Gertraud Widmann

Je später der Abend


desto schöner die Gäste - sagt man. OB das mein Freund
- ich nenne ihn mal Bruno - damals auch so gesehen hat?
Aber der Reihe nach.
  
Zu dieser Zeit war ich bereits zwanzig Jahre alt, lebte
aber noch immer bei meinen Eltern - das war damals ganz
normal. Beide warteten schon darauf, dass ich endlich mal
den richtigen Mann „heimbringen“ würde. Darum war auch
meine Mutter sofort von meinem neuen Bekannten hellauf
begeistert.
   Na jetzt aber mal halblang! Dieser Mann war zwar recht
nett und ein bisschen verliebt hatte ich mich auch in ihn,
aber er war halt doch zehn Jahre älter als ich. Und zu
„älteren“ Männern hatte ich noch nie den richtigen „Draht"
gefunden.
Die Mutter belaberte mich jeden Tag:
   »Schau Kind (!), er ist Koch, leitet eine Werkskantine,
ann dich also „ernähren“ (wie sich das schon anhörte) und
er kümmert sich rührend um dich! «
   Ja „gekümmert“ hat er sich - weiß Gott! Wenn er mich
zum Beispiel zu Fuß abholte (er hatte kein Auto) und es
war nur ein bisschen kühler, fragte er mich jedes Mal:
   »Schatzi, hast du auch einen warmen Schlüpfer an? «
Herrschaftszeiten, wie mich das nervte!

Aber einmal, da muss wohl dieser liebe „Kümmerer“ selber
keine warmhaltende Unterhose angehabt haben!
Denn eines Tages bekam ich eine Karte (meine Eltern und
er hatten kein Telefon) worauf stand, dass wir uns in der
nächsten Zeit nicht sehen könnten, weil er seit Tagen mit
 einer schweren Erkältung im Bett liegen würde ...
Ach der Arme!
 
Eine Woche später saßen meine Freundin Gabi und ich bei
einem Glas Wein beieinander. Zu etwas fortgeschrittener
Stunde kamen wir auf die „glorreiche“ Idee, wir könnten
doch noch meinen „Patienten“ besuchen? Gesagt, getan!
Und so fuhren wir mit der Straßenbahn zu dem alten
Mietshaus in der Münchner Innenstadt.
Dort wohnte Bruno bei einer älteren Dame, die ein paar
Räume an „Zimmerherrn“ (so nannte man zu jener Zeit
die männlichen Untermieter) vermietet hatte. Obwohl es
schon recht spät war, war die betreffende Wohnungstür
nur angelehnt!? Hatte man damals vielleicht noch mehr
Vertrauen in die Menschheit? Egal.
Wir betraten den schummrigen Flur - na ja, kein Wunder
bei der armseligen Glühbirne, die da von der Decke hing.
Es war mucksmäuschenstill.

Gleich an der ersten Zimmertüre links, war mit einem
Reißnagel ein kleiner Zettel mit Btunos Namen befestigt.
Wir klopften ... Wir klopften nochmals ...
   Geade als uns durch den Kopf ging, dass es wohl doch
keine so gute Idee gewesen war und wir den Rückzug
antreten wollten, öffnete mein Freund.
Im grün-gestreiften Bademantel, zerzaust und barfuß
stand er in der Tür. Ist schon klar, er war ja schließlich
krank. Jedenfalls, die Überraschung - sollte ich lieber
sagen „der Schrecken“?  – stand ihm buchstäblich ins
Gesicht geschrieben. Er zögerte nur kurz, bat uns aber
dann doch hinein ...
Also direkt krank sah er jetzt eigentlich nicht aus!?
   So wie sich`s gehört, erkundigten wir uns nach seinem
Befinden, hörten uns seine „Leidensgeschichte“ an und
setzten uns dann an den kleinen runden Tisch. Vor lauter
Verlegenheit wusste keiner von uns was „Gescheites“ zu
sagen und redeten nur belangloses Zeug.
Aber irgendwas lag in der Luft ...

Aus unerfindlichen Gründen fiel mein Blick plötzlich auf
sein Bett und blieb dort wie hypnotisiert darauf hängen.
Ich konnte mir nicht helfen, das Plümo (Bettdecke) war
mir jedenfalls zu hoch und viel zu aufgebauscht. Ja und
außerdem hatte ich das Gefühl, dass es sich bewegte!
 

Ich hatte diesen Gedanken noch nicht ganz zu Ende
gedacht, da flog auf einmal die Bettdecke zur Seite.
Prustend tauchte eine blonde junge Frau auf - nackt wie
Gott sie schuf. Ihr Gesicht war feuerrot und ihre Haare
waren total verschwitzt. Man musste sich wundern, dass
sie es so lange unter der Decke ausgehalten hatte.

Meine Freundin und ich sahen uns kurz an, Tränen stiegen
in mir hoch. Dann standen wir im Zeitlupentempo auf und
gingen wortlos zur Tür ...
   »Es ist nicht so wie du denkst ...« war das Letzte, was
ich von Bruno hörte.
 

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