Thomas Klein

Yeti

Yeti

 

Ich fand den kleinen Kater bewußtlos im Schnee am Straßenrand.

Bei dem Versuch, ihn vorsichtig hochzunehmen, erwachte er kurz und flüchtete panisch unter einen Holzschuppen. Die Hinterbeine zog er dabei hinter sich her, als hätte er sich das Rückrad gebrochen. Im Licht meiner Taschenlampe sah ich, wie das Blut ihm aus der Nase lief. Sein klägliches Mauzen ging mir durch und durch.

Ich entschied, ihn erst mal in Ruhe zu lassen, weil mitten in der Nacht die Fahrt zu einem Tierarzt aussichtslos erschien.

 

Früh am nächsten Morgen war er verschwunden. Das tröstete mich in gewisser Weise, weil er also noch am Leben war. Helfen konnte ich ihm aber nicht, denn er war auf unserem Hof nicht zu finden.

Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm täglich Futter hinzustellen, in der Hoffnung, daß er es findet. Tagelang blieb sein Napf unberührt und der starke Frost setzte dem kleinen Kerl noch zusätzlich zu. Doch nach fünf Tagen war etwas Futter aufgezehrt. Nun hielt ich vom Küchenfenster aus den Futternapf im Blick.

Nach ein paar Tagen sah ich ihn wie einen Betrunkenen strauchelnd und mager aber lebendig. Täglich fand er sich nun an der Futterstelle ein und sein unsicherer Gang besserte sich allmählich.

Ich setzte mich nun während des Fütterns in seine Nähe und er merkte wohl, daß ich es gut mit ihm meinte. Nach ein paar Wochen ließ er sich anfassen und wir schlossen eine enge Freundschaft. Ich nannte ihn Yeti, denn er war schneeweiß.

Die Nacht verbrachte er oft zusammengerollt am Fußende meiner Koje.

 

Über die Jahre wuchs er zu einem kräftigen Burschen heran.

 

Dann sollte er doch einmal zum Tierarzt, weil sein rechtes Auge immer tränte.

Dort kämpfte er sich aber aus seiner Transportkiste und flüchtete weit von Zuhause in eine ihm unbekannte Gegend.

 

Ich verteilte Zettel mit unserer Telefonnummer in der Region, aber niemand hatte

ihn gesehen. In dieser Jahreszeit wurden ausgerechnet etliche Treibjagden veranstaltet und ich machte mir die größten Sorgen.

 

Unsere Nachbarin schaltete eine Suchaktion über Facebook. Sie besaß selbst einen Kater, der so rot war wie ihre Haare und hatte von daher großes Mitgefühl.

 

So begann eine lange Suche, bei der ich überraschend viele verständnisvolle Tierfreunde kennen lernte.

 

Nach einigen Monaten tauchte er in D. auf, war aber allen Menschen gegenüber äußerst scheu.

 

 

Dort begegnete ich den wunderbaren Damen, die mich schon zu erwarten schienen. Sie konnten meinen Kater genau beschreiben und ich wußte, diesmal bin ich an der richtigen Adresse.

Sie begleiteten mich zu einem verlassenen Grundstück, wo sie ihn bei ihrem Abendspaziergang gesehen hatten. Im Schein unserer Taschenlampen sahen wir ihn auch schemenhaft im Gestrüpp und ich rief ihn. Das lockte allerdings pflichteifrige Bürger an, die uns für Einbrecher hielten und gleich die Polizei alarmierten.

Die wunderbaren Schwestern beruhigten die Anwohner, während ich mich zurückhielt, denn mein linkes Auge tränte stark und ich hoffte, es würde in der Dunkelheit niemand bemerken.

Der Schnurrbart des Polizisten zitterte amüsiert und er wünschte uns noch viel Glück bei der Suche. Sie erklärte noch lächelnd, wie sie ihn abwimmeln konnte, doch ich schaute nur gebannt auf ihre Reihe spitzer Zähne, die im Licht meiner Stirnlampe makellos schimmerten. Fast hätte ich einen Buckel gemacht, wie Kater es tun, wenn Frauchen ihre Hand ausstreckt...

 

Als der Spuk vorbei war, hatte mein Kater allerdings auch das Weite gesucht.

Ich ging allein die schmale Straße entlang, bis ich an einen Hügel kam, den der Vollmond hell erleuchtete. Dort wähnte ich meinen Kater schneeweiß im Mondlicht.

Beim Näherkommen wirkte er durchscheinend und verflüchtige sich dann gänzlich.

Zuletzt fand ich nur noch einen Feldstein vor. Ringsherum war alles stumm und unwirklich, daß ich glaubte, ich hätte genauso gut auf dem Mond suchen können.

 

Ich merkte mir aber die Stelle, um es bei Tageslicht noch einmal zu versuchen, wie es mir die wunderbaren Frauen geraten hatten. Ich hoffte auch, daß meine Stimme in ihm die Erinnerung an sein Zuhause wachgerufen haben würde.

 

Nach dem dritten Versuch sah ich ihn dort wieder. Ich wartete, ob er nicht gleich wieder verschwände. Aber im grellen Tageslicht blieb seine Kontur fest umrissen.

Ich rief ihn und er antwortete mir.

Ich schüttelte die Schachtel mit dem Katzenfutter und da kam er näher.

Nun erkannte ich ihn deutlich und ich rief mir diesen glücklichen Augenblick später immer wieder in Erinnerung. Als er mich erreichte, umgarnte er ohne Scheu meine Beine und ließ sich voller Vertrauen hoch heben. Er war leicht geworden und unter seinem wunderbar seidigen Fell spürte ich die Rippen.

 

Zuhause verschlang er dann erst mal eine große Portion Katzenfutter.

Er wollte gar nicht mehr von meiner Seite weichen.

Nachts kuschelte er sich dann an mich und im Schlaf zuckten seine Pfoten.

Ich fragte mich, was er wohl alles erlebt haben mochte, in diesem Vierteljahr.

Glücklich schlummerte ich dann auch ein und seine Träume mischten sich mit meinen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.03.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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