Claudia Savelsberg

Schwule Freunde sind die besten

Elfi arbeitete halbtags in einer Buchhandlung, um ihr Studium zu finanzieren. Ihr Kollege Udo zog sofort ihre Aufmerksamkeit auf sich. Groß, athletische Figur, dunkle Haare und strahlend blaue Augen. Ein echter Hingucker. Seine Bewegungen waren geschmeidig, fast schon ein bisschen feminin. Sie war seit einigen Monaten Single, und Udo passte perfekt in ihr Beuteschema. Also ließ sie ihren ganzen Charme spielen und flirtete heftig mit ihm. Die Reaktion war mäßig, im Grunde genommen fast „null“. Eine Kollegin klärte sie auf: „Elfi, bei Udo kannst du nicht landen. Der liebt Männer.“ Das respektierte sie und stellte ihre Flirtversuche ein, sie fand ihn allerdings immer noch höchst attraktiv. Udo und sie wurden gute Freunde. Er wusste es zu schätzen, dass sie seine Homosexualität respektierte und erzählte ihr von seinem Partner Lothar, der sehr eifersüchtig war. Offensichtlich hatten hetero- und homosexuelle Paare ähnliche Problem. Lothar war der Mann in der Beziehung und Udo die Frau.

Durch Udo lernte Elfi Ingo kennen, der ebenfalls schwul war. Ingo mochte Elfi auf Anhieb, sie freundeten sich an, wurden schnell vertraut miteinander. Einmal begleitete Elfi ihn in eine Ballett-Boutique, er wollte sich ein Suspensorium kaufen, um seine Männlichkeit in der knallengen Jeans zu betonen. Die Verkäuferin war etwas irritiert, und als Elfi flötete „Ingo, mein Schatz, beeil dich. Ich muss noch zum Friseur“, wusste sie nicht mehr, was sie von diesem merkwürdigen Paar halten sollte. Wie Elfi war auch Ingo Single und auf der Suche nach einem Partner. Manchmal saßen sie zusammen in einem Straßencafé und beobachteten Männer. Wenn sie ein attraktives Exemplar entdeckten, witzelten sie rum: „Für wen von uns beiden könnte der was sein? Ist der hetero oder homo, eventuell sogar bi ...“ Ingo meinte: „Wenn die Sahneschnitte bi ist, dann könnten wir uns den ja teilen.“ Elfi knuffte ihn in die Rippen, so weit ging die Freundschaft dann doch nicht. Sie wusste, dass Ingo in Udo verliebt war und sich immer wieder Hoffnungen machte. Aber Ingo war nicht Udos Typ, und außerdem war Udo mit Lothar zusammen. Es war eine recht turbulente on-off-Beziehung, wenn Udo einen anderen Mann auch nur ansah, dann trennte sich der eifersüchtige Lothar schmollend von ihm. Zwei Wochen später waren sie dann wieder zusammen. Offensichtlich konnten sie nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander, was auch in Hetero-Partnerschaften vorkam. Wenn Udo Liebeskummer hatte, dann heulte er sich bei Elfi aus. Sie hörte ihm geduldig zu, sie wusste ja, dass Udo und Lothar wieder ein Paar würden.

Einmal lud Udo Elfi zu sich nachhause ein, er hatte gekocht, Rotwein besorgt und den Tisch mit Blumen und Kerzen dekoriert. Er wollte einfach nicht allein sein, Lothar hatte sich mal wieder von ihm getrennt. Elfi seufzte innerlich, das passierte doch alle paar Monate bei den beiden. Es war spät geworden, und sie wollte gehen. Udo bat sie zu bleiben, er wollte schnell ein Bad nehmen, dann könnten sie zusammen noch ein Glas Wein trinken. Plötzlich klingelte das Smartphone, Udo rief aus dem Bad: „Geh ruhig dran.“ Es war Lothar, Udo rief aus dem Bad: „Gib mir das Smartphone rein.“ Elfi wand sich wie ein Aal. Sie stellte sich vor, dass Udo nackt in der Badewanne liegt. Er war schwul, aber in ihren Augen eben ein sehr attraktiver Mann. Wenn sie ihn jetzt nackt sehen würde? Schließlich öffnete sie die Badezimmertür, Udo lag in einem Schaumbad, war also gänzlich bedeckt. Die erleichterte Elfi reichte ihm das Smartphone und verabschiedete sich flott. Zwei Tage später waren Udo und Lothar wieder zusammen.

Wenn Lothar sich mal wieder von Udo getrennt hatte, dann versuchte Ingo sein Glück; denn er war hoffnungslos in Udo verliebt, hatte aber keine Chance. Ingo hatte Liebeskummer, er war richtig unglücklich und heulte sich bei Elfi aus. Einer von beiden heulte sich immer bei ihr aus, aber Elfi war gerne für Ingo und Udo da, sie waren echte Freunde, die sich gegenseitig vertrauten. Elfis Freundin Helga konnte nicht verstehen, wieso sie mit schwulen Männern befreundet war: „Was willste denn mit denen? Da kannste doch nicht landen.“ Helga war sehr konservativ und ließ keinen Zweifel daran, dass sie homosexuelle Paare als „anormal“ ansah. Für sie waren schwule Männer alles „Tunten“, die den schnellen Sex auf dem Bahnhofsklo suchten. Diese Vorurteile gingen Elfi eindeutig zu weit, sie wurde ärgerlich: „Helga, es kommt nicht auf die sexuelle Ausrichtung an, sondern auf den Menschen. Auch Heteros suchen bisweilen nur ein schnelles Abenteuer. Dann nehmen sie sich eine Geliebte oder gehen in den Puff.“ Helga lenkte ein, sie hätte sich wirklich zu ordinär ausgedrückt. Elfi beruhigte sich: „Weißt du, Helga, wenn ich mit Ingo und Udo unterwegs bin, dann hab null Stress. Die baggern mich nicht an, ich muss mir keinen Kopf machen, ob mein Outfit zu sexy ist. Für die bin ich wie 'ne Schwester, und die sind verdammt höflich zu mir. Verstehst du?“ Elfi wusste nicht, ob Helga sie wirklich verstanden hatte, aber sie fand es gut, dass sie mit Helga so offen über Schwule geredet hatte.

Elfi und Ingo saßen mal wieder in einem Straßencafé und beobachteten die Männer. Ein wirkliches Prachtexemplar schlenderte vorbei. Ein Traum von einem Mann. „So einen Typen kann es nicht geben. Das sind Halluzinationen“, nuschelte Ingo. Elfi stimmte ihm zu, sie lächelten sich verständnisinnig an. Wenig später stand dieser Typ in der Buchhandlung, in der Elfi arbeitete. Sie bediente ihn und entschied sich für eine Charme-Offensive, die überraschend schnell Wirkung zeigte. Der Mann, der sich als Georges vorstellte, lud sie für den Abend in ein Bistro ein. Drei Tage später landeten sie im Bett. Das war eigentlich nicht Elfis Art, aber sie konnte seiner hocherotischen Ausstrahlung einfach nicht widerstehen. Ingo gegenüber deutete sie nur an, das etwas lief. Auch er hatte offensichtlich was am Start, erzählte aber nichts. Das ging drei Wochen so.

Heute wollten sie mal wieder ins „Rosa-Rosa“ gehen, ein beliebter Treff für Schwule und Lesben. Sie plauderten locker, schlossen Wetten darauf ab, wann sich Udo und Lothar mal wieder trennen würden. Plötzlich sah Elfi Georges in der Tür stehen. Freudig rannte sie auf ihn zu: „Schatz, was macht du denn hier?“ Ingo drehte sich: „Georges, du??“ Elfi schaute fassungslos. Ungeniert nahm Georges am Tisch Platz: „Ach, ihr seid befreundet? Ich bin nun mal bi. Ich will euch beide.“ Dann ging er. Abends saßen Ingo und Elfi heulend bei Udo, der erstmal einen Rotwein entkorkte. Sie fühlten sich nicht nur betrogen, sondern gedemütigt. Normalerweise betrügt ein Mann eine Frau mit einer Frau, ein schwuler Mann einen Mann mit einem Mann. Damit hätten sie umgehen können, aber Georges hatte Elfi mit einem Mann betrogen und den schwulen Ingo mit einer Frau. Das war grauenhaft. Und jetzt wollte der Kerl die Affaire mit ihnen fortsetzen, das war eine Ohrfeige. Ingo nuschelte: „Elfi, du kannst den gern haben. Ich will ihn nicht.“ Elfi entgegnete: „Ingo, du kannst ihn haben. Ich will ihn auch nicht.“ Also schrieben sie diesem Prachtexemplar eine SMS, dass er sich zum Teufel scheren sollte. Die letzte Flasche Rotwein war leer, die letzte Bahn hatten sie verpasst. Udo richtete die Bettcouch her und brachte zwei Schlafsäcke. Ingo und Elfi kuschelten sich aneinander, sie schaute ihn mit einem Lächeln an und dachte: „Schwule Freunde sind die besten!“

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.03.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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