Klaus-D. Heid

Kein Ende

Mein Tod kam wirklich nicht unerwartet.

Jemand, der so wenig Wert wie ich darauf legte, am Leben zu bleiben, verdiente es wahrscheinlich gar nicht besser! Ich möchte auch nicht meinem Leben hinterher jammern. Es war eigentlich ganz gut, wenn man von den paar unwesentlichen Ärgernissen absah, mit denen wohl jeder Mensch tagtäglich zu kämpfen hatte. Was soll’s also? Weshalb sollte ich mich beschweren? Worüber sollte ich mich beschweren?

Bestenfalls über mich selbst. Immerhin habe ich mich zeitlebens einen Scheißdreck darum gekümmert, wie ich eines Tages mit meinem eigenen Ende zurechtkommen würde. Es war mir so egal. So unendlich egal. Bei jeder Zigarette, die ich mir anzündete, war ich mir des Risikos bewusst. Ich kann keinesfalls behaupten, dass ich unverdient gestorben bin. Im Gegenteil!

Auch das Risiko, mit meinem Wagen viel zu schnell über regennasse Straße zu jagen, war mir immer bekannt. Ich hätte nur die Geschwindigkeit reduzieren müssen, um den Tod nicht regelrecht einzuladen, mich zu holen. Hab ich aber nicht! Immer schneller. Immer schneller. Wenn’s kommt, dann kommt’s eben. Gib Gas!

Natürlich hätte ich auch jederzeit mit dem Trinken aufhören können. Ich war kein Alkoholiker. Bestimmt nicht. Ich musste nicht trinken, weil ich den Alkohol brauchte. Es war etwas anderes. Etwas grundsätzlich anderes. Wenn ich trank, wollte ich nicht aufhören, weil ich an meine Grenzen gehen wollte. Ich wollte immer an meine Grenzen stoßen, sie austesten und nach Belieben ausdehnen. Ich konnte so lange trinken, bis ich bewusstlos in mein Bett gefallen bin.

Jemand wie ich aß nicht regelmäßig. Regelmäßiges Essen ist etwas für ordnungsliebende Familienväter mit einem ausgeprägtem Sinn für Verantwortung. Ich bin kein Familienvater. Ich habe mich niemandem gegenüber, außer mir selbst, zu verantworten. Ich hasse Ordnung fast mehr, als irgendwelche Beschränkungen, die man mir auferlegen will.

...auferlegen wollte. Denn ich bin ja tot. Mausetot.

Das wirklich Verrückte an meiner Geschichte ist, dass ich nicht an Lungenkrebs gestorben bin oder in meinem Auto wie eine Zitrone zerquetscht wurde. Es war nicht meine Leber, die mich hingerafft hat. Kein Herzinfarkt hat meinem Leben ein jähes Ende bereitet. Mich hat auch nicht der Schlag getroffen.

Es war ganz anders.

Sie wollen es tatsächlich wissen? Sind Sie so neugierig? Quält Sie der Gedanke, es niemals zu erfahren, was mich getötet hat? Sie meinen, ich soll langsam aber bitte ein bisschen plötzlich zum Ende kommen?

Na gut. Obwohl ich ein verantwortungsloser Leichnam bin, möchte ich nicht die Schuld für Ihr Herzversagen auf meine fauligen Knochen laden. Ich verstehe ja auch, dass es jede Geschichte verdient, ein offenbarendes Ende zu haben. Es ist immer die Pointe des Lebens, die für Überraschungen sorgt. Wie die Schlusspointe eines Witzes, der erst mit dem allerletzten Wort die Zuhörer von den Sitzen reißt.

Was wollte ich gerade sagen? Wie bitte?

Verzeihen Sie – aber ich hab’s tatsächlich vergessen! Ich kann mich nicht mehr erinnern. Macht es Ihnen wohl etwas aus, sich das Ende meiner Geschichte selbst auszudenken?

Vielen Dank!

Wissen Sie, wenn man tot ist, funktioniert das Gehirn nicht mehr, wie gewohnt. Aber sei’s drum. Sie werden sich schon ein passendes Ende ausdenken, nicht wahr?

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