Norman Dunfield

Ein total bekloppter Tag

Der Wahnsinn macht manchmal keine Pause.
Deshalb erinnere ich mich noch sehr oft an den
ersten warmen Frühlingstag im vergangenen Jahr.

Ich war bereits sehr früh aufgestanden und das Sunlicht ging gerade am
wolkenlosen Blaumel auf. Die Vögel bezwitscherten lautstark die jungen
Knospen an den Ästen. Ich öffnete das Fenster und entnahm der lauen
Luft ein paar kräftige Atemzüge. Auch im Nebenhaus gab es offenbar
schon Aktivität. Aus einem geöffneten Schlafzimmerfenster drang eine
hochgeistige Konversation an mein Ohr.
Sie: "Schaaatz, warum hechelst Du denn so zärtlich?"
Er: "Ich putze meine Brille."

In der Wohnung darüber war die Balkontür einen Spalt breit geöffnet.
Das dortige Gespräch war ein weiterer akustischer Höhepunkt am frühen
Morgen.
Er: "Was soll ich denn mit der Sack-Karre?"
Sie: "Aber Liebling, Du hast doch eben gesagt, dass Du den Computer
herunterfahren willst."

Anschließend ging ich in unseren Garten, um dem Winterspeck mit einigen
Leibesübungen entgegenzutreten. Ich entschloss mich zu einem entspannten
Nacktprogramm, denn der Garten ist von einer hohen Hecke umgeben und
deshalb von außen nicht einsehbar. Allerdings hatte ich übersehen, dass
unsere kurzsichtige Nachbarin auf einer Leiter stand und irgend etwas an
ihren Obstbäumen herumfummelte. Plötzlich sagte sie zu mir:
"Guten Morgen Herr Nachbar. Der neue Vollbart steht Ihnen aber gut."
Ich antwortete:
"Wieso Vollbart? Ich mache gerade einen Kopfstand."

Etwa eine viertel Stunde später war ich völlig durchgeschwitzt und ging unter die
Dusche. Anschließend warf ich mich in luftige Klamotten und zog meine Schuhe an.
Ich hatte nämlich in der Stadt noch einige Besorgungen zu machen, weil ich am
Nachmittag grillen wollte. Holzkohle ohne Steaks und Würstchen ist schließlich nicht
sonderlich berauschend. Das schöne Wetter empfahl sich für einen Fußmarsch.
Ich nahm meine Einkaufstasche und ging los.

Auf meinen Wegen bekomme ich zwangsläufig immer wieder einige Brocken von
Gesprächen anderer Leute mit, obwohl mich diese eigentlich gar nichts angehen.
Vor unserem Haus befand sich seinerzeit eine Baustelle. Eine junge Frau führte
ihre alte Mutter vorsichtig über den Untergrund der holperigen Straße. Plötzlich
fragte die Mutter:
"Warum braucht der junge Mann denn schon einen Rollator?"
Die Tochter antwortete:
"Aber Mutter, das ist doch ein Bauarbeiter mit seiner Schubkarre."

Dann setzte ich meinen Weg fort und kam in der Nähe eines Discounters vorbei.
Dort fragte ein alter Mann seinen Sohn:
"Wieso hat das Autokino denn gar keine Leinwand?"
Der Sohn erwiderte:
"Aber Vater, das ist doch der Parkplatz vom Aldi."

Anschließend führte mich meine Route über den Wochenmarkt. Auf der Rückseite
einiger Marktstände erkannte ich einen Pfleger aus dem Altenheim, der einen
beinlosen Mann im Rollstuhl vor sich her schob. Ich fragte ihn, ob er Hintermärktler
sei. Er sagte:
"Nee, aber mir wurde aufgetragen, dass ich mit diesem Mann keinesfalls an dem
Stand mit der Aufschrift "Eier aus Bodenhaltung" vorbeigehen soll."
Das konnte ich nachvollziehen. Wahrscheinlich wären auch Erdnüsse ein Problem
gewesen.

Plötzlich hörte ich Musik. Ich folgte den Klängen und landete im Stadtpark.
Dort probte ein Orchester für eine große Veranstaltung am nachfolgenden
Wochenende. Auf einer Parkbank saßen zwei sehr alte Männer.
Der eine fragte:
"Ist der Mann vor den Geigern ein Gebärdendolmetscher?"
Der andere antwortete:
"Nee, das ist der Dirigent."

Etwas später erreichte ich endlich den Supermarkt. Ich warf meinen Chip in den
Konsum-Rollator und startete meine Einkaufs-Rallye. Direkt am Eingang traf ich
die junge Tochter eines alten Freundes. Ihr Bauch kam mir etwas gewölbt vor.
Nach kurzer Begrüßung fragte ich sie: "Bist Du schwanger?"
Sie antwortete recht forsch:
"Ja. Mein neuer Typ ist Rohrverleger und hat mir den Keller vollgepumpt."
Na ja   -   nun war das auch geklärt. Jetzt ging ich direkt zum Metzgerei-Stand
und ließ mir ein paar saftige Steaks und ein paar Bratwürste geben. Im selben
Moment beschwerte sich eine Kundin nebenan am Käsestand darüber, dass
die Verkäuferin beim Schweizer Käse die Löcher mitgewogen hatte. Mir ging
sofort durch den Kopf, dass Menschen mit solch unsäglicher Intelligenz
wahrscheinlich auch einen Toaster mit UKW-Taste besitzen und sicherlich
beim Kauf von Briefmarken den Preis abmachen lassen.

Ich packte meine Einkäufe in den Wagen. Jetzt noch ein frisches Baguette und
eine Rolle Kräuterbutter   -   und dann ab zur Kasse, wo bereits schlimme
Erlebnisse auf mich warteten. Es war nur die Kasse 1 geöffnet. Ich stand in der
Kassenschlange an 12. Stelle. Das ist etwa genau der Punkt, an dem sich
blasenschwache Hausfrauen genüsslich einpinkeln, weil sie das Kunden-WC
jenseits der Kasse nicht mehr rechtzeitig erreichen. Die Kunden vor mir hatten
durchweg voll beladene Wagen. Plötzlich kam jedoch die Durchsage:
"Verehrte Kunden. Die Kasse 2 öffnet in Kürze. Legen Sie Ihre Einkäufe bitte
bereits auf das Kassenband."
Ich zog an allen anderen vorbei und war sehr glücklich über diese Entwicklung.
Ich legte den Inhalt meines Wagens auf das Band, aber eine Kassiererin
kam nicht   -   kam nicht   -   und kam nicht. Stattdessen eine neue Durchsage:
"Verehrte Kunden. Die Kasse 2 schließt in Kürze. Bitte legen Sie keine Einkäufe
mehr auf das Kassenband."

Die Wut stieg in mir hoch und ich schwitzte inzwischen wie ein Schwein. Auch die
Kühlelemente in meiner Einkaufstasche schrien inzwischen nach Wasser.
Zuerst wollte ich mich beschweren, doch dann sah ich, dass die Schlange an
der Kasse 1 immer länger wurde. Ich packte meinen Kram wieder in den Wagen
und befand mich jetzt auf Platz 16. Die Kasse erschien nur noch wie ein kleiner
Punkt am Horizont. Ich machte mich auf eine halbstündige Wartezeit gefasst.

Irgendwann war nur noch eine einzige Kundin vor mir an der Kasse. Doch
plötzlich gab es offenbar ein Problem. Die Kassiererin brüllte durch den
ganzen Raum: "Doooris. Storno."
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam eine etwas dickliche Frau mit wichtigem
Gesichtsausdruck angestapft, um mit einem kleinen Schlüssel das Storno
an der Kasse durchzuführen. Dann konnte ich endlich aufatmen. Endlich
durfte auch ich bezahlen und das Katastropengebiet verlassen.

Am Ausgang traf ich dann noch einen früheren Schulfreund, der sich immer
sehr schwer mit Mädchen tat. Ich fragte ihn, ob er inzwischen verheiratet
sei. Allerdings hatte er darauf eine recht plausible Antwort:
"Nein. Ich bekomme keine Erektion, wenn eine Frau dabei ist."

Auf meinem Rückweg nahm ich eine Abkürzung und versuchte, jegliche Art von
weiterer Konversation zu vermeiden. Ich kam an der Grundschule vorbei. Es war
gerade Pause und die Schülerinnen und Schüler spielten auf dem Schulhof.
Plötzlich kam die kleine Anna Müller verzweifelt angelaufen und sagte zur
Pausenaufsicht:
"Herr Lehrer, Herr Lehrer. Der Anton packt mir immer am Popo."
Der Lehrer antwortete:
"Na und? Dann dreh Dich doch einfach um."
Dieser Flachwasser-Pädagoge hatte sein Abitur anscheinend in einer Baumschule
gemacht.

Endlich war ich zu Hause angekommen und zog meine durchgeschwitzten Klamotten
aus. Lediglich kurze Hose, T-Sirt und Badelatschen sollten mich durch den weiteren
Tag begleiten. Ich fütterte den Grill mit Holzkohle und wartete anschließend auf die
Glut für meine unter schwersten Bedingungen erstandenen Fleischwaren;
aber die haben anschließend besonders gut geschmekt.

Ich entkapselte im Verlauf des Nachmittags eine Flasche Bier nach der anderen.
Als die Glut der Holzkohle jedoch ihr letztes Gebet in die Asche murmelte, gab es
nichts mehr zu entkapseln   -   und ich ritt auf meiner Leber in die untergehende
Sonne.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.02.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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