Christiane Mielck-Retzdorff

Die geheimnisvolle Planetin

 

 

Schon als Knabe fühlte sich Oliver zum nächtlichen Himmel mit den vielen Sternen hingezogen. Seine Familie lebte etwas außerhalb der Großstadt Hamburg, so dass nachts die Beleuchtung auf den Straßen nicht so heftig war, dass diese das Licht der Sterne schluckte. Gerade während der dunklen Jahreszeit stand Oliver oft am Fenster und schaute stundenlang in den Himmel.

Als er alt genug war, bekam er von seinen Eltern einen Sternenatlas geschenkt. Schon bald konnte er jedes Sternbild benennen. Doch er wusste, dass er mit bloßem Auge nur wenige dieser Sonnen erkennen konnte. Also erweiterte er sein Wissen durch das Lesen von Fachliteratur. Irgendetwas im Weltall zog ihn magisch an.

Seine Schulkameraden hatten wenig Verständnis dafür, beschäftigten sich lieber mit Fußball und später dem anderen Geschlecht. Doch das störte Oliver nicht, denn er war beinahe besessen davon, das Universum zu erforschen. So bekam er von seinen Eltern zum 16. Geburtstag auch das ersehnte Teleskop.

Niemand wunderte es, dass Oliver nach dem erfolgreichen Abschluss des Gymnasiums Astronomie studierte. Begab und fleißig wie er war, ergänzte er dieses Fach noch um Astrophysik. Sein Leben bestand aus lernen und beobachten.

In einem der wenigen Momente von Freizeit lernte er Susanne kennen. Sie studierte Literaturwissenschaften und versank meistens in der Welt der Bücher, fremder Geschichten, magischen Erlebnissen. Doch nun saßen sie einander zufällig in einem überfüllten Café gegenüber. Beide verband, dass das Leben um sie herum wenig Bedeutung für sie hatte und sie die Gedanken des anderen gern teilten.

Auch Susanne fühlte sich zu den Sternen hingezogen, wobei deren Strahlen und die Weite des Universums ihre Phantasie beflügelte. Olivers Denken war sachlich, gestützt auf Berechnungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Trotzdem weigerte er sich nicht, Susannes versponnen Ideen ernst zu nehmen. So bekam seine streng logische Arbeit eine gewisse Leichtigkeit.

Beide wurden ein Paar, das dem anderen die Freiheit ließ, die meiste Zeit seinen eigenen Weg zu gehen. Oliver schloss zügig eine Doktorarbeit ab, während Susanne lieber las und sich ihren märchenhaften Träumen hingab. Ihr zur Liebe stimmte der Mann einer sehr romantischen Hochzeit mit anschließender Reise an mystische Orte in Schottland zu. Susanne war für ihn ein elfengleiches Wesen, das er vor der nüchternen Welt beschützen wollte. Ihr stets fröhlicher Geist, der ständig auf Entdeckungsreise war, zog ihn immer wieder in seinen Bann. Oliver liebte seine Frau aufrichtig.

Der mit summa cum laude promovierte Astronom wurde bald von der Fachwelt anerkannt, hielt hochgelobte Vorträge und durfte die leistungsstärksten Teleskope für seine Forschungen benutzen. Nach seiner Habilitation arbeitete an als Professor an der Universität. Das Ehepaar hatte sich früh entschieden, auf Kinder zu verzichten. Nachwuchs würde ihre Außergewöhnlichkeit nur stören.

Als Oliver mal wieder nach einer Geschäftsreise zu seiner Liebsten zurückkehrte, fand er diese vertieft in den Fantasieroman „Die Töchter der Elemente“. Dieses Buch nahm Susanne so gefangen, dass sie ständig darüber sprach. Ihren Mann interessierte die Handlung mehrheitlich, weil diese auf der Planetin Giaium spielte, von dem er ausgehen musste, dass sie entweder nicht existierte oder noch nicht entdeckt worden war. Sein sachlicher Verstand befahl ihm zwar, diese Planetin für eine Erfindung der Autorin zu halten, doch die zweifelsfreie Überzeugung seiner Frau, dass es diesen gibt, beeindruckte ihn.

Die Verfasserin des Romans war sehr öffentlichkeitsscheu, dabei hätte Susanne die Frau wenigstens einmal gern gesehen und sprechen gehört. Eines Abends berichtete sie Oliver voller Begeisterung, dass die Autorin sich bereitgefunden hatte, sich bei der Sendung „Das“ vom NDR vorzustellen. Den Beitrag hatte Susanne gerade gesehen und war empört darüber, dass die Moderatorin der Frau ganz offensichtlich nicht glaubte, dass die Geschichte von den Töchtern der Elemente der Schriftstellerin genau von diesen erzählt worden war. Die Gastgeberin wollte sogar von ihr wissen, wo denn diese mysteriöse Planetin Giaium zu finden sei, wobei sie hämisch grinste. Vollkommen unbeeindruckt antwortete die Autorin, er sei im Sternbild Delfin beheimatet. Von dem hatte die Moderatorin wohl noch nie etwas gehört, schaute verwirrt und ließ einen Beitrag über Astrologie einblenden. Susanne wusste aber, dass es dieses Sternbild gab, was Oliver auch gleich bestätigte.

Plötzlich und unerwartet erkrankte Susanne an einer seltenen Krankheit, die bisher immer zum Tod der Betroffenen geführt hatte. Die Ärzte waren ratlos und Oliver verzweifelt. Selbst wenn er die Astronomie, das Erforschen des Weltalls für seine Berufung hielt, zog ihm die Vorstellung von dem Verlust seiner Frau, ein Leben in der Tristes der Sachlichkeit, den Boden unter den Füßen weg.

Täglich verbrachte er viel Zeit bei ihr im Krankenhaus. Susanne ging es immer schlechter und die Hilflosigkeit, dieses mit ansehen zu müssen, raubte Oliver jede Kraft. Eines Tages bat seine Frau ihn mit schwacher Stimme, die Planetin Giaium zu finden. Sie war überzeugt davon, dass, wenn ihm dieses gelinge, sie von der magischen Kraft der Töchter der Elemente geheilt werden würde.

Olivers Augen füllten sich mit Tränen. Seine geliebte Susanne schöpfte Hoffnung aus ihrer Phantasie. Ihr fester Glaube daran, dass alles möglich sei, war unerschütterlich. Ihm wurde bewusst, dass selbst ihn diese Einstellung zu unerwarteten Erkenntnissen in der Astronomie geführt hatte. Gerade, wenn man die unerklärliche Unendlichkeit des Weltalls erforschte, durfte man keine Grenzen anerkennen. Also beschloss er nun, Giaium zu suchen und zu finden.

Wieder daheim und erfüllt von der Angst, seine Frau zu verlieren, erinnerte er sich plötzlich, dass die Autorin des Fantatsie-Romans „Die Töchter der Elemente“ in einer Fernsehsendung behauptet hatte, die Planetin Giaium wäre im Sternbild des Delphins zu finden. Diese schon mit bloßem Auge sichtbare Ansammlung von Sonnen war schon seit dem Altertum bekannt. Doch bisher konnte darin nur ein Planet gesichtet werden.

Oliver ging ans Fenster. Am winterlichen, wolkenlosen Nachthimmel konnte er das Sternbild Delphin erkennen. Er erinnerte sich an sein erstes Teleskop, welches ihm seine Eltern einst schenkten. Es stand seit Jahren unbeachtet auf dem Boden des Zimmers, als warte es geradezu darauf, endlich wieder seinen Zweck zu erfüllen. Oliver stellte es auf.

Wie so oft, wenn er das Universum beobachtete, zog ihn eine magische Kraft hinaus in die Unendlichkeit. Plötzlich meinte er, in dem mehr als hundert Lichtjahre entfernten Delphin einen dunklen Punkt vor einer der Sonnen zu erspähen. Kreiste dort oben Giaium? Ein Trugbild? Nein, Oliver was sich auf einmal ganz sicher, den Planten gefunden zu haben. Sein Körper erzitterte und ihn durchströmten Glückgefühle.

Doch dann besann sich der Mann darauf, Wissenschaftler zu sein. Bevor er seiner Susanne den Fund mitteilte, musste er ganz sicher sein. Dazu benötigte er ein sehr leistungsstarkes Teleskop. Das nächste befand sich auf der Kanareninsel La Palma. Dank seines international hervorragenden Rufs als Wissenschaftler würde ihm niemand den Zutritt zu der Anlage verwehren. Am nächsten Morgen buchte er einen Flug dorthin.

Vor der Abreise besuchte er seine Frau im Krankenhaus und konnte kaum glauben, dort von einem strahlenden Lächeln aus einem rosigen Gesicht empfangen zu werden. Susanne begrüßte ihn gleich mit den Worten, dass sie ihm unendlich dankbar sei, Giaium gefunden zu haben. Sie hatte spüren können, wie die Kraft in ihren Körper zurückgekehrt war. Bald wäre sie ganz geheilt und könnte nach Hause zurückkehren.

Alle wissenschaftlichen Zweifel von Oliver verflogen beim Anblick und den Worten seiner Frau. Ja, er hatte die unbekannte Planetin, die Heimat der Töchter der Elemente gefunden. Eines weiteren Beweises bedurfte es nicht. Auch wenn das alles jeder Logik widersprach, war er sich ganz sicher, dass ihm noch ein langes, glückliches Leben mit Susanne bevorstand.

 

 

 

 

 

 

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Die Töchter der Elemente: Teil 1 - Der Aufbruch von Christiane Mielck-Retzdorff



Der Fantasie-Roman „Die Töchter der Elemente“ handelt von den Erlebnissen der vier jungen Magierinnen auf einer fernen Planetin. Die jungen Frauen müssen sich nach Jahren der Isolation zwischen den menschenähnlichen Mapas und anderen Wesen erst zurecht finden. Doch das Böse greift nach ihnen und ihren neuen Freunden. Sie müssen ihre Kräfte bündeln, um das Böse zu vertreiben. Das wird ein Abenteuer voller Gefahren, Herausforderungen und verwirrten Gefühlen.

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