte. Der Geist der Weihnacht hörte aufmerksam zu und schüttelte aufgebracht sein schneeweißes Haar, aus dem kleine Eiskristalle sanft zu Boden rieselten. „Das ist ein großes Problem“, sagte er nachdenklich. Der Weihnachtsengel mischte sich ein und rief erzürnt: „Auch ich bin wegen der Menschen hier, denn sie vergessen uns allmählich!“ Die Tür flog auf und das Weihnachtsgefühl betrat den Raum. „Dann ist es an der Zeit, dass wir etwas unternehmen“, sagte es mit fester Stimme. „Ich habe gehört, was ihr gesagt habt. Mein Lichtkranz der Gefühle wird jedes Jahr schwächer, und wenn wir jetzt nicht überlegen, was wir zu tun gedenken, werde ich erlöschen.“

Der Weihnachtsengel breitete traurig seine Flüge aus. Weiße Federn schwebten zu Boden und zerfielen zu schwarzen Staub. „So geht es mir auch“, sagte er geknickt.

Der Geist der Weihnacht sah ein, dass wieder Ordnung im Weihnachtsland geschaffen werden musste, sonst würde es sich hinter einer Wand aus Eis verstecken und irgendwann ganz auflösen. Damit verblasste auch die Sehnsucht der Kinder. Erinnerungen und Gedanken würden dem Wandel der Zeit erliegen und schnell würde die Weihnacht eine Legende sein. Konsumfest statt Weihnacht, das durfte nicht sein.

Eine ganze Nacht lang überlegten der Weihnachtsmann, das Weihnachtsgefühl, der Weihnachtsengel und der Geist der Weihnacht, wie sie den Menschen ein Schnippchen schlagen konnten. Im Morgengrauen stand ihre Entscheidung fest und gemeinsam traten sie an den Rand des Weihnachtslandes, um ihre Gedanken wahr werden zu lassen.

Auf der Erde war es noch ganz still. Die Menschen schliefen tief und fest in ihren Betten. Kinder träumten von Geschenken und bunten Süßigkeiten. Die Erwachsenen von Schmuck und Geld. So bekam niemand mit, wie sich sämtliche Geschäfte in Luft auflösten. Bis auf ein paar kleine Geschäfte verschwand alles. Geschenke, die schon verpackt in den Schränken lagen, zerplatzten wie Seifenblasen und hinterließen einen leeren Raum.

Der Schreck am Morgen war groß. Mütter, Väter, Onkel und Tanten, sogar Omas und Opas suchten vergeblich nach Kaufhäusern und Spielzeugläden. Sie jammerten und klagten. Was war nur passiert? Sie diskutierten, philosophierten und kamen doch zu keinem Ergebnis. Was sollte denn nun aus dem Weihnachtsfest werden? So ganz ohne Geschenke konnten sie doch nicht feiern. Wie würden sie dastehen, vor den Verwandten und Bekannten? Was sagten sie ihren Kindern? Sie rauften sich die Haare und bettelten Gott an ihnen zu helfen. Manche versuchten mit dem Versprechen, sich zu ändern, wenn die alte Ordnung wieder hergestellt würde, zu bestechen. Doch es half alles nichts, es blieb, wie es war. Es traf wohlhabende Menschen sehr, mit leeren Händen das Weihnachtsfest feiern zu müssen. Hatten sie doch hin und wieder durchblicken lassen, was der Weihnachtsmann so bringen würde. Und nun?

Die aber, die Angst vor den traurigen Augen ihrer Kinder hatten, atmeten erleichtert auf. Jetzt waren endlich alle gleich. Arm und Reich gab es nicht mehr. Als die Menschen endlich verstanden hatten, dass sich nichts ändern würde an ihrer aller Misere geschah doch noch etwas.

Väter aller Schichten bauten Puppenstuben, frischten alte Spielsachen auf und es machte ihnen tatsächlich großen Spaß. Mütter entdeckten, dass es erfüllend sein konnte, ein Kleid zu nähen oder einen Pullover zu stricken. Es wurde gemalt, gestrickt, gebastelt, genäht und gehämmert. Mit jedem Handgriff wuchs ihre Freude. Sie würden das Weihnachtsfest retten, und je mehr sie erschufen, umso friedvoller wurden sie. Viele Menschen hatten wieder ein Gesprächsthema und erkannten, dass sie die Sicht auf die wahren Dinge des Lebens verloren hatten.

Und die Kinder? Das tägliche Gehämmer und Geklopfe, die Heimlichtuerei und das verschmitzte Lächeln ihrer Eltern steckte sie an. Sie malten und bastelten. Versteckten ihre Geschenke und neckten ihre neugierigen Eltern. Plätzchenduft drang aus allen Ritzen der Häuser und zog durch die leuchtenden Straßen. Waren sie glücklich, die Menschen? Ja, das waren sie, und auch das Weihnachtsfest hatte wieder einen Platz in ihren Herzen eingenommen. Einen ganz Besonderen sogar.

Mit den echten weihnachtlichen Gefühlen, die in den Herzen der Menschen neu erwacht waren, erstrahlte der Lichtkranz des Weihnachtsgefühls im neuen Glanz. Die Flügel des Weihnachtsengels füllten sich mit neuen Federn und der Geist der Weihnacht funkelte in einem Licht aus Eiskristallen.

Der Weihnachtsmann rieb er sich die Hände. „Das hätten wir geschafft“, sagte er lächelnd. „Dann werde ich das Weihnachtsland wieder öffnen und da unten noch ein bisschen helfen. Rudolph, Dasher, Dancer, Prancer, Vixem, Comet, Cupid, Donner und Blitz!“ Schnaufend und mit weißem Atem, der aus ihren Nüstern drang, hielten die Rentiere vor seinen Füßen. „So, meine Lieben, es wartet Arbeit auf uns. Ab zum Weihnachtsland und dann zu den Menschen.“

Olive schafft es gerade noch, in den Schlitten zu springen und die Himmelfahrt zur Erde begann. Wie der Blitz, mit einem Schweif aus Sternenstaub, zogen die Rentiere den Schlitten durch den sternenklaren Winterhimmel.  Ob ihr es glaubt oder nicht, aber nach langer, langer Zeit, haben viele Kinder den Schlitten am Himmel wieder entdeckt, und mit Ehrfurcht den Weihnachtsmann erwartet.

„Etwas fehlt noch“, sagte der Geist der Weihnacht. Er beugte sich über das Weihnachtsland und schüttelte kräftig sein schneeweißes Haar, aus dem glitzernde Eiskristalle rieselten, die sich sogleich in dicke Schneeflocken verwandelten und ihre Reise zur Erde antraten.  „Das ist mein Geschenk an euch“, flüsterte er zufrieden und schüttelte weiter sein schneeweißes Haar.

Das Weihnachtsgefühl zog sich zu den Menschen zurück und der Weihnachtsengel spendete seinen Segen den Menschen, die ihn ehrlich erbaten. „So soll die Weihnachtszeit sein“, murmelte er selig. „Frohe Weihnachten, allen Menschen auf Erden.“

Im Weihnachtsland wurde emsig gearbeitet. Elfen und Trolle fertigten wieder jede Menge Spielzeug und auch der Weihnachtsbäcker, backte seine herrlich duftenden Plätzchen. Der Weihnachtsmann und die Weihnachtsfrau, halfen, so gut sie konnten, denn schließlich mussten bis zum Heiligen Abend alle Geschenke fertig sein. 

© Monika Litschko

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Eine Flut von Sinneseindrücken wird in den Gedichten von Gerhild Decker heraufbeschworen. Die Themenvielfalt ist so bunt, wie sie nur von einem intensiven Leben vorgegeben werden kann. Die Autorin ist mit der Realität fest verwurzelt, wagt aber immer wieder Ausflüge in die Welt der Träume und Wünsche. Kleinigkeiten, die an ihrem Wegrand auftauchen, schenkt sie genauso Beachtung, wie den grossen Zielen, die jeder Mensch in sich trägt.

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