Jing Zhou

Der Anwalt

Es war ein Freitag, der 13. Dezember 2002. Ich bin nicht abergläubisch und deshalb war der Tag für mich wie jeder andere auch. Ich war Anwalt in einer Anwaltskanzlei, ein erfolgreicher Anwalt.

Ich ging in die Kanzlei wie jeden Tag auch.
„Guten morgen Andy. Wie geht’s dir heute?“ fragte mich Frank, ein Mann vom muskulösen Statur Mitte 30, er hätte doch lieber Bodybuilder werden soll, aber er ist ebenfalls ein Anwalt.
„Guten Morgen Frank, mir geht’s gut, wie immer und Dir?“ antwortete ich mit einem Lächeln.
„Wie soll es mir schon gehen? Ich sitze jeden Tag in diesem verdammten Büro!“ antwortete er mit einem grinsen. So war Frank, ein lustiger Kerl.
„Sei doch froh, du bekommst wenigstens Geld für´s Rumsitzen und Nichtstun“, flachste ich zurück.
„Ja, da hast Du recht Andy, ich sollte froh sein. Ach ja, bevor ich es vergesse, Mr. Robertson möchte Dich in seinem Büro sprechen.“
„Er will mich sprechen?“
„Ja, das will er.“
„Weißt Du worüber?“
„Nein keine Ahnung.“

Ich ging also durch die Kanzlei und blieb kurz davor stehen. Ich überlegte mir was er von mir wolle. Das letzte Mal, als er mich sprechen wollte, war vor zwei Wochen, als er mir gratulierte, weil ich einen Mandanten erfolgreich verteidigt habe. „Naja, ich bin gespannt“, ging mir durch den Kopf und klopfte an der braunen Tür von Mr. Robertsons Büro.
„Herein!“ hallte es durch.
Ich öffnete die Tür und ging rein.
„Kleinen Moment bitte, Andy“ flüsterte er mir und hielt dabei den Hörer an seiner Schulter.
Ich nickte und wanderte mit meinen Augen durch sein Büro.
Man hat mir erzählt, dass alle Möbelstücke in seinem Büro aus Eichen sind, bis auf sein Stuhl, dies war aus edlem, schwarzem Leder, er soll angeblich 500 US Dollar dafür gezahlt haben.
Auf seinen Schreibtisch lagen viele Akten und diverse Bürozubehör.

Mr. Robertson legte den Hörer auf.
„Ah, guten morgen Andy, schön dass Sie da sind!“, begrüßte mich Mr. Robertson.
„Guten morgen Mr. Robertson. Frank sagte mir, dass Sie mich sprechen wollen.“
„Ja, das ich Richtig“
„Worum geht’s?“
„Möchten Sie eine Zigarette oder einen Kaffe?“ fragte er mich höfflich.
„Nein, danke! Worum geht’s?“, fragte ich noch mal.
„Tja, Andy... es fällt mir nicht leicht es Ihnen zu sagen...“
„Was, Mr. Robertson.“
„Nun Andy...“, zögerte er
„Die Kanzlei hat finanzielle Probleme.“
„Das heißt?“
er zögerte wieder und schaute nachdenklich.
„Das heißt, wir müssen Entlassungen vornehmen, besser gesagt ist es nur eine Entlassung.“
Für mich blieb auf einmal die Zeit stehen und ich habe gedacht, dass ich das alles nur träume
„Wollen Sie mir etwas sagen, dass Sie mich entlassen wollen?“, fragte ich etwas verärgert.
„Ich kann verstehen, dass Sie darüber verärgert sind, Andy. Aber ich habe leider keine andere Wahl.“
„Und wann?“
„Heute ist Ihr letzter Tag.“
„Oh Gott!“
„Tut mir Leid, Andy“
„Gibt es keine andere Möglichkeit?“
„Leider nein Andy, ich wünschte es gäbe eine. Gehen Sie bitte an die Arbeit.“
Geschockt ging ich raus und ging an meine Arbeit. Aber ich war nicht mehr in der Lage meine Arbeit nachzugehen wie sonst immer in den letzten 10 Jahren. Zu sehr hat mich die Entlassung mitgenommen.

17 Uhr, Feierabend.
Ich packte meine Sachen zusammen.
„Hey Andy, tut mir Leid für Dich. Wenn was ist, melde Dich bei mir, OK?“, sprach Frank zu mir.
„Ja, danke Frank.“

Ohne weitere Worte verließ ich das Büro und fuhr nach Hause.

Zu Hause angekommen, stellte ich die Kiste, wo meine Sachen drin waren, in eine Ecke und setzte mich in den Sessel. Noch immer konnte ich die Entlassung verarbeiten. Ich stand auf und ging in die Küche und holte mit eine volle Flasche teueren Whisky und einen Glas.

Zurück im Gästezimmer. Ich saß wieder im Sessel. Kein Laut war zu hören, es war Totenstille.
Was dann geschah wusste ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, als ich am nächsten morgen im Sessel aufwachte, war die Flasche leer und das Glas lag auf dem Boden.

Mit einem Kater ging ich ins Bad und nahm eine Dusche und rasierte mich. Abends rief ich dann Frank an und fragte Ihn, ob er Lust hätte mit mir ein Bierchen zu trinken. Er sagte zu. Wir trafen uns beim „Jenny´s Bar“ und unterhielten uns über früher. Wir verließen die Bar 4 Stunden später gegen Mitternacht. Ich ging nach Hause und setzte mich mit einer Flasche teueren Whisky und einen Glas in meinem Sessel und schaute Football und bin dann später vor dem Fernseher einschlafen.

Am Montag rief ich verschiedene Kanzleien an und erkündigte mich nach einem Job, aber keine einzige Kanzlei wollte mich einstellen.

12 Monate später

Noch immer hatte ich keinen Job gefunden.
Mittlerweile habe ich mein Auto verkauft und einige Sachen aus meiner Wohnung die ich nicht mehr brauchte, auch der Fernseher. Ich saß bei „Jenny´s“ und trank meinen letzten Glas Whisky.
„Jenny, ich möchte bitte die Rechnung.“
„Ich bin gleich da, Andy.“

Jenny, war eine hübsche rothaarige. Sie ist 35, hat Sie mir mal gesagt, aber Sie sieht jünger aus, viel jünger, eher wie 25.

„ Na Andy, wie viel hast du heute schon getrunken?“
„Ich weiß nicht, drei oder vier Gläser“
„Wird auch Zeit dass Du aufhörst. Du hast Dich total verändert.“
„Ich hab mich verändert?“
„Ja, zum negativen.“
„Ach was, das kommt Dir nur so vor. Nicht ich habe mich verändert, sondern mein Umfeld.“
„Wenn Du meinst. Vier Whisky, das macht dann 10 Dollar, Andy“
„10 Dollar? Hast Du den Preis erhöht?“
„Nein Andy, ein Whisky ha schon immer 2,50 Dollar gekostet.“
„Ach ist auch egal... Wo ist denn mein Portmonee? Ich muss es wohl zu Hause liegen gelassen haben. Kannst Du es mir nicht anschreiben?“
„Komm mir nicht damit, Andy“
„Aber es kommt doch vor. Dir ist es sicherlich auch schon passiert.“
„Ja, aber nicht zwei Wochen hintereinander.“
„Ach komm Jenny, ich bin doch oft hier.“
„Oft ist schon untertrieben, aber das ist ja nicht mein Problem. Also ich schreibe es Dir an. Es sind 27,50 Dollar, die ich dann von Dir bekomme.“
„Ja, du bekommst das Geld, das nächste Mal, wenn ich hier bin, bekommst Du es. Versprochen!“
„Das will ich hoffen, Andy“
„Du bekommst es. OK, ich muss los. Bye Jenny.“
„Mach´s gut Andy und pass auf dich auf“
„Das tu ich doch immer“ antwortete ich mit einem Lächeln.

Zu Hause angekommen, saß ich wieder im Sessel mit einer Flasche billigen Whisky für 1,50 Dollar oder und es schmeckte auch billig, aber was andere konnte ich mir nicht leisten. Ich nahm ein Schluck und sah mich um. Es war Nichts zu sehen. Die ganzen Möbel waren weg, verkauft. Nur der Sessel, Kühlschrank und zwei, drei andere Sachen. Geschlafen habe ich im Sessel, das ziemlich nach Alkohol stank, wie meine ganze Wohnung auch, aber das war mir egal... die Hauptsache war, dass ich es bequem hatte.

Am nächsten Morgen ging ich ins Bad um mich nach langer Zeit wieder zu Duschen. Ich sah in den Spiegel, was ich sah war nicht mehr mein wahres ich. Ich hatte einen Vollbart, obwohl ich mich eigentlich jeden Tag rasiere, aber ich habe es wohl ziemlich lange versäumt. Meine Klamotten rochen stark nach Alkohol.

Den ganzen Nachmittag blieb ich zu Hause und trank den billigen Whisky, was anderes hatte ich nicht. Als die Flasche spät abends leer war und ich zu Hause keins mehr hatte wurde ich ungeduldig und meine Hände fingen an zu zittern. Ich redete mir immer wieder ein „Nein, Du willst nichts mehr, du willst nichts mehr.“ Aber es half nicht. Der Alkohol war stärker, also ging ich zur nächsten Tankstelle, nur ein paar hundert Metern von meiner Wohnung entfernt.

Ich ging rein, besser gesagt ich torkelte langsam hinein und schnappte mir eine Flasche Whisky, welche Sorte es war, oder was es kostete war mir egal, die Hauptsache war Whisky.

Ich ging mit der Flasche zur Kasse.

„Das macht dann 5,90 Dollar, Sir“ sagte der Kassierer, ein junger, schmächtiger Mann, der wahrscheinlich erst vor kurzem seinen High-School-Abschluss gemacht hatte.
„5,90 Dollar? Für diese kleine Flasche?“ antwortete ich fragend.
„Ja, Sir.“
„Das ist doch zum verrückt werden!“

Ich griff in meine Jackentasche und wollte mein Portmonee rausholen. Da bemerkte ich, dass es nicht da war. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich selber nicht wo Sie war. Aber durch den Alkohol war mir das nicht bewusst.

„Ich habe mein Portmonee nicht.“
„Das tut mir Leid, Sir. Dann müssen Sie später noch mal herkommen, mit ihrem Portmonee.“
„Nein, ich kann nicht später herkommen, ich brauche den Whisky jetzt gleich.“
„Wer nicht zahlt, der bekommt nichts“

„Dann nehme ich die Flasche halt ohne zu zahlen mit.“ Dachte ich mir und ergriff auch schon im nächsten Moment die Flasche und rannte so schnell es ging weg. Aber der junge Bursche sprang über die Kasse und erwischte mich. Wir rangelten um die Flasche.

„Lass Los, Du Scheißkerl“ schrie ich.
„Scheißkerl? Sie nennen mich einen Scheißkerl? Schauen Sie sich an, sie Penner!“
„Ich bin kein Penner, Du Scheißkerl!“

Ich nahm dann die Flasche und schlug ihn. Ich traf sein Kopf und er fing an zu bluten. Aber der Bursche wurde dadurch nur noch stärker und drückte mich mit voller Wucht gegen einen Regal, wo Cola-Dosen standen. Mein Rücken schmerzte und ich fiel auf meinen Hintern und die Dosen fielen auf meinen Kopf und ich wurde ohnmächtig.

Am nächsten Tag tat mein Kopf höllisch weh. Als ich dann die Augen öffnete sah ich rostige Gitterstäbe vor mir und mir wurde klar, dass ich im Knast saß.

Ein Polizist kam zu mir und sagte.

„Man hat sie wegen gefährlicher Körperverletzung, versuchter Diebstahl und Sachbeschädigung angezeigt.“ Sie werden in spätestens 48 Stunden den Richter vorgeführt.

3 Tage später saß ich ihm Gefängnis und dass für sieben Jahre.
Sieben Jahre Zeit zum nachdenken über all das was geschehen ist.
Aber eines wusste ich seit dem ersten Tag.

Der Alkohol ist der schlimmste Feind eines Menschen.
Der Alkohol macht einen zu einem Monster.

Geschrieben am 13.August 2003

Diese Geschichte ist frei erfunden, jegliche Übereinstimmung mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.08.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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