Julia Schwindt

Countdown

Ich habe mindestens zwanzig Pfund zuviel. Nicht nur auf den Hüften, sondern überall. Scheißspiel. Dabei steht der Sommer vor der Tür. Wird wohl diesmal nichts mit der Bikinifigur. Es stört ihn nicht, sagt mein Geliebter, aber er schläft nicht mehr oft mit mir.

Es ist der letzte Tag im Mai.

Ich habe ein Date, nach acht Jahren zum ersten Mal wieder mit einem neuen Mann. Mein Geliebter wird es nicht erfahren. Er kommt heute nicht. Er hat andere Verpflichtungen. Heute ist sein Hochzeitstag.

Er hat trotzdem nichts zu befürchten. Er muß nicht eifersüchtig sein. Nichts wird geschehen. Ich will keinen One-Night-Stand. Ich will nur einen Abend lang nicht allein sein. Gelegenheit macht eben doch nicht immer Liebe. Ich gehe einfach nur mit jemandem ins Kino. Und keinen Schritt weiter.

Fremdgehen ist Streß. Das muß ich mir nicht mehr antun. Ich bin erwachsen. Ich kann durchaus mit einem Mann ausgehen, ohne hinterher mit ihm zu schlafen. Aus diesem Alter bin ich heraus, und ein gemeinsamer Abend ist schließlich kein Freibrief mehr, so wie früher. In welchem Jahrhundert leben wir denn?

Diskutieren muß ich das trotzdem nicht. Mein Geliebter würde es nicht verstehen. Ausnahmen gelten nur für ihn.

Es wird Zeit. Ich habe dem Mann, der kein One-Night-Stand wird, versprochen, ihn abzuholen. Ich fühle mich zwar nicht schön, aber gut. Das reicht für heute Abend.

Vor seiner Tür Herzklopfen, ganz kurz nur. Nichts von Bedeutung. Mir fehlt einfach die Übung. Ich läute. Na also, geht doch.

Ein enger Hausflur, rechts die Wohnungstür. Kleine Diele, kleines Badezimmer, kleine Küche. Der Wohnraum ist ziemlich groß, zwei Schränke, eine Eßecke mit vollgemüllten Stühlen, Fernseher, Schlafcouch. Zwei Fenster zur Straße. Er wohnt noch nicht lange hier.

Setz dich, sagt er und umarmt mich kurz zur Begrüßung, ich zieh mir nur noch die Schuhe an. Das Telefon klingelt. Ich setze mich auf die Couch, ganz vorn auf die Kante. Anders geht es nicht. Dieses überdimensionierte Schlaf-Sitz-Möbel ist viel zu breit, wer sich anlehnen will, liegt zwangsläufig auf dem Rücken. Ein Bumssofa, aber nichts für Besuch.

Er telefoniert immer noch. Sucht irgend einen Zettel, fragt nach irgend einem Sebastian, gibt Ratschläge, lacht. Daß ich zwangsläufig mithöre, scheint ihn nicht zu stören. Ich nehme mir eine Zeitung vom Boden und habe plötzlich nicht mehr das Gefühl, in einer fremden Wohnung zu sein. Seine Ungezwungenheit überträgt sich auf mich. Worüber habe ich mir eigentlich Gedanken gemacht? Er ist ein Kumpel, offen, herzlich. Ich kenne ihn schon länger, aber nur flüchtig. Vor ein paar Tagen haben wir uns zufällig getroffen und den ganzen Abend geredet. Er lebt seit ein paar Wochen getrennt, will wissen, wie das war, als meine Ehe in die Brüche ging, wie ich das Alleinleben ertrage, will meine Geschichten hören und seine Geschichte erzählen.

Ein Mann, der reden kann wie ein Buch. Mit so einem kann man befreundet sein, aber man geht nicht mit ihm ins Bett. Außerdem ist er nicht mein Typ. Auf seinen Typ würde ich gar nicht erst kommen: mittelalt, ein bißchen weniger als mittelgroß, ein bißchen mehr als mitteldick. Kurze Haare, blaue Augen, Brille. Jeans, blaues Hemd, braune Schuhe. Für einen Kumpel ist das in Ordnung, für einen Liebhaber nicht.

Entwarnung auf der ganzen Linie.

Er ist endlich fertig mit dem Telefon, geht ins Bad, es plätschert lautstark. Er läßt die Tür offen, erzählt von seiner Schwester, die ihm die schönen Vorhänge genäht hat. Dunkelbraun, bodenlang, die Falten mit Nadeln festgesteckt. Dazu passend ein graubraun gesprenkelter Teppichboden, der leider auch noch für die Diele gereicht hat. Den Kontrapunkt setzt das Bumssofa mit seinem verwegen gemusterten Bezug – schwarz mit neonbunten Pinselstrichen. Sonderangebot aus der Jugendabteilung. Diese Wohnung lebt von Gegensätzen. Und er findet nichts dabei, bei offener Tür zu pinkeln.

Dann gehen wir los.

Vor der Tür steht sein Auto, mittellblau, Mittelklasse. Ein Benzinfresser, eine Familienkutsche, das einzige Relikt aus seiner Vergangenheit. Wir fahren ein Stück über die Autobahn. Er gibt Gas. Und redet schon wieder ohne Punkt und Komma: daß er früher ein Haus hatte und nach dem Rasenmähen gern mit einem Bier auf der Gartenmauer saß. Daß er froh ist, seine Frau nicht mehr zu sehen. Daß er seine Kinder vermißt, und wie gefällt mir eigentlich seine Wohnung?

Er löchert mich mit Fragen nach meinen Erfahrungen als Single. Es gibt viel zu lernen, immerhin war er nie allein, hat direkt vom Elternhaus weg geheiratet. Ist mit seiner Frau in eine kleine Wohnung gezogen. Hat Zeitungen ausgetragen, gespart, ein Haus gebaut, Kinder gezeugt. Hat Rosenstöcke im Garten gepflanzt, einen Grillplatz angelegt, Liegestühle auf die Terrasse gestellt. Hat sich zum ersten Mal von seiner Frau getrennt, die Trennung wieder rückgängig gemacht, eine Eigentumswohnung gekauft, das Haus aufgegeben. Jetzt ist er wieder dort, wo er vor mehr als zwanzig Jahren war: in einer kleinen Wohnung, und Zeitungen will er auch wieder austragen, weil er so viel Unterhalt zahlen muß, und man will sich ja schließlich auch mal was gönnen.

Heute haßt er seine Frau, er will sie nie wieder sehen, sie hat sein Leben ruiniert. Seinen Trauring hat er schon lange abgelegt. Er ist stolz auf seine Konsequenz. Die Halskette, die sie ihm zum letzten Geburtstag geschenkt hat, trägt er aber immer noch.

Er präsentiert mir seine ganze Lebensgeschichte in weniger als einer halben Stunde. Zwischendurch landet seine Hand auf meinem Arm, meinem Knie oder wohin er sonst gerade so trifft. Er kann kaum einen Satz zu Ende bringen, ohne sein Gegenüber handgreiflich zur Aufmerksamkeit zu mahnen. Na denn.

Und ich hatte schon Angst, es würde langweilig.

Endlich das Kino, wenn auch vorerst nur von weitem. Ein Klotz in alptraumrosa, umgeben von Einbahnstraßen, die immer wieder in die falsche Richtung führen. Wir fahren an einem Sexshop vorbei. Er war einmal in seinem Leben im Bordell, mit achtzehn oder zwanzig, und wird nie mehr einen Fuß in so einen Laden setzen. Er findet es deprimierend, die Mädchen können ihm nur leid tun, und Sex gegen Geld ist sowieso das letzte. Hat er auch nie nötig gehabt.

Ach, Mann. Darauf warte ich jetzt, seit das Thema auf dem Tisch ist, ich hab's gewußt, der Satz mußte kommen. Bei einem wie ihm erst recht. Er ist womöglich sogar noch ein bißchen spießiger als andere.

Ich verzichte auf einen Kommentar. Das Grinsen kann ich mir trotzdem nicht verkneifen. Er muß lachen. Wenigstens etwas.

Wir suchen einen Film aus. Gar nicht so einfach, wenn man nicht weiß, was man will, und obendrein den gegenseitigen Geschmack nicht kennt. Zu schwierige Themen wollen wir jedenfalls schon mal nicht. Schindlers Liste? Nightmare on Elm Street? The Deep Blue? Zu viel Schicksal, zu viele Zombies, zu viele Fische. Schließlich einigen wir uns auf Julia Roberts und Denzel Washington: Die Akte. Ich hab gehört, der soll gut sein, sagt er.

Ein bißchen Zeit ist noch bis zum Film. Wir holen uns was zu trinken, stehen herum und gucken. Niemand kommt an uns vorbei, ohne daß wir uns die Mäuler zerreißen. Er teilt meine Vorliebe für die kleinen Gemeinheiten. Zwischendurch umarmt er mich kumpelig herzhaft, weil er sich freut, daß wir uns so gut verstehen.

Er vereinnahmt mich nicht nur verbal, sondern mit Händen und Füßen.

Irgendwann bleibt sein Arm auf meiner Schulter liegen, neben meinem rechten Ohr verglüht seine Zigarette. Nett, gerade weil's nur freundschaftlich ist. Trotzdem blitzt im Hinterkopf ein Gedanke auf: was wäre, wenn mein Geliebter mich jetzt sehen könnte?

Wenn schon. Ich schluck das komische Gefühl in der Magengegend schnell herunter. Ich nehme schon so lange Rücksicht auf ihn, seine Vorstellungen, seinen Zeitplan, seine Empfindlichkeiten. Ich kann mir keine Nachlässigkeit leisten, ich bin nicht seine Frau. Ich bin sein kleines großes Geheimnis und als solches nicht nur zum Stillschweigen, sondern auch zum Wohlverhalten verpflichtet. Wie schnell kann sonst alles zu Ende sein. Es ist so einfach, mich zu verlassen. Und heute, an seinem Hochzeitstag, hat er andere Dinge zu tun.

Ich jetzt auch.

Er bietet mir schon wieder eine Zigarette an, die ich - zum wievielten Mal jetzt? - ablehne. Es ist sowieso seine letzte, er muß noch schnell neue holen, obwohl man im Vorführraum nicht rauchen darf. Er qualmt am laufenden Meter, mindestens sechzig am Tag. Mir soll's egal sein, ich bin zum Glück nicht mit ihm verheiratet, und in meine Wohnung darf er sowieso nicht. Zu viele Hinweise, zu viele Fotos, die meinen Geliebten enttarnen würden. Er kennt ihn auch.

Wenn man sich lange genug versteckt hat, wird man vorsichtig.

Er kauft eine Tüte Popcorn. Es gibt drei Ausführungen, er nimmt die größte. Natürlich. Wir können ja teilen, sagt er. Schade. Ich hätte gern zugesehen, wie er alles allein verdrückt und dann sang- und klanglos platzt. Er ist ein bißchen verfressen, und man sieht auch, wo es bleibt. Und er redet eindeutig zu viel. Aber er ist auch nett und lustig und kein bißchen beunruhigend, eben weil ihm so jeglicher Sexappeal abgeht.

Ein Glücksfall für eine wie mich.

Der Vorführraum ist nicht sehr groß, ziemlich hell, ziemlich plüschig. Ein paar Leute sitzen schon. Wir nehmen die Eckplätze in der letzten Reihe, mit viel Beinfreiheit und niemandem im Nacken. Der Popcorneimer paßt genau zwischen die Sitze. Über die Leinwand flimmern Werbespots. Eine Zeitlang höre ich nicht mehr viel von ihm, weil er damit beschäftigt ist, eine Handvoll Körner nach der anderen einzufahren. Er tut sich wirklich keinen Zwang an. Nur die Sache mit dem Rauchverbot stört ihn etwas.

Schließlich – die Werbespots laufen immer noch – wischt er sich die Krümel von den Fingern und schüttelt sich. Wenn ich jetzt noch mehr esse, wird mir schlecht, sagt er. Kann ich verstehen. Er nimmt den Eimer, stellt ihn auf den Boden, dreht sich zu mir, packt mich buchstäblich bei den Ohren und fängt an, mich zu küssen.

Moment mal. Augenblick! Hilfe!!

Wie nun? Was ist los? Er legt sich mächtig ins Zeug. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Jetzt läßt er auch noch meine Ohren los und sucht sich was anderes zum Festhalten. Was ist das jetzt für ein Spiel?

Fragt mich auch mal jemand? Will ich überhaupt mitspielen?

Er hat mich einfach überrumpelt. Unfair. Skrupellos. Schweinerei. Andererseits: ich mache es ihm auch nicht besonders schwer. Von Abwehr kann keine Rede sein. Im Gegenteil. Ich will zwar nicht behaupten, daß das Gesetz des Handelns auf mich übergegangen ist, aber ich habe mindestens gleichgezogen.

Irgendwann gucken wir uns an und müssen lachen. Ich mache einen halbherzigen Versuch, meine Kleidung zu ordnen. Dabei fällt mir auf: der Film hat offensichtlich schon vor geraumer Zeit angefangen. Trotzdem ist die Beleuchtung im Vorführraum nur ganz wenig gedimmt. Das Kino ist mittlerweile voll besetzt, und wir haben nichts davon mitgekriegt. Aber wir haben allen, die hereinkamen, eine wunderbare Aussicht geboten: jeder, der den Raum betritt, hat freie Sicht auf unsere Plätze. Prost Mahlzeit. Dafür hätten wir Geld nehmen können.

Andererseits: es ist nun mal passiert, und wir tragen schließlich keine Namensschilder um den Hals. Also machen wir weiter. Jetzt guckt sowieso keiner mehr.

Ich werfe einen pflichtschuldigen Blick auf die Leinwand. Julia Roberts wühlt mit alarmierter Miene in einem Aktenschrank. Leider sind mir die Gründe für ihre Aufregung nicht bekannt: ich hatte inzwischen zu tun. Das Defizit ist nicht mehr aufzuholen. Kann man nichts machen. Hauptsache, ich hole jetzt mal andere Defizite auf.

Obwohl, das Ganze hätten wir auch billiger haben können. Ich hätte vielleicht direkt auf dem Bumssofa liegenbleiben sollen.

Gehen wir zu dir oder zu mir, fragt er. Wirklich. Das hat mich so noch keiner gefragt. Das ist Klischee, der falsche Film, ein B-Movie. Was will er bei mir? Die Pinwand über meinem Bett geht ihn nun wirklich nichts an. Und wieso glaubt er, daß ein bißchen Fummeln schon ausreicht, um den Abend horizontal zu beenden? Dem werde ich was erzählen.

Gehen wir zu dir, sage ich.

Während wir vom Parkplatz fahren, fällt ihm immerhin ein, daß es schon einen Mann in meinem Leben gibt. Die Leidenschaft ist ein bißchen angekühlt, das Gehirn schaltet sich ein. Er will zwar mit mir ins Bett, aber nicht um jeden Preis. Jedenfalls will er kein Porzellan zerschlagen. Probleme können wir beide nicht gebrauchen.

Er hat Recht. Ich habe gerade das Gleiche gedacht. Was bringt das hier? Bestenfalls eine lustige Nacht. Hinterher schlechtes Gewissen, Grübeln, womöglich Lügen. Das ist es nicht wert.

Ich erkläre es ihm. Ja, ich habe einen Freund, aber wir leben nicht zusammen. Wir haben getrennte Wohnungen. Trotzdem sind wir schon lange ein Paar. Und wir sehen das alles nicht so eng, jeder kann seine Freiheit ausleben, wenn es sich gerade so ergibt. So lange es unverbindlich bleibt. So lange der andere nicht brüskiert wird. Eine moderne, offene, vertrauensvolle Partnerschaft. Manchmal schwierig, aber vor allem ehrlich.

Ich höre mich reden und kann mich nur wundern. Was ist das für ein Schwachsinn? Ich wollte ganz etwas anderes sagen.

Aber die Wahrheit geht ihn nichts an. Es geht ihn nichts an, daß mein Geliebter zwei Frauen hat und ich einen halben Mann. Es geht ihn erst recht nichts an, aus welchen Gründen ich dieses Theater mitspiele. Ich muß mich hier und heute nicht rechtfertigen und nicht erklären, warum ich was tun will und was nicht. Ich muß einfach nur mein Privatleben schützen, und das von ein paar anderen Leuten gleich noch mit dazu.

Ich könnte immer noch problemlos aus dieser Geschichte aussteigen, wir würden noch ein Bier zusammen trinken und uns verabschieden. Nichts Wesentliches würde sich verändern. Das bißchen Knutschen ist kein Weltuntergang. Ein Wort von mir, und das oberste Gebot bliebe gewahrt: kein Sex mit einem anderen Mann.

Scheiß auf das oberste Gebot.

Die Autobahn ist um diese Zeit so gut wie leer. Er fährt trotzdem langsam, viel langsamer als vorhin. Seine Hand liegt wieder auf meinem Oberschenkel. Er sieht immer noch so aus wie vor ein paar Stunden, er trägt bestimmt Schiesser Feinripp und weiße Socken, und er ist überhaupt kein Kumpel mehr. Er weiß genau, was er will und wie er es kriegt.

Ich aber auch.

Nach so vielen Jahren Vorsicht, Rücksicht und Nachsicht tu ich, was mir Spaß macht. Na gut, ich habe freiwillig Rücksicht genommen, habe mich freiwillig in die zweite Reihe gestellt mit der Gewißheit, die geheime Nummer eins zu sein. Ich war stolz darauf. Meinem Geliebten kann ich keinen Vorwurf daraus machen, daß er genommen hat, was so bequem zu haben war. Ich habe es ihm freiwillig gegeben.

Das hier nehme ich mir freiwillig. Nachdenken kann ich morgen. Außerdem muß ich dringend aufs Klo. Die Sache hier ist leider nicht frei von Banalität. Das macht sie schon fast wieder zu etwas Besonderem.

Haustür, Flur, Diele, Wohnraum. Das Bumssofa, schon ein guter alter Bekannter.

Er knipst eine kleine Stehlampe an und schaltet die Deckenbeleuchtung aus. In Ordnung. Das helle Licht blendet, Schummeriges bekommt meiner unperfekten Figur besser. Für einen Augenblick wünsche ich mir meine fünfzig-Kilo-Zeit zurück, dann ist es nicht mehr wichtig. Er ist auch kein Adonis, ob mit oder ohne Schiesser Feinripp.

Wenigstens die Socken hätte er ausziehen können. Auch egal.

Das Sofa ist bequem, der Stoff unter mir glatt und kühl. Ein paar Kissen gehen zu Boden. Ein fremder Körper. Gewöhnungsbedürftig. Acht Jahre sind eine lange Zeit. Aber das Spiel ist das gleiche, nur der Spielkamerad ist ein anderer.

Auf das, was hier gerade abläuft, war ich nicht vorbereitet. Nicht mit diesem redseligen Spießerkumpel. Auf einmal ist er ganz anders.

Und ich? Mein Geliebter schläft in diesem Augenblick wahrscheinlich gerade mit seiner Frau: übrigens ein Teil seines Lebens, den er mir nie vorenthalten hat. Ich wußte immer, wann er es tun wollte. Ich habe mich immer davor gefürchtet, es zu wissen. Jetzt habe ich gleichgezogen. Soll er tun, was er will.

Ich aber auch.

Endlich habe ich die Regeln begriffen.

Schluß mit dem leidigen Verantwortungsgefühl: es liegt nicht nur an mir, unsere Liebe zu erhalten. Schluß mit der ewigen Rücksichtnahme: ich will nicht mehr nur die Pflichen, sondern auch die Rechte. Schluß mit dem Gefühl, ich wäre seine Frau: er hat schon eine. Ich bin es nicht.

Und scheiß auf das Übergewicht, den hier stört es nicht. Der hier will ganz was anderes.

Dann macht es klick in meinem Kopf, und der Verstand hält endgültig die Schnauze. Es ist auch höchste Zeit.

Der Countdown läuft.

Stunden später: auf dem Boden ringelt sich ein schlappes Kondom. Ich rauche meine erste Zigarette seit zwanzig Jahren. Er hat seine Socken immer noch an. Wir haben beide bekommen, was wir wollten. Es ist Zeit, nach Hause zu gehen. Im Grunde ist nichts passiert. Trotzdem hat sich etwas verändert.

Er ruft mir ein Taxi.

Auf dem Rückweg kaufe ich Zigaretten. Mein neues Laster. Es wird mich irgendwann verraten. Vielleicht.

Es ist drei Uhr vorbei, als ich nach Hause komme. Nicht mal die Vögel rühren sich um diese Zeit. Ich bin zum Umfallen müde. In zweieinhalb Stunden klingelt der Wecker. Trotzdem springe ich noch schnell unter die Dusche: ein Zugeständnis an meinen Geliebten, der mich manchmal morgens vor der Arbeit besucht.

Im Bett rauche ich eine letzte Zigarette.

Die erste Straßenbahn scheppert kreischend um die Ecke. Ich drücke die Zigarette im Aschenbecher aus. Eine dünne Rauchfahne steigt auf und verschwindet.

Und die Dinge nehmen ihren Lauf.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.03.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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„Krachen, Scheppern und dann gewaltiger Lärm, als ein schwerer Gegenstand an die Wand geworfen wurde. Oh verdammt, die Verrückte spielte drüben in der Küche schon wieder ihr absolutes Lieblingsspiel – Geister vertreiben. Gleich würde sie hierher ins Wohnzimmer stürzen, wo ich versuchte, in Ruhe meine Hausaufgaben zu machen. Und dann würde sie mir wieder lang und breit erklären, welches Gespenst gerade versucht hatte, durch die Wand zu gehen und sie anzugreifen. Ich hasste sie! Ich hasste dieses Weib aus ganzem Herzen!“ Die 13-jährige Eva lebt in einer nach außen hin heilen, kleinbürgerlichen Familie. Hinter der geschlossenen Tür herrscht Tag für Tag eine Hölle aus psychischer und physischer Gewalt durch die psychopathische Mutter und den egomanischen Vater. Verzweifelt versucht sie, sich daraus zu befreien. Vergebens - bis ihr ein altes Buch in die Hände fällt. Als letzten Ausweg beschwört sie daraus einen Teufel. Er bietet ihr seine Hilfe an. Aber sein Preis ist hoch...

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