Kristina Korus

Hähnchenhorror

"Hilfe, wir werden gebraten!"

Sie kamen näher, immer näher und näher.
Die Schreie.
Oh, er konnte sie hören - sie waren ganz nah bei ihm!
Und dann sah er sie:
An einem großen Spieß aufgereihte, gerupfte Hähnchen, geköpft zudem.
Und sie liefen in seine Richtung und er konnte und konnte nicht weg, stand da wie angewurzelt!
Er sah, dass auch die Kopflosen verfolgt wurden: Das Gitter, welches sonst fest in seinem Wagen installiert war und die Hähnchen röstete, während diese sich am Spieß drehten, lief nun hinter ihnen her. Jedesmal, wenn es das Federvieh ohne Federn eingeholt hatte, schrien sie unisono auf:

"Hilfe, wir werden gebraten!"

Oh, hätte er sich doch nie diesen mobilen Grillhähnchenwagen gekauft! Es sollte doch der Start in ein neues Leben werden, ohne Chef-Stress - denn er konnte sich ja nicht selbst stressen, jetzt wo er sein eigener Boss war.
Stattdessen gab es Stress von Seiten der Hähnchen, die partout nicht gegrillt werden wollten.

-----

Er wachte auf, sein Schlafanzug war schweißtrunken und immer noch leicht beschwipst.
Um ihn herum war es finsterer als im Bauch eines Hähnchens, nur..... Was war das?!
Ängstlich versuchte er im Dunkeln auszumachen, woher dieses kriechende, dieses schabende, dieses schmatzende Geräusch kam. Es schien im ganzen Raum zu hängen.
Irgend etwas war auf seiner Bettdecke - er spürte es ganz deutlich: Etwas hüpfte auf seiner Decke entlang!
Da, bei den Füßen..!
Und es schienen immer mehr hüpfende Dinger auf seiner Zudecke sich Richtung seines Gesichts zu bewegen..... Irgendwie war er froh, dass es so dunkel war..... Das erste war jetzt schon bei seinem Bauch - und es kam immer näher!
Oh, er wollte aufwachen!
Doch stattdessen hörte er, wie sich ein ähnlich hüpfendes Geräusch von links und rechts näherte.
Er zog die Decke über den Kopf.......und wurde ihrer sofort wieder beraubt.
Jetzt spürte er die nackte, glitschige Haut von.... Hähnchen...... toten Hähnchen!!
' Was tot ist, bewegt sich nicht ' , dachte er und ihm fiel auf, dass er sich auch nicht mehr bewegen konnte. Er schluckte hart.
Die Hähnchen derweil schienen irgend etwas mit ihm vorzuhaben, denn er fühlte sich weg transportiert - getragen von federlosen, eiskalten Hähnchen. Außerhalb seines Bettchens war ihm auch recht kalt und er bekam eine Gänsehaut.
' Jetzt seh ich selbst fast aus wie ein gerupftes Hühnchen ' , dachte er sauer amüsiert, die tragische Ironie der Situation erkennend.
Gleich darauf wurde ihm jedoch wärmer als ihm lieb war:
Die Hähnchen fesselten ihn an die Röststange und drehten diese mit einer hämischen Befriedigung.
Oh, er würde nie wieder ein Solarium betreten! - Sollte er jemals wieder die Chance haben, in solch einen Sonnentempel hinein zu gehen.

Da fiel ihm etwas ein: Wieso hatte er eigentlich noch nicht um Hilfe gerufen?

"Hilfe, ich werde gebraten!" setzte er diesen Gedanken gleich in die Tat um.
- "Mmhhmmm! Ich rieche es, in der Tat!" kam es aus Richtung Tür. - Rettung nahte!

"Aber ich glaube", fuhr die Stimme fort, " ich glaube, du könntest noch etwas Basilikum vertragen, in der Tat."

Der fiese Köter vom Gourmet von nebenan hatte den Braten gerochen und leckte sich entzückt über die Schnauze.

Wieso konnte der auf einmal sprechen?
Zum Kuckuck, was sollte der ganze Spuk überhaupt!

Angesichts der sengenden Hitze, die ihn umgab, wünschte er sich nichts sehnlicher als einen großen, wahnsinnig großen Eisbecher.
Er stellte sich vor, wie er in ihn hineinsprang, sich labte an der erquickenden Kälte. Er träumte, wie seine Brandblasen verheilten und wie er mit einem Pinguin eine kalte Flosse auf die Eisscholle legte......

-----

"Da brat mir doch einer 'nen Storch!"

Bei dem Wort "brat" war er sofort wieder wach. - Wer hatte da eben gesprochen?!
Seine verkrusteten Augen lieferten seinem Gehirn nicht allzu viel zum Verarbeiten.
Er spürte nur, wie er von der Stange genommen und an die frische Luft transportiert wurde. Das Erste, was er sah, als seine Augen ihren Dienst vollständig wieder aufgenommen hatten, war ein Storch, der über ihn hinwegflog. Dieser zog eine Rauchfahne hinter sich her und wies auch sonst mehrere Bratspuren auf.
Vermutlich wollte er gen Norden, zum Kühlen.

"Nimm mich mit!" rief der Errettete.

Und siehe da!
Der Storch erhörte ihn und schwang sich vom Himmel herunter. Der von den Brathähnchen für immer Gezeichnete schwang sich auf seinen Rücken, welcher zunächst bedenklich schwankte. Doch dann schwenkte der Vogel seine Schwingen und erhob sich in die Lüfte.
Der ehemalige Besitzer eines Broilerwagens winkte mit seinem Taschentuch und freute sich auf den Tango mit einem Pinguin.

Der zentrale Satz "Hilfe, wir werden gebraten!" stammt aus irgendeinem Film… hm.. wie hieß der doch nur…. ich glaub es war ein russischer Märchenfilm… Na jedenfalls fand ich den Satz so cool, dass ich gleich mal ne Geschichte geschrieben habe.Kristina Korus, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.11.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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