Sabrina Osmers

Mein erster Drachenflug

Mit klopfenden Herzen legte ich die Schutzkleidung an. Seit ich ein kleines Mädchen war, bewunderte ich die Reiter in Lederrüstung, wie sie auf ihren Drachen durch die Lüfte glitten und wollte so sein wie sie. Es gab nur ein Problem, Frauen durften nicht fliegen. Davon ließ ich mich allerdings nicht abhalten. Meine Mutter sagte immer, ich war eine Kämpferin, so hat es mich Blut, Schweiß und Tränen gekostet, doch jetzt war ich fast am Ziel. Mit diesem Flug würde ich allen beweisen, dass Frauen das Zeug zum Fliegen hatten und meinen Traum verwirklichen.

 

Alle Blicke waren auf mich gerichtet, als ich aus der kleinen Hütte hinaus trat. Mit erhobenen Kopf schritt ich zwischen den finster dreinblickenden Fliegern hindurch und sah jedem Einzelnen in die Augen.

Die Schuppen des Drachens schimmerten in einem dunklen Violett. Wenn ich es schaffte, ihn zu reiten, dann wäre er für immer mir. Natürlich wusste ich, dass sie mir kein einfaches Tier geben würden. Den Männern passte es gar nicht, dass ich die Grundausbildung geschafft hatte. Diese hatten sie mir sogar besonders schwer gemacht, wodurch ich mich jetzt allerdings nur noch sicherer fühlte. Nichts konnte mich aufhalten.

Ich ging frontal auf den Drachen zu, sodass er mich in Ruhe begutachten konnte. Etwa einen Meter vor ihm blieb ich stehen und streckte meine Hand aus. Dabei sah ich dem Tier tief in die Augen und versuchte, meine Nervosität mit einem Lächeln zu unterdrücken. Ich stand da ohne, dass etwas passierte. Wenn ich jedoch jetzt aufgab, war das jahrelange Training umsonst gewesen. Dann würde mich nie wieder jemand fliegen lassen. Tränen stiegen mir in die Augen.

„Ich heiße Mila und ich würde gerne auf dir reiten“, sagte ich leise. Drachen hatten ein ausgezeichnetes Gehör und ich war mir sicher, dass er es gehört hatte. Starr stand ich da und blinzelte die Tränen weg. Auf einmal spürte ich die warmen Nüstern an meiner Hand.

„Hallo Mila. Ich bin Violett“, hallte eine Stimme in meinem Kopf. Normalerweise redeten Drachen nicht mit fremden Reitern. Es dauerte, bis sie eine Bindung eingingen. Ich sah es als ein gutes Zeichen.

„Violett, das passt sehr gut zu dir“, antwortete ich ihr mit einem Lächeln. Violett legte sich auf den Boden, sodass ich leichter aufsitzen konnte. Ein Murmeln ging durch die Reihen der Reiter, als ich mich auf den Sattel schwang. Sobald ich saß, breitete mein Drache die Flügel aus und hob ab. Wie eine Rakete schossen wir in den Himmel empor. Der Wind peitschte mir ins Gesicht und nahm mir die Luft zum Atmen.

„Entspann dich, Mila und genieße die Aussicht“, sagte Violett in meinem Kopf. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich die Augen geschlossen hatte. Als ich sie öffnete, stockte mir erneut der Atem. Diesmal allerdings durch die einzigartige Aussicht.

Um uns herum waren nichts als seichte Wolkenschwaden und die Weite des Himmels. Am Horizont erstreckte sich ein Berg und reflektierte das Licht der Mittagssonne. Unser Dorf ließ sich nur erahnen. Die Bäume des Waldes fügten sich zu einer riesigen, grünen Fläche zusammen, die nur von den Biegungen des Flusses durchbrochen wurde.

„Und?“, fragte Violett.

„Es ist einfach beschreibbar. So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen. Und du hast diesen Anblick jeden Tag.“

„Du jetzt auch“, antwortete Violett liebevoll.

„Nur, wenn ich den ersten Flug überstehe und die anderen überzeuge. Die haben etwas gegen Frauen, die fliegen.“

„Dann bist du die Erste. Ich spüre, dass du das schaffst. Außerdem bist du ja nicht allein, du hast mich. Und ich verrate dir mal ein kleines Geheimnis, ich kann Männer nicht besonders leiden.“

Wir mussten beide lachen.

Auf einmal machte Violett eine scharfe Kurve. Ich war so abgelenkt gewesen, dass ich den wilden Drachen zu spät bemerkte. Zum Glück hatte Violett noch reagiert, doch der Drache machte kehrt und kam auf uns zugeschossen.

„Halt dich fest!“, rief Violett mir zu, doch es war zu spät. Sie machte bereits eine Rolle und ich verlor den Halt.

Mein eigenes Kreischen drang an meine Ohren. Es gab nichts mehr, an dem ich mich hätte festhalten können. Violett kämpfe gegen den wilden Drachen und ich stürzte dem Erdboden entgegen. Immer schneller und schneller riss mich die Schwerkraft nach unten. Mein wie wild pochendes Herz, dröhnte in meinem Kopf und das Adrenalin schoss durch meine Venen. Die Bäume wurden immer größer. Ich war verloren. Ich würde sterben. Der Aufprall würde mich töten. So einen Sturz hatte noch kein Mann überlebt.

Allerdings war ich ja kein Mann. Ein winziger Hoffnungsschimmer durchfuhr mich. Vielleicht war mein Leben doch noch nicht zu Ende.

„Violett!“, rief ich aus voller Kehle. „Violett!“

Ich wusste nicht, ob sie mich hören konnte und die telepathische Kommunikation funktionierte noch nicht in beide Richtungen. Ein paar Sekunden vergingen ohne, dass etwas geschah.

Ich schloss die Augen und fing an zu Schluchzen. Ich war dem Tode geweiht. All die schönen Momente meines Lebens zogen noch einmal an mir vorbei.

Früher als gedacht, stieß ich mit etwas Hartem zusammen, doch der Aufprall war längst nicht so schlimm, wie erwartet. Mir taten zwar sämtliche Gliedmaßen weh, aber offensichtlich war ich noch am Leben. Was war geschehen?

Verwirrt öffnete ich die Augen.

„Halt dich fest, wir landen“, hörte ich Violett sagen. Mein Drache hatte mich aufgefangen und nun setzte sie zur Landung an.

Ich lag zwischen ihrem Hals und dem Sattel und schaffte es gerade so, mich irgendwo festzuklammern.

„Es tut mir leid. Als ich bemerkte, dass du fällst, bin ich dir sofort hinterher. Ich hätte nicht gegen den anderen Drachen kämpfen sollen, aber mein Temperament ist mit mir durchgegangen. Ich hatte so Angst um dich.“

In Violetts Stimme war ein tiefer Schwall von Sorge und Trauer zu hören. Ich wusste, dass Drachen nur sehr selten ihre Emotionen zeigten. Ein Grund mehr für mich, ihr zu verzeihen.

„Es war ja nicht deine Schuld. Ich hätte mich besser festhalten sollen. Ist ja nochmal gut gegangen.“

„Beim nächsten Mal passiert uns sowas nicht.“

Violett landete sanft auf dem Boden und ich glitt von ihrem Rücken. Ich war zwar noch etwas wackelig auf den Beinen, doch ich hatte meinen ersten Flug überstanden. Jetzt war ich eine Fliegerin.

„Ich glaube, wir werden ein super Team“, sagte Violett stolz und stupste mich leicht mit ihrem Kopf an.

„Ja, das glaube ich auch“, erwiderte ich glücklich, während ich meine neue Freundin umarmte.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.12.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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