Gertraud Widmann

Späte Rache

Meine Urgroßtante Julie war zu jener Zeit fast fünfzig Jahre alt gewesen und lebte mit ihrem acht Jahre jüngeren Ehemann Loisl als sogenannte „Kleinhäusler“ (arme Bauern) recht abgeschieden in Österreich. Am Waldrand, gleich hinter der Scheune, begann die Tschechei. Einen Steinwurf vom Hof entfernt schlängelte sich der Grenzbach durch Felder und Wiesen und trennte so Bayern von Österreich.

Julie versorgte Haus und Garten, mühte sich mit der kleinen Landwirtschaft ab und ging einmal die Woche ins gut drei Kilometer entfernte Dorf, um beim dortigen Kramer einzukaufen. Und nicht zuletzt kümmerte sie sich besonders liebevoll um die kleine Brigitte - eine zehnjährige Waise, die sie vor Jahren bei sich aufgenommen hatten.Julie sah schon recht verhärmt aus, aber sie ertrug alles tapfer und ohne Murren, sie hatte es sich seinerzeit ja so ausgesucht.

Ihr Mann Loisl, der (damals wenigstens) immer noch verdammt gut aussah, war hingegen sehr gesellig und einem Flirt nicht abgeneigt - ein richtiger Hallodri halt. Ab dem Frühsommer war er ständig als Erntehelfer (und was weiß ich noch ...) unterwegs. Egal was gerade Saison hatte, Getreide, Äpfel oder Kartoffel - Loisl war immer mit dabei. Fleißig war er ja!
   Jeden Montag früh fuhr er mit dem Fahrrad zur jeweiligen Arbeitsstelle. Julie konnte dann nur warten und hoffen, dass er irgendwann am Wochenende mit dem verdienten Lohn wieder heim kam.
Meistens war`s aber dann so, dass er entweder schon stark betrunken nach Hause kam und gleich zu Bett ging. Oder aber,er warf der Julie ein paar Schilling als Haushaltsgeld auf den Tisch, schwang sich wieder auf sein Radl
und fuhr ins nächste Wirtshaus ...


Es muss kurz nach Julies fünfzigstem Geburtstag gewesen sein, da erfuhr sie, dass ihr Mann an den meisten Einsatzorten ein „Liebchen“ hätte. Im Detail wollte sie es gar nicht wissen, es reichte ihr schon, was ihr die „Ich-meine- es-doch-nur-gut-Menschen“ erzählten.   
   Und so kam Julie ins Grübeln:
Was hatte sie denn eigentlich von ihrem Leben gehabt? Eigene Kinder waren ihr verwehrt, die „kleine“ Brigitte war groß und ging ihre eigenen Wege. Also, was war ihr geblieben? Ein Mann, der alles Geld versoff, sie nach Strich und Faden betrog und Arbeit, Arbeit, nix als Arbeit. Alt und grau war sie darüber geworden, saß immer noch in dem alten Bauernhaus fest und - zu jener Zeit wenigstens - kein Ausweg in Sicht ...
Mehr als einmal kam ihr so beim Sinnieren der unchristliche Gedanke:

„Wenn`s ihn doch nur mal g`scheit mit dem Radl schmeißen tät, dann wär` mal eine Weile Ruh`- auch mit den Weibern“. Aber nix war`s, es blieb alles beim Alten.

Eines Tages - so erzählte man sich viele Jahre danach immer noch - „beschloss“ die Julie, ab sofort nicht mehr gehen zu können!?
Sie legte sich ins Bett und das war`s!

Quacksalber, Kräuterhexen, ein Arzt und sogar der Herr Pfarrer kamen an ihr Bett. Aber kein Mensch konnte sich das plötzlich aufgetretene „Leiden“ erklären, oder es gar heilen.
Sie k o n n t e halt einfach nicht mehr gehen - und fertig!

Für ihren Mann Loisl begann jetzt ein verdammt hartes Leben. Nicht nur, dass alle Arbeiten nun an ihm hängen blieben und er keine Zeit mehr fürs Wirtshaus, geschweige denn für seine Weibergeschichten hatte, nein, er musste auch die oftmals üblen Launen seiner Frau ertragen. Die gingen sogar so weit, dass er sie nachts quer über den Hof zum Toiletten-Häusl tragen musste!
   Ja und damit Julie auch die Übersicht behielt, stand ihr Bett jetzt mitten in der Wohnstube. Drum herum Stapelweise Heftl mit Liebesromanen, sowie in Schachteln und Körben verteilt, all die Dinge, die sie für ihr jetziges „Leben“, wenn man es denn so nennen möchte, benötigte.

Man erzählte sich, dass Julie die ganze Zeit (!?) im Bett liegen blieb und ihren untreuen Ehemann - man kann sich`s gar nicht vorstellen - achtzehn Jahre lang schikanierte! Bis er schließlich, kurz vor seinem sechzigsten Geburtstag, starb. Bald darauf soll Julie aufgestanden sein und hätte, wenn auch nur mit Krücken, wieder gehen können …


© Gertraud Widmann

 

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