Hans Raasch

Ein Leben nach Weihnachten

Am Kirchweihtag hatte Julia, die Gans vom Grindnerbauern noch einmal Glück gehabt. Weil sie gerade beim Grasen auf der Heide war, musste ein anderes Exemplar daran glauben und als Kirdaganserl ihr Leben lassen. Dieses schmeckte vorzüglich und so kam in der Familienrunde die Frage auf, ob zum ersten Weihnachtsfeiertag wohl wieder so ein Federvieh mit dampfenden Kartoffelknödeln und festlich duftendem Blaukraut auf dem Speiseplan stehen könnte.
„Na, i bin eigntlich dagegn“, meinte die kleine Ria, “de dean ma ojwai so leid, wenn´s gschlacht wern. Lasst´ses doch lebn!“

Sie bekam sofortigen Rückhalt von Oma Maria:
„Und de Sauarbat mit´m ausnehma und rupfn, de hab i sowieso so dick und ojwai muaß i macha. A schena Rähbratn dats doch a.“
„Aussadem muaß des net ojwai z´Kiada und am Martinidag und am ersten Feiadag a Ganslbratn sei. Des dat`s doch a amoj ohne Fleisch!“
Die Jungbäurin und Mama von Ria trug sich schon länger mit dem Gedanken, fleischlos zu leben und so bildete sich eine einheitliche weibliche Fraktion für das Weiterleben vom Ganserl Julia. Den Mannsbildern auf dem Grindnerhof war dies überhaupt nicht recht. Und deshalb verkündete der Jungbauer entrüstet:
„Jetzt heats aba auf mit dem Blädsinn. Mia fuadan a gsund´s Bioviech daher, vakafn´s a ganz guat und es wojts uns dazua ham, dass mia owaj a Greaglump und Keandl owehaun, des konns doch net sei. Z´Weihnachtn gibt’s a Ganserl, punktum!“
„Wenn kirchliche Fastndag angsagt san, sag i ja nix dagegn. De hoitn mia ja imma ei, ansonstn miassn mia ganz schee hielanga und schindn, da braucht´s a gscheits Essn.“
So einen langen Satz hatte der Altbauer Hannes schon lange nicht mehr von sich gegeben, deshalb wunderte es alle am Tisch, als er noch meinte:
„Und de Kinda brauchan tierische Eiweiße, des is ganz wissenschaftlich erwiesn und gwies! I hab´s im Kurier glesn.“
Die Runde löste sich auf und die 9-jährige Ria lief zum Ganserl Julia, Sie wollte das Tier nur streicheln und sich selbst trösten.
„Des lass i net zua, dass du abg´murkst werst, dass das woasst. Da hab i scho a no a Wörterl mitz´redn.”
Dicke Tränen kullerten von Rias Wangen, wenn sie nur an die Gräueltat des Abmetzgerns von dem Gänslein dachte. Deshalb bildete sie mit der Junggans ab jetzt ein verschworenes Team. Wann immer sich das Teenie beim Ganserl blicken ließ, watschelte diese schnatternd hinter ihr her. Sogar kleine Kunststücke übten die Beiden ein. Letztlich konnte Julia sogar einige Zentimeter über ein hingehaltenes Stockerl hüpfen und dass sie hinter Ria daher lief als wäre diese ihre Gänsemama – das war für sie selbstverständlich. Wenn Ria die Gans nur dazu bringen könnte, das verräterische Geschnatter bleiben zu lassen, wäre schon viel gewonnen.

Aber: kommt Zeit – kommt Rat. Am Heiligbarbaratag kam die rettende Idee. Ria verband den Gänseschnabel erst minutenweise mit einem Band. Julia hatte viel Zutrauen zu dem Mädchen - sie ließ es sich gefallen.
Die erwachsene Männerwelt auf dem Grindnerhof dachte wohl, dass sie sich beim Thema „Weihnachtsessen“ durchgesetzt hatten. Und weil die zwei kleinen Brüder von Ria lieber eine Pizza XXL vom Italiener auf dem Tisch sehen wollten, mischten sie sich in die Diskussion um das weihnachtliche Festessen gar nicht erst ein. Außerdem – die beiden Kleinen waren keine Verräter, welche ihre große Schwester hinhängen würden, obwohl sie die Künste mit der Julia schon recht komisch fanden. Einen Vorteil hatte Ria`s Mühe aber doch, denn schon bald nachdem Nikolaus gekommen war, unterließ die junge Gans das Schnattern mithilfe des Bandes vollständig, solange Ria in ihrer Gesellschaft war.
„So“, dachte Ria, “jetzt kon eigntlich nix mehr basiern“.

Das Weihnachtsfest näherte sich mit Riesenschritten. In der Küche roch es nach Zimtsternen und allerlei anderen Plätzchen, die Christstollen eiferten mit Rumkugeln darüber, wer das intensivste Duftaroma abzugeben hatte. Sogar die roten Äpfel hatten durch Omas Hilfe einen weihnachtlichen Glanz angenommen.
Eines Tages kurz vor dem Heiligen Abend, als Ria gerade aus der Schule kam, sah sie einen großen Zuber mit Brühwasser auf dem Herd stehen. Ihr Papa, der Jungbauer Jackl war ausstaffiert mit einer riesigen Gummischürze und gleichfarbigen Stiefeln. Der Wetzstab und ein nicht zu klein geratenes Messer überzeugten das Mädel, dass hier unmittelbare Gefahr drohe. Deshalb war jetzt größte Eile angesagt. Als Jackl im Stall und später auf dem Hof nach der Gans suchte, war diese spurlos verschwunden. Es war wie verhext, das Federvieh war nicht mehr aufzufinden. Nach einiger Zeit gab der Vater auf:
„De hat woj da Fux ghoit, des Luada. Jetzt kennt´s oiss wieda wegramma, es gibt koa Gans des Weihnachtn.“
„Dann gibt´s woi doch an Rähbratn des Jahr?“

Sicherheitshalber hielt das Mädchen Julia noch bis zum Heiligen Abend versteckt, bevor sie sich traute, das Tier wieder frei zu lassen und als Jackl das Ganserl so hinter seiner Tochter daherwatscheln sah, ging im ein Licht auf. Letztlich siegte aber doch seine Liebe zum Töchterlein:
„Deafst as b´hoitn, des Ganserl, Ria. I mach´s wia da amerikanische Präsident mit´m Truthahn – i schenk ihr s´Leben.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.12.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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