Christiane Mielck-Retzdorff

After-Work-Party

 

 

Cornelia, die alle Conny nannten, stand aufgeregt und neugierig neben der Eingangstür des kleinen Festsaals des edlen Hotels und beobachtete die Menschen in der Empfangshalle. Es war Mittwoch, kurz vor 18 Uhr. Außer dass einige neue Gäste sich am Empfangstresen anmeldeten, herrschte wenig Betrieb.

Dann betraten zwei Männer Anfang dreißig in perfekt sitzenden Anzügen den Raum und steuerten auf Conny zu. Ins Gespräch vertieft und ohne sie eines Blickes zu würdigen, schritten diese vorbei in den kleinen Festsaal, wo etliche Stehtische aufgestellt waren. Ein Kellner bot ihnen gleich ein Getränk an, dass sie dankend annahmen und sich zu einem der etwas entfernteren Tische begaben.

Schon erschienen drei Frauen etwa gleichen Alters, von denen zwei plauderten, während die andere mit ihrem Handy beschäftigt war und gingen erhobenen Hauptes auch in den kleinen Festsaal. Bald strömten immer mehr dieser Menschen herbei, die alle auserlesene Kleidung trugen und den Eindruck vermittelten, die Elite des Landes zu vertreten.

Erst kürzlich hatte Conny in diesem Hotel ihre Ausbildung zur Restaurantfachfrau, früher schlicht Kellnerin genannt, erfolgreich abgeschlossen. Schon oft hatte sie nach Beendigung ihrer Arbeit ehrfurchtsvoll die Menschen beobachtet, die sich alle zwei Wochen zu dieser After-Work-Party einfanden, die nur für auserwählte Gäste zugänglich war.

Die Mitglieder dieser Elite-Truppe zahlten Jahresbeiträge, die die Kosten des Treffens für alle Getränke und die gereichten Speisen beinhalteten. Conny empfand es als große Ehre, dort servieren zu dürfen. Allein der Anblick dieser edlen Menschen, die nicht gingen sondern schritten, ausschauten wir Filmstars und das Selbstbewusstsein der Erfolgreichen verströmten, gab Conny das Gefühl, wenigstens etwas an dem Duft der Welt des Reichtums schnuppern zu können.

Sie selbst stammte von Lande, hatte zwei Schwestern und drei Brüder. Als Erstgeborene war sie es gewohnt, hart zu arbeiten, ihre eigenen Wünsche zurückzustellen. Umso fassungsloser war ihre Familie gewesen, als sie sich nach Abschluss der Schule entschlossen hatte, in einem Hotel in der Großstadt eine Ausbildung zu beginnen. Es war dem Mangel an Bewerbern für die Gastronomie zu verdanken, dass sich ihr Wunsch trotz eines mäßigen Schulabschlusses erfüllte.

Alle hatten erwartet, dass die Tochter nach Abschluss ihrer Ausbildung in ihre dörfliche Heimat zurückkehren würde, doch Conny wollte sich in dieser für sie fremden Umgebung beweisen. Sie war fasziniert von den Möglichkeiten des Wohlstands, den stets untadelig sitzenden Frisuren der Frauen, dem vornehmen Verhalten der Männer, der teuren Kleidung, dem Geruch von Erfolg und der geballte Ansammlung von Schönheit.

Dabei meinte sie, in einem wilden, ungestümen Fluss zu schwimmen, fühlte dessen Kraft, sah liebliche grüne Auen an sich vorüber schnellen, dunkle, undurchdringliche Wälder, karge Wüsten, fetten Weiden mit fetten Rindern und mächtige Berge, deren glitzernder Schnee in todbringenden Lawinen ins Tal stürzte. Das Leben in der Großstadt war ein Abenteuer, in dem nur die Schnellen, Gescheiten eine Chance bekamen. Irgendwie hatte Conny sich bisher behauptet, ohne zu wissen wie. Sie war stolz darauf, alle Herausforderungen zu meistern.

Ihr Ausbilder hatte ihr beigebracht, dass das Personal dieses Hotels stets um das Wohl der Gäste bemüht sein aber dabei unsichtbar bleiben musste. Unaufdringlich sollten die Angestellten die Wünsche erahnen und erfüllen. Es wurde erwartet, dass den Gästen das Gefühl von Geborgenheit gegeben wurde. Dazu musste Vertrauen geschaffen werden, ohne den respektvollen Abstand zu gefährden. Dieses Verhalten der Angestellten zeichnete das Hotel aus, mache es zu einem der ersten Häuser am Platz.

Daran musste Conny denken, als sie mit einem Tablett, auf dem Champagner und Mineralwasser standen, durch die Reihen der Gäste im kleinen Festsaal ging. Stumm sollten die Getränke angeboten werden. Kellner durften die Gespräche der Menschen keinesfalls stören. Genauso wortlos wurden Kanapees, Sushi-Häppchen und Fingerfood umhergetragen.

Doch dabei ließ es sich nicht vermeiden, dass Conny Bruchstücke der Gespräche mitbekam. Viel wurde über Erfolge im Berufsleben geredet, die Entwicklungen in der globalen Wirtschaft, Aktiengeschäft und Deals, wobei Geldsummen genannt wurden, die Conny bewusst machten, wie bedeutend die Gäste waren. Lachend wurden Anekdoten erzählt, die die Leute auf geschäftlichen Auslandsreisen erlebt hatten. Privates wurde selten preisgegeben.

Wenn sie etwas Ruhe hatte, beobachtete Conny sorgsam die muntere Schar, damit ihr nicht der kleineste Wink entging, mit dem einer der Gäste ihre Anwesenheit forderte. Natürlich wurden auch Sonderwünsche bezüglich der Getränke erfüllt. Um dieses zu meistern, musste Conny sich genau merken, wo sie den Empfänger wiederfand. Zwar handelte es sich um eine überschaubare Anzahl von Gästen, doch in der Menge sahen sich diese Menschen alle irgendwie ähnlich. Außerdem wechselten sie in regelmäßigen Abständen ihre Plätze an den Stehtischen, fanden sich kurzzeitig zu neuen Gruppen zusammen, die sich wie auf ein geheimes Kommando wieder auflösten, um sich neu zu formieren.

Anders, als Conny es aus dem Restaurant kannte, lagen keine Handys auf den Tischen, niemand wurde durch so ein Gerät abgelenkt. Von ihrem Ausbilder hatte sie erfahren, dass sich die Mitglieder selbst den Zwang auferlegt hatten, auf diese Form der Kommunikation zu verzichten. Handys mussten während der Veranstaltung ausgeschaltet bleiben. Klingelte doch eines, straften sogleich abfällige Blicke den Nachlässigen.

Unauffällig huschte sie zwischen diesen außergewöhnlichen Menschen umher. Conny konnte sich gar nicht satt sehen an deren Schönheit, den schlanken, wohlgeformten Körpern in erlesener Kleidung, dem erhabenen Benehmen. Kein böses Wort fiel zwischen den gegenseitigen Bekundungen der Anerkennung. Diese Umgebung von gut gelaunten, sorglosen und selbstbewussten Gästen erfüllte die Kellnerin mit Freunde darüber, auch die Bürgerin eines Wohlstandsstaats zu sein. Solange diese Menschen die Geschicke des Landes lenkten, konnte sie sich sicher fühlen.

Wie auf ein geheimes Signal verließen die Gäste um 22 Uhr das Hotel. Trinkgeld gaben sie nicht, schritten hinaus in die Dunkelheit und verschwanden. Nun war es auch Conny erlaubt, ihre kleine Personalwohnung, die sie seit ihrer Festanstellung nutzen durfte, aufzusuchen. Am nächsten Morgen um 6 Uhr war ihre Anwesenheit im Frühstücksraum gefordert.

Sie war zu aufgeregt, um gleich einzuschlafen. Lange hatte sie davon geträumt, diese elitären Gäste eines Tages betreuen zu dürfen. Endlich war sie mitgeschwommen in dem Meer der Glückseligkeit. Von ihrem Vorgesetzten war ihre zurückhaltende Art des Service und ihre Umsicht gelobt worden. Das ließ sie hoffen, diese Aufgabe auch zukünftig zu übernehmen.

Wie klug ihre Entscheidung, die dörfliche Heimat zu verlassen, doch gewesen war. Dort redeten die Frauen nur über bevorstehende Hochzeiten, Geburten, Krankheiten und Todesfälle. Oder es wurden Erfahrungen über die Zubereitung von Speisen ausgetauscht. Die Männer klagten über das Versagen der Politik, die Unzufriedenheit mit ihrer Arbeit, Geldmangel und die bedrohliche Weltsituation. Die Höhepunkte des Jahres waren das Faschingsfest der Freiwilligen Feuerwehr, bei dem gesoffen wurde, was das Zeug hielt, das Eierlaufen zu Ostern, bei dem ein Suppenhuhn zu gewinnen war und der Weihnachtsmarkt, wo jeder untalentierte Künstler sein Handwerk anbot.

Conny sah, schon im Halbschlaf, diese stets mehr praktisch als modern angezogenen Menschen mit den immer gleichen, pflegeleichten Frisuren und den oft schmutzigen Fingernägeln vor sich. Auch sie glichen einander, doch achteten nicht darauf, wirklich schön auszusehen. Die Gleichförmigkeit und ein langweiliges Leben gaben ihnen Sicherheit. Ihr Dasein erinnerte an einen friedlich vor sich hin plätschernden, flachen Bach, aber Conny durfte nun in den Weiten des Meeres schwimmen. Sie schlief ein.

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.01.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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