Norman Dunfield

Familienausflug zu einer Hinrichtung

Die Verkommenheit der Welt erreicht an jedem Tag einen neuen Höhepunkt...,
...und die finsteren Abgründe von Geist und Seele finden genügend
Dunkelheit für schwarzen Humor.

Lange hatten mein jüngerer Bruder und ich diesem Tag entgegengefiebert.
Endlich war es soweit. Unsere Eltern nahmen uns mit zu einer öffentlichen
Hinrichtung. Das war schließlich mal etwas anderes, als immer diese langweiligen
Karl-May-Festspiele.

Am frühen Morgen fuhren wir los und erreichten bereits nach zwei Stunden
den Ort des Geschehens. Bereits aus einiger Entfernung sahen wir ein hohes
Podest mit einem riesigen Holzgalgen, an dem sich ein schlaffer Strick langweilte.
Die Hinrichtung war zwar erst für 17.01 Uhr angesagt, aber vorher gab es noch
sehr viel zu sehen.

Schnell fanden wir einen Parkplatz und betraten bald darauf das Gelände.
Zuerst kamen wir an einem Souvenirstand mit der Aufschrift "Latest Fun"
vorbei. Dort konnte man kleine Galgen und lustige schwarze Henkerkapuzen
kaufen. Direkt daneben stand eine Hüpfburg in der Form eines elektrischen
Stuhles. Einige Meter weiter warfen Kinder mit Giftspritzen auf eine Dart-Scheibe.

Wir bekamen Durst und gingen in ein Bierzelt, welches sich "Undertaker" nannte.
Auf hölzernen Bänken tranken wir Blutorangensaft. Es gab dort aber auch so
lustige Getränke wie "Bloody Mary" oder "Gin of Death". Anschließend trieb uns
der Hunger an eine Imbissbude mit dem Namen "The last Meal". Dort gab es
gebratene Blutwurst und gegrillte Nackensteaks.

Allmählich wurde es auf dem großen Veranstaltungsplatz immer voller. Viele
Menschen drängten sich an den Ständen. Immer wieder schaute man auf das
Gebäude, in dem sich der Delinquent befand, und hoffte, dass er sich vielleicht
einmal an einem der vergitterten Fenster zeigen würde. Bald darauf wurde uns
jedoch gesagt, dass er nicht gestört werden wolle, weil er noch eine Menge
Autogrammkarten zu unterschreiben hätte. Später würde er schließlich nicht
mehr dazu kommen. Irgendwann müsse er auch noch etwas essen, denn mit
vollem Magen stirbt es sich gesünder.

Nun gut, wir warteten. Endlich war es dann soweit. Die Tür öffnete sich und
der Hauptdarsteller des Tages wurde von zwei Wärten in Handschellen zum
Galgen geführt. Auf seinem Kopf trug er eine rote Kapuze mit schwarzen
Punkten. Darunter war es dunkel, denn die Kapuze verdeckte das gesamte
Gesicht und hatte keine Augenlöcher. Zwei weitere Wärter verteilten die
Autogrammkarten an das Publikum.

Bald legte man ihm die Schlinge um den Hals. Dann kamen zwei weißhaarige
Männer in schwarzen Mänteln. Einer von ihnen las brummelnd etwas von einem
Zettel ab, wovon wir nur verstanden "...wurde der Angeklagte für schuldig befunden,
eine Bäuerin mit einer Sense getötet zu haben..."

Dann verließen alle das Podest. Bald kam jedoch ein maskierter schwarzer Mann,
der einen Hebel betätigte, welcher unter dem Delinquenten eine Klappe öffnete.
Der Strick straffte sich. Ein kurzes Zucken, ein letztes Zappeln   -   das war's.
Es kam eine bedrückende Stimmung auf und der Beifall war eher verhalten.

Wir gingen noch schnell in das Klo-Häuschen mit dem Totenkopf und marschierten
dann in Richtung Auto. Mein kleiner Bruder war plötzlich ganz blass und kotzte erst
einmal genüsslich gegen das linke Hinterrad. Anschließend fuhren wir in die
untergehende Sonne und waren recht müde. Der Tag hatte uns doch sehr
beansprucht. In der nachfolgenden Nacht konnten wir trotzdem nicht so richtig
gut schlafen. Viele Eindrücke gingen uns durch den Kopf und meinem kleinen
Bruder ging es immer schlechter.

Am nächsten Tag fuhren meine Eltern mit ihm zunächst zum Arzt und anschließend
in eine spezielle Klinik. Dort sollte er einige Tage bleiben, um sich von seinem
seelischen Schock zu erholen.

Inzwischen sind drei Monate vergangen und es gibt gute Nachrichten.
Bereits in wenigen Wochen wird mein kleiner Bruder aus der Kinder-Psychiatrie
entlassen. Sicherlich können wir dann gemeinsam mit unseren Eltern zu neuen
Abenteuern aufbrechen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.02.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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