„Wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder, die lang ich vergessen geglaubt“. Dieser Vers aus Adalbert von Chamissos Gedicht „Das Schloss Boncourt“ geht mir nicht mehr aus dem Sinn, seit eine Frage meiner uruguyischen Freundin alte Erinnerungen wieder aufleben liessen.
Sie schrieb, in Montevideo, wo ich acht Jahre lang lebte, werde die Neue Germanische Medizin immer populärer, und ob ich darüber etwas Genaueres wüsste. Mit dieser Frage tauchen bei mir Gespenster aus der Vergangenheit vor 35 Jahren auf.
Was ich damals mit Dr. Hamer erlebte, dem Gründer der Neuen Medizin, könnte Stoff für einen spannenden Kriminalroman ergeben. Ich hatte eine Ausbildung zur Heilpraktikerin begonnen und befand mich in einem Wochenendseminar in der Nähe von Katzenellenbogen. Dort hörte ich von der Privatklinik eines Arztes, der sich auf alternative Krebsbehandlungen spezialisiert hatte. Das Thema interessierte mich, und ich beschloss, den Leiter der Klinik, Dr. Hamer, aufzusuchen, auch in der Hoffnung, eventuell einmal bei ihm arbeiten zu dürfen.
Das dort erlebte Szenario war mehr als makaber. Etwa 20 Patienten waren um eine lange Tafel zum Mittagessen versammelt, die meisten Franzosen, mit denen ich mich dann ausgiebig unterhielt, da ich zum Essen eingeladen war. Es gab üppige Platten mit hauptsächlich Schweinefleisch und anderen Leckereien. Dann öffnete sich die Tür zum Speisezimmer, und Dr. Hamer, eine Art Curd Jürgens, schwebte herein, gefolgt von seinem Mitarbeiter Stab.
Alle Patienten klatschen Beifall, die, die noch gehen konnten, standen auf zur „standing ovation“, etwa die Hälfte saß im Rollstuhl und lächelte den großen Guru dankbar an.
Nach dem Essen sprach ich Dr. Hamer auf das Essen des vielen Schweinefleischs an und meinte, bei Krebs sollte doch vor allem das Immunsystem durch Obst und Gemüse gestärkt werden. Daraufhin er: „Papperlapp, so etwas wie ein Immunsystem gibt es nicht“.
Dann nahm er mich mit in sein Arbeitszimmer und zeigte mir die vielen Röntgenaufnahmen, die er von den Gehirnen seiner Patienten gemacht hatte. Dort waren angeblich „Knoten“ zu sehen, die auf den Konflikt hinwiesen, der die Erkrankung ausgelöst hatte.
Mein erster Eindruck von diesem Mann, dessen Geschichte ich damals noch nicht kannte, war zwiespältig. Wie paranoid er wirklich war, erfuhr ich erst später durch die Presse. Auch ließ er mir ausrichten, ich dürfe seine Klinik nie mehr betreten, da ich angeblich seine französischen Patienten ausspioniert hatte.
Das Thema Hamer beschäftigte mich aus eigener Betroffenheit noch viele Jahre.
1986 wurde seine Privatklinik in Katzenellenbogen geschlossen, nachdem fast alle Krebspatienten gestorben waren. Diesem Fanatiker wurde mehrfach die Approbation entzogen, gegen ihn bestanden Haftbefehle, er saß zwei Mal im Gefängnis und rettete sich am Ende seines Lebens nach Schweden, wo er 2017 starb.
Sein „Germanische Neue Medizin“ existiert weiter. Es ist sicher richtig, dass jeder Krebserkrankung ein innerer Konflikt zu Grunde liegt. Doch die Suche nach dem Knoten im Gehirn ist keine ausreichende Behandlung, vor allem, wenn alle anderen Maßnahmen zur Genesung vernachlässigt werden, wie es bei Hamer der Fall war. Was seine Nachfolger aus diesem Vermächtnis machen, entzieht sich meiner Kenntnis.
Doch die blinde Verehrung, die sein sogenannter Freundeskreis ihm bezeugte, und die Weiterverbreitung seiner dubiosen Heilmethode über seinen Tod hinaus, ist mir unverständlich und beruht meiner Meinung nach auf einem Irrtum.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.03.2019.
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