Norman Dunfield
Die lange Dürre
Unter einer langen Dürre versteht man allgemein eine
Hitzeperiode, welche über mehrere Wochen oder gar
Monate andauert. In diesem Fall handelt es sich jedoch
um eine Person, die Hitzeperioden über viele Jahre
hinweg wissentlich vermieden hat.
Gerda S. hatte eine Körpergröße von 1,96 m bei einem Lebendgewicht
von unter 60 Kg. Sie war flachbrüstig und auch ansonsten nicht sonderlich
attraktiv. Ihr Äußeres betonte sie zusätzlich mit einer Besenfrisur. Sie war
schon fast 50 Jahre alt und hatte den Kontakt zu männlichen Körperteilen
stets vermieden. Sie war eine sehr gläubige Evangelistin und übte in dieser
Eigenschaft ihren Job als Kirchenorganistin leidenschaftlich aus. Nebenbei
dirigierte sie auch noch den Kirchenchor, wobei ihre optische Erscheinung
dabei wirkte, wie ein Fahrradständer bei der Morgengymnastik.
Bereits während ihrer Schulzeit war Gerda S. viel größer und viel dünner
als die anderen Kinder gewesen, von denen sie bereits zu dieser Zeit als
"Die lange Dürre" bezeichnet wurde. Wärend alle anderen Mädchen irgendwann
einen Freund hatten, weinte Gerda schon in jungen Jahren in die Tastatur ihrer
Orgel. Wenn sie in den Spiegel sah, wusste sie, dass sie für Jungens oder
gar Männer sicherlich nicht sonderlich begehrenswert war.
Gerda S. trug ständig eine blaue Jacke und eine schwarze Hose. Sie
hatte davon wahrscheinlich 20 Garnituren in ihrem Schrank. Dann geschah
es, dass die Kirchenverwaltung irgendwann im Frühsommer einen neuen
Küster einstellte. Zu dessen Aufgaben zählte das Starten des Klingelbeutels
während der Gottesdienste, die Kultivierung der Umlagen sowie die ständige
Überwachung und Wartung der technischen Anlagen. Dazu gehörte auch
die Zeitschaltuhr für die Glocken, damit das christliche Klangmetall jeweils
pünktlich aus dem Glockenstuhl dröhnen konnte.
Der neue Küster war etwa so alt wie Gerda. Er war recht gut gebaut und
verfügte über einen sauber polierten Haarkranz. Lediglich ein kleiner
Kugelbauch war offenbar der einzige Luxus, den er sich gönnte.
Wenn er draußen in kurzer Hose auf dem Sitzrasenmäher saß, wirkte
das etwa so, wie Ben Hur auf einem Kettcar. Braune Sandalen und
karierte Socken verstärkten dieses Bild noch ein wenig. Gerda hatte
sich jedoch spontan in den neuen Küster verknallt. Zum ersten Mal in
ihrem Leben hatte sie das Gefühl, dass es Feuchtigkeit anscheinend nicht
nur an Kellerwänden gibt. Sie gab sich alle Mühe, diesem hübschen Mann
zu gefallen, zumal sie wusste, dass auch er nicht verheiratet war.
Der neue Küster war jedoch von Gerda's Bemühungen nicht sehr begeistert.
Bereits nach kurzer Zeit gab er ihr unmissverständlich zu verstehen, dass
er lieber auf einem Nagelbrett schlafen würde, als mit ihr eine Matratze
zu teilen. Also musste Gerda ihre Sehnsucht nach Pfeifen auch weiterhin
ausschließlich durch die Klangkörper ihres Tasteninstruments stillen.
Ihre Jungfräulichkeit blieb ihr erhalten, jedoch fühlte sie sich nach der Abfuhr
durch den Küster wie ein zerknittertes Gesangbuch. Erschwerend kam hinzu,
dass sie diesem Mann aus beruflichen Gründen fast jeden Tag begegnen
musste.
So vergingen die Jahre und die Haare von Gerda S. wurden allmählich immer
grauer. Im Jahr 2015 quittierte sie sämtliche kirchlichen Ämter und ging in
den Ruhestand. Ihre Fleischeslust befriedigte sie fortan mehrmals wöchentlich
beim Metzger. Sie kaufte ständig Steaks und Koteletts, um möglicherweise
irgendwann doch noch ein paar Gramm zuzunehmen. Entsprechende Erfolge
sind allerdings bis zum heutigen Tag nicht bekannt.
Übrigens...
...gibt es Gerda S. wirklich. Die Geschichte ist nicht frei erfunden.
Sie ist inzwischen 66 Jahre alt. Potente junge Hengste haben sicherlich
eine Chance.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.04.2019.
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