Unser Billy, das Wunder aus dem Tierheim, war von uns gegangen. Schon Wochen vorher konnten mein Mann und ich beobachten, wie seine Lebensfreude schwand. Also waren wir auf den endgültigen Abschied vorbereitet, doch der Kummer zerriss uns das Herz.
Grundsätzlich tröste ich mich stets beim Verlust eines Hundes, was immerhin schon viermal vorgekommen war, damit, dass irgendwo schon ein anderes Tier darauf wartet, bei uns ein neues Heim zu finden. Deswegen dauerte es in der Vergangenheit auch nur wenige Tage, bis ein neuer Hausgenosse unser Leben bereicherte. Dabei hatten wir nie genaue Vorstellungen, was das für ein Hund es sein sollte. Wir wollten uns nicht schon bei der Suche Grenzen setzen, die uns vielleicht von der Anschaffung genau des richtigen Tieres abhielten.
Aber diesmal zögerte besonders ich, die schließlich die meisten Spaziergänge mit dem Hund unternahm, denn der kleine, nur 7 kg schwere Billy hinterließ große Fußstapfen. Er sah niedlich aus und haarte nicht, war unkompliziert um Umgang, sehr brav und konnte fast immer ohne Leine ausgeführt werden. Anderen Hunden gegenüber benahm er sich artgerecht. Streit mit uns und auch sonst vermied er. Würde ich nicht jeden Nachfolger an ihm messen? Doch ein Leben ohne Hund war für mich unvorstellbar.
Bei einem Friseurtermin berichtete mir die Friseurin, dass auch ihr Hund gestorben war und sie bereits einen Welpen gleicher Rasse bei ebay-Kleinanzeigen gefunden hatte. Obwohl ich auf keinen Fall einen Welpen wollte, weil ich mir nicht zutraute, einen Hund artgerecht zu erziehen, zückte sie gleich ihr Handy, um mir zu zeigen, wie umfangreich das Angebot war. Ich versprach mich bei ebay-Kleinanzeigen zuhause umzusehen.
Am nächsten Tag traute ich mich daran. Tatsächlich suchten dort etliche Hunde ein neues Heim. Die Flut an Bildern überforderte mich geradezu. Doch langsam wurde es Zeit, mein hundeloses Dasein zu beenden. Also bekundete ich per Mail Interesse an einem der Tiere, aber es war bereits vermittelt. Die gleiche Information erhielt ich bezüglich des zweiten Kandidaten.
Zufällig waren beide Hunde zur Vermittlung in der Hand derselben Frau aus dem nahen Hamburg gewesen. Diese zeigte Mitgefühl für unsere Enttäuschung wegen der Fehlversuche einen Hund bei uns aufzunehmen und informierte uns ungefragt darüber, dass bei ihr wieder zwei Hunde eintreffen würden, von denen vielleicht einer für uns geeignet sein könnte. Ankommen sollten diese am Samstagabend, und am Sonntagmittag dürften wir sie begutachten.
Also fuhren wir zu einem abgelegenen Ort zwischen Wiesen, wo die Frau einen kleinen Ponyhof betrieb. Dort tummelten sich etliche Menschen, Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Schnell stellte mir die Frau einen kleinen Rüden vor, doch der Funke sprang nicht über. Mein Mann saß derweil auf einer Bank und beobachtete das Treiben.
Dabei fiel ihm ein recht hübscher Hund mit honigfarbenem Fell auf, der unsicher an der Leine zwischen zwei Menschen stand. Er machte mich auf diesen aufmerksam, und ich ging hin. Zwar ließ sich das Tier willig streicheln, doch machte den Eindruck, mit der Situation vollkommen überfordert zu sein.
Warum ich mich schon beim ersten Kontakt für diesen Hund entschied, weiß allein Gott. Zuerst wollte ich mit ihm das Areal verlassen, einen kleinen Spaziergang entlang der Wiesen unternehmen. Aber der Hund weigerte sich strikt mitzukommen. Kraftvoll musste ich ihn mit mir ziehen. Als wir endlich auf dem Weg waren, beschnüffelte und beäugte er neugierig seine Umgebung, ging willig mit.
Obwohl mein Mann wegen dessen offensichtlicher Ablehnung unserer Bemühungen skeptisch war, entschied ich mich, den, im Vergleich zu Billy recht großen Rüden mitzunehmen. Wenn erst einmal Tatsachen geschaffen waren, würden wir schon mit ihm zurechtkommen.
Der Name des Rüden war Bennett. Er war kastriert, drei Jahre alt, geimpft, geschippt und ein Straßenhund aus Rumänien, gerade am Vortag nach einer langen Autofahrt angekommen. Eigentlich wollte ich keinen Hund aus Osteuropa oder einem anderen Land, denn auch in Deutschland gibt es genug Tiere ohne ein Zuhause. Welche Probleme wie Unverträglichkeit von Hundefutter bis Aggressionen selbst gegen den Besitzern gegenüber bei diesen Hunden auftreten können, hatte ich schon gehört. Aber nun hatte ich eben den Entschluss gefasst, diesen Kandidaten bei uns aufzunehmen.
Die Vermittlerin warnte uns gleich, dass diese Tiere anfangs oft weglaufen. Also sollte Bennett selbst im Haus und Garten ständig ein Geschirr mit Laufleine tragen. Ebenso notwendig sei ein Halsband mit den Kontaktdaten der Besitzer. Also kauften wir diese Utensilien. Zusätzlich mussten wir noch einen Bogen ausfüllen, auf dem unsere Lebensumstände abgefragt wurden. Und eine Gebühr von 350,- € wurde auch fällig.
Wir besitzen einen Geländewagen mit großzügigem Abteil für Hunde. Doch Bennett war nicht bereit, ins Auto zu steigen. Also musste mein Mann ihn heben. Endlich drinnen, legte er sich schicksalsergeben hin. Gefolgt von einer anderen Frau vom Tierschutz, die sich vergewissern sollte, dass Bennett auch angemessen untergebracht war, traten wir die Heimreise an.
Da wir immer Hunde hatten, ist der Garten unseres Einfamilienhauses mit einem hohen Zaun umgeben, unter dessen Pforten allerdings der kleine Billy hindurch konnte, was er selten bis nie ausnutzte. Unser Wagen stand in der offenen Garage, alle Pforten waren zu, aber Bennett wollte nicht aussteigen. Irgendwann traute er sich doch.
Unsicher inspizierte er den Garten, doch es dauerte eine Weile, bis wir ihn überzeugen konnten, auch das Haus zu betreten. Wir wollten Bennett erstmal in Ruhe lassen. Es war warm, also setzten die Tierschützerin und ich uns auf die Bank vor der Haustür und tranken einen Saft. Dann fuhr sie, zufrieden mit ihrer Inspektion, ab. Mein Mann hatte genug von der ganzen Aufregung und entschloss sich einen Freund in Hamburg zu besuchen.
Nun hatte Bennett also ein neues Zuhause. Bald bemerkte ich, dass ihn bei der Wärme das Geschirr am Körper störte. Das konnte ich gut verstehen, weil ich auch alles hasse, was mich beengt. Und dann musste er auch noch ständig diese lange Laufleine hinter sich her ziehen. Das gefiel mir nicht, also entfernte ich das Geschirr samt Laufleine. Er trug nur noch sein Halsband.
Irgendwann entdeckte ich, dass der Hund sich einen unserer Schuhe geklaut hatte und damit auf dem Rasen spielte. Sowas wollte ich gar nicht erst dulden. Willig gab er den Schuh her, doch ich gab ihm trotzdem einen kleinen Klapps, damit er solche Aktionen zukünftig unterlässt. Obwohl ich ihm bestimmt nicht wehgetan hatte, er auch nicht quiekte, wollte er unbedingt weg und versuchte sich unter der Gartenpforte hindurch zu quetschen. Als er stecken blieb, fürchtete ich schon, die Feuerwehr rufen zu müssen, damit diese das schwere Metalltor anhob, um Bennett zu befreien. Doch dann flutschte er doch hindurch und war weg.
Ihm zu Fuß zu verfolgen, wäre ein unsinniges Unterfangen gewesen, aber unser einziges Auto war mit meinem Mann in Hamburg. Also ließ ich die Pforte offen stehen und bat jeden vorbeikommenden Spaziergänger nach Bennett Ausschau zu halten. Mehr konnte ich nicht tun. Doch aus irgendeinem unerfindlichen Grund machte ich mir keine ernsthaften Sorgen.
Trotzdem rief ich meinen Mann an, bei dessen Handy aber nur die Mailbox ansprang. Ich hinterließ die Nachricht, dass Bennett weggelaufen war. Dann setzte ich mich bei offener Terrassentür vor den Fernseher. Entweder der Hund kehrte freiwillig zurück oder unser gemeinsames Leben war beendet, bevor es überhaupt begonnen hatte. Zwar trug er das Halsband mit unseren Kontaktdaten, doch ihn einzufangen wäre bestimmt schwer. Als Straßenhund war er gewohnt, sich allein durchzuschlagen.
Endlich kehrte mein Mann heim. Als er zu mir ins Wohnzimmer kam, schaute er durch die offene Terrassentür und fragte, warum ich behauptete, der Hund sei weg. Er läge doch im Garten auf dem Rasen. Bennett war zurückgekehrt, kam nun auch ins Wohnzimmer, freute sich, uns zu sehen. Auch wir empfingen ihn liebevoll. Bis heute ist unser Hund selbst bei offenen Gartenpforten nie wieder weggelaufen.
Am nächsten Morgen erwachte ich früh, so dass ich schon kurz nach sechs Uhr mit Bennett spazieren ging. Zu dieser frühen Stunde ist es sehr ruhig in unserer Wohngegend. Ich wählte den Weg entlang einer Spielstraße, die ein Knick von einer großen Wiese trennte. Der Hund, den ich an der Leine führte, ging brav neben mir her. Nur wenige Autos waren in weiter Ferne zu hören. Warum sollte ich Bennett, den ich für sehr klug hielt, nicht trauen? Ich schreite lieber ungehindert voran, anstatt ständig stehen bleiben zu müssen, wenn mein Begleiter schnüffelt oder seine Geschäfte verrichtet. Also löste ich die Leine und unser Hausgenosse blieb ständig in meiner Nähe. Das machte mich glücklich und stärkte meine Überzeugung, dass Bennett mich und meinen Mann als sein neues Rudel angenommen hatte.
Er kommt ja aus Rumänien, und Rumänisch beherrsche ich nicht. Schon immer redete ich mit unseren Hunden wie mit Menschen in vollständigen Sätzen. Das behielt ich auch bei Bennett bei. Wenn er sich, typisch Straßenhund, an den Mülltonnen der Nachbarn zu schaffen machte, bat ich ihn einfach, dieses zu unterlassen. Erstaunlicherweise verstand er mich und gehorchte sogar. Dieses bestätigte mir, dass Hunde über die telepathische Fähigkeit verfügen, uns auch ohne Worte zu verstehen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass nur, wer die Freiheit hat zu gehen, mit seinem Bleiben das in ihn gesetzte Vertrauen beweisen kann. Selbst wenn ich anfangs diese Überzeugung in Zweifel zog, weil sie auch den Mut erfordert, das Verlassenwerden in Kauf zu nehmen, und man sie als leichtfertig bezeichnen kann, enttäuschte mich Bennett nicht. Mittlerweile gehe ich meistens ohne Halsband und Leine mit ihm spazieren. Ich lasse ihn frei und ausgelassen über Wiesen toben. Er versteht sich prächtig mit seinen Artgenossen und spielt gern mit ihnen.
Aber ich wurde auch schon von einer Hundebesitzerin als verantwortungslos beschimpft, weil Bennett ohne mich eine Wohnstraße überquerte. Es war weit und breit kein Auto zu sehen oder zu hören. Gerade ein ehemaliger Straßenhund muss doch gelernt haben, auf den Verkehr zu achten. Warum also soll ich ihn maßregeln, wenn überhaupt keine Gefahr droht? Damit würde ich ihm doch abgewöhnen, selbst aufmerksam zu sein.
Aus Bennett ist mittlerweile ein sehr stattlicher Kerl geworden, mit dem wir täglich mindestens zwei Stunden spazieren gehen. Das fördert auch unsere Kondition. Zusätzlich kämpfen wir mit ihm um sein Stoffspielzeug, wobei er herausfordernd knurrt. Inzwischen hat der Hund aber auch gelernt, es nach einigem Bitten an uns abzugeben. Seine Aufforderungen zum Spielen und selbst unwegsame Pfade in der Natur zu bewältigen, wirkt wie ein Jungbrunnen auf mich.
Aber natürlich gibt es mit Bennett auch Schwierigkeiten. Zwar sprang er nach einiger Ermunterung anfangs freiwillig ins Auto, aber nun lehnt er dieses strikt ab. Ihm scheint sein neues Zuhause so gut zu gefallen, dass er es unter keinen Umständen verlassen möchte. Die Umgebung kennt er inzwischen so gut, dass er problemlos zu unserem Haus zurückfinden würde. Aber woher soll er wissen, wohin eine Autofahrt ihn bringt? Mit so einem Gefährt wurde er einst transportiert, nachdem er eingefangen worden war. Später brachte ihn solches in eine unbekannte Zukunft nach Deutschland. Da ist noch einige Überzeugungsarbeit von uns gefordert, um mit Bennett zu reisen.
Drei seiner Vorgänger haarten nicht, doch nun kämpft die gewissenhafte Hausfrau täglich gegen Bennetts haarige Hinterlassenschaften. Ich befürchte, im Frühjahr, wenn er sein Winterfell verliert, wird dieses eine regelrechte Schlacht. Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben.
Abschließend sehe ich mich verpflichte, davor zu warnen, unserem Umgang mit Bennett nachzueifern. Vermutlich hatten wir nur Glück, erneut einen Hausgenossen gefunden zu haben, der nicht rebellisch ist, sondern uns gefallen möchte. Auch Hunde besitzen sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Die einen brauchen eine starke, dominante Hand, die anderen freuen sich, brav zu sein.
Gerade Hundebesitzer, die zum ersten Mal mit so einem wolfsähnlichen Tier umgehen, sollten sich kein Beispiel an uns nehmen. Und auch in der Großstadt ist es sinnvoller, dem Hund deutlich zu zeigen, wie er sich verhalten soll. Vor allem Welpen müssen erstmal lernen, welche Gefahren ihnen drohen.
Dieses ist eben nur meine Geschichte von Bennett, den Klugheit und Erfahrungen auszeichnen. Sie darf nicht auf andere Menschen oder Hunde übertragen werden. Aber vielleicht regt sie die Besitzer gerade von ehemaligen Straßenhunden zum Nachdenken an.
Über 7 Monate ist Bennett nun bei uns, beliebt bei allen Menschen und Hunden, die wir treffen. Er verhält sich klug und umsichtig, lässt sich gern auch von Fremden streicheln und begegnet Artgenossen anfänglich mit Zurückhaltung. Meistens gehorcht er vorbildlich. Wer hätte je gedacht, dass wir eines Tages von anderen Leute beneidet werden wegen eines Straßenhundes aus Rumänien, unserem wunderbaren Bennett.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.01.2019.
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von Christiane Mielck-Retzdorff
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