Sabine Brauer

Gertrude und der Vorurteilsschrank

 

 

Schublade auf. Komisch, kurz vor Beginn des Gottesdienstes sind noch Plätze frei, obwohl hier gleich drei Kindergruppen auftreten, die etwas einstudiert haben. Na, da werden die Anverwandten nicht viel Interesse daran haben, was die Kleinen so auf die Beine stellen. Schublade zu.

Orgelspiel, zu laut, disharmonisch für ihren Geschmack. Schublade auf. Die Organistin hat wohl nicht viel Liebe, Lust und Laune in die Proben gelegt! Bei uns in der Kirche klingt das aber ganz anders.Schublade zu.

 

Schublade auf. Diese Kirche ist ein moderner kühler Bau ohne jeden Schnörkel, hohe schlichte Fenster, weiße Wände, weißer Altarraum, weiße Kanzel, ein einsames Kreuz an der Wand, sonst gähnende Leere.

Kein Wunder, dass die Leute ausbleiben, hier kann man sich ja nicht wohl fühlen. Die sollten mal unsere Kirche sehen, ein Sahnestückchen mit ihren bunten bleiverglasten Fenstern. Schublade zu.

 

Schublade auf. Die Kinder sind nervös. Leise, mit gesenktem Kopf lesen sie die Texte. Das Mikrophon funktioniert nicht und beim Vortragen sitzt wohl jemand mit der Peitsche hinter ihnen her. Ohne Punkt und Komma, eine einzige Litanei wird heruntergerasselt. Kein Mensch versteht, was die dort vorne von sich geben. Da hat keiner darauf geachtet, wie wichtig die rechte Lautstärke, Betonung und Ausdrucksweise sind. Zu meiner Zeit wäre so etwas nicht passiert! Schublade zu.

 

 

Gertrude hofft auf den Chor, doch auch hier gibt es für sie Defizite. Schublade auf. Der Chorleiter tänzelt mit seiner Gitarre vor der versammelten Mannschaft herum und verpasst, zur rechten Zeit die Einsätze zu geben, so setzt jeder ein, wann es ihm passt. Dieser Leiter hat ja keine Ahnung, so kann doch keine Einheit entstehen. Rausschmeißen sollte man den hopsenden Kerl. Wenn ich da an unseren Chorleiter denke, der hat uns nichts durchgehen lassen, nein, entweder passte alles, oder wir durften nicht an Veranstaltungen teilnehmen. So war das! Schublade zu.

 

Schublade auf. Interessant, der Pastor, wohlwissend, dass die Sprechanlage holpert, macht sein Ding ohne Verstärkung. Der Predigtinhalt ist ok, doch die Stimme erschlägt mich, wie die durch den Raum nachhallt. Der Pfarrer sollte sich etwas zurück nehmen, was schreit der denn so? Sind hier denn alle schwerhörig? Gibt es hier keinen Techniker, der sich um die Anlage kümmert? Bei uns wird alles immer sorgfältig eingestellt, damit die Kirchgänger auch alles mitkriegen und nicht vom Stuhl fallen. Die hier sollten sich mal ein Beispiel daran nehmen! Schublade zu.

 

So sitzt Gertrude in der Bank, beobachtet, rümpft die Nase, kritisiert und hat ganz vergessen, weshalb sie eigentlich her kam. Sie wollte Gottes Wort hören und sich für die kommende Woche stärken lassen. Doch nun hat sie alle Hände voll damit zu tun, die Schubladen ihres Vorurteilsschrankes zu befüllen. Schublade auf. Lieber Gott, ich bin ja so fromm. Danke, dass ich in den Himmel komm. Schublade zu. Seliges Lächeln.

 

© Sabine Brauer

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.02.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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