Claudia Savelsberg

Der kleine Hund aus Plüsch

Zu ihrem achten Geburtstag bekam Gabriele einen kleinen Hund aus Plüsch geschenkt. Sie war fürchterlich enttäuscht; denn sie hatte sich einen richtigen lebenden Hund gewünscht. Als Kind konnte sie ja nicht ahnen, welche Verpflichtungen damit verbunden waren, aber die Mutter erklärte es ihr liebevoll und kindgerecht.

Den kleinen Hund aus Plüsch setzte Gabriele auf den Nachttisch neben ihrem Bett. Er sah so niedlich aus mit seinen kleinen schwarzen Knopfaugen und dem hellen Fell. Und er hatte so eine hübsche Knollennase. Sie nannte ihn „Bello“. Abends legte sie ihn neben sich auf ihr Kopfkissen und kuschelte sich an ihn. Wenn sie traurig war, erzählte sie ihm von ihren Sorgen. Sie war sicher, dass er sie verstand. Dann konnte sie beruhigt einschlafen und drückte ihn an sich.

Gabrieles Mutter war eine fürsorgliche und liebevolle Frau. Wenn ihre Tochter krank war, dann „behandelte“ sie Bello gleich mit, um ihrem Kind die Angst zu nehmen. Als Gabriele Fieber hatte, machte die Mutter ihr kalte Wadenwickel. Natürlich bekam Bello auch Wadenwickel. Wenn die Mutter eine kleine Wunde an Gabrieles Hand mit einem Pflaster verarztete, dann bekam auch Bello ein kleines Plaster auf seine Pfoten. Einmal schmierte Gabriele die kleine Knollennase von Bello mit einer Salbe ein, weil ihre Mutter dies auch bei gemachte hatte bei einem Sonnenbrand auf der Nase. Bello wurde mit seiner eingeschmierten Knollennase in die Waschmaschine gesteckt, und Gabriele regte sich fürchterlich auf. Abends saß er dann wieder auf ihrem Nachttisch. Bello war gerettet.

Als Gabriele in die Pubertät kam, wurde Bello in eine Kommode verbannt. Es wäre ihr peinlich gewesen, wenn ihre Freunde einen kleinen Hund aus Plüsch auf ihrem Nachttisch gesehen hätten. Sie war ja kein Kind mehr. Als sie sich um eine Lehrstelle bewarb und zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, steckte sie Bello allerdings in ihre große Handtasche. Er sollte ihr Glück bringen. Was der kleine Hund aus Plüsch auch tat; denn Gabriele bekam den Ausbildungsplatz. Fortan saß Bello wieder auf ihrem Nachttisch.

Gabriele war mittlerweile eine erwachsene Frau, die ihr Leben meisterte. Bello lag wieder in der Kommode. Manchmal wollte Gabriele den alten Hund aus Plüsch in den Müll werfen. Aber sie konnte es nicht, weil sie mit ihm Erinnerungen an eine glückliche Kindheit verband. Dann schaute sie ihn an, und wenn sein Fell sehr eingestaubt war, dann kam er einfach in die Waschmaschine.

Gabriele heiratete und bekam eine Tocchter, die auf den Namen Marie getauft wurde. Marie spielte gerne mit dem alten Hund aus Plüsch. Sie liebte diesen kleinen Hund, obwohl sie auch andere Spielzeuge hatte, die vielleicht moderner waren als dieser Hund aus Plüsch. Bello saß fortan auf dem Nachttisch von Marie.

Marie lag im Bett. Gabriele hatte ihre Tochter zudeckt und löschte das Licht. Aus der Tür des Kinderzimmers blickte sie kurz zurück. Marie hatte den kleinen Hund aus Plüsch in ihre Arme gedrückt, und dann hörte Gabriele ihre Tochter sagen: „Mutti sagt, dass du Bello heißt. Mutti sagt, dass du alles verstehst, was ich dir sage. Ich finde dich ganz toll und ich hab' dich lieb.“ Ganz leise schloß Gabriele die Tür zum Kinderzimmer. Der kleine Hund aus Plüsch wirkte auch in der zweiten Generation noch Wunder.

Gabriele war jetzt 75 Jahre alt und seit Jahren Witwe. Ihre Tochter, die keine Kinder hatte und weit entfernt wohnte, kam nur selten zu Besuch. Aber Bello saß noch immer auf Gabrieles Nachttisch. Manchmal schaute sie ihn an. Er war schon ganz abgegriffen. Dann sagte sie: „Wir beide sind zusammen in Würde gealtert.“ Bello verstand sie, das wußte sie genau.

Gabriele litt unter Asthma, und als sie sich zuhause nicht mehr selbst versorgen konnte, musste sie in ein Altenheim. Ihren Bello nahm sie mit, und das Pflegepersonal gewöhnte sich schnell daran, dass man den kleinen Hund aus Plüsch, der auf ihrem Nachttisch saß, nicht anfassen durfte. Dann konnte Gabriele richtig wütend werden.

Peter, der seinen Zivildienst im Altenheim ableistete, kümmerte sich liebevoll um Gabriele, weil sie ihn an seine Großmutter erinnerte. Und Gabriele, die manchmal etwas verwirrt war, erzählte ihm immer wieder die Geschichte von Bello. Sie schnitt sich in den Finger, und Peter machte ein Pflaster darauf. Gabriele wollte sofort, dass auch Bello ein Pflaster auf seine Pfote bekäme, was Peter auch tat. Irgendwie hatte er eine Ahnung, was sie mit dem alten zerfledderten Hund aus Plüsch verband. Vielleicht waren es die Erinnerungen an eine glückliche Kindheit.

Plötzlich bekam Gabriele einen schweren Asthma-Anfall. Das Pflegepersonal verabreichte sofort die nötigen Medikamente und rief den Rettungswagen. Gabriele konnte kaum sprechen, aber Peter, der an ihrem Bett saß, hörte das Wort „Bello“. Also gab er ihr den kleinen Hund aus Plüsch in den Arm. Gabriele drückte ihn an sich, dann schlief sie mit einem Lächeln ein.

Die Tochter liess den kleinen Hund aus Plüsch, den ihre Mutter „Bello“ genannt hatte, mit in den Sarg legen. Der kleine Hund aus Plüsch sollte auch im Jenseits Gabrieles Gefährte sein.

 

 

 

 

 

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