J. Liliana Altair

Gedanken einer Maus 3

Tag 3

Schmerzen

 

Ein neuer Tag bricht an, die Dunkelheit schwindet dahin, als würde sie einfach ausgewischt - und ich, die kleine graue Maus, werde mit ihr gehen - ich bin kein Wesen des Lichts, ich hause im Dunkeln. Das ist auch besser so, denn dort, in den Schatten kann ich den Schmerz, der in mir tobt, verbergen, und ebenso die Tränen, die mir in den Augen stehen und die ich nicht wegwischen kann. Sie sind immer da, sichtbar oder nicht, ich kann sie fühlen und schmecken - und sie machen mich verrückt.

Warum ich, warum jetzt, warum hier? Fragen, die ich nicht beantworten kann, die aber diesen Schmerz in mir entfachen, der heller brennt, als jedes Feuer, das ich kenne. Ich verstehe nicht viel von den Dingen der Welt, ich bin nur eine kleine Maus, die um ihr Überleben kämpft, doch ich weiß gerade genug, um diesen Schmerz zu fühlen.

Er dringt in mich ein, wie ein glühendes Schwert, und zerstört mich von innen heraus - er ist wie ein Virus, der das Programm zerfrisst; wie ein Schatten, der mein inneres Licht überdeckt; oder wie ein Sturm, der die Kerze in mir auslöscht - er ist immer da! Wenn ich schlafe, wenn ich wach bin - am Tag, in der Nacht, hier oder an jedem beliebigen Ort, den ich aufsuche.

Ich kann ihn nicht abschütteln, weil er in mir ist - in meiner Seele, in meinem Herzen und meinem Kopf - mal ist er dröhnend laut, dass ich kaum meine eigenen Gedanken hören kann, manchmal ist er leise und unerbittlich nagend in mir. Er zerfrisst mir mein Herz und hört nicht auf, mir sein Gift in die Adern zu spritzen. Schmerzen können furchtbar sein, zerstörend, vernichtend, sogar tödlich, sie können aber auch am Leben halten, so wie der Schmerz es tut, der in mir ist.

Es ist der Schmerz eines Wolfes, eigentlich zu groß, um von einer kleinen Maus ausgehalten zu werden, doch ich ertrage ihn, des Wolfes wegen, der ihn mir gab. Wie raues Sandpapier auf weicher Haut rast er durch meine Eingeweide, er durchdringt mich, hält mich wach, wenn ich schlafen will, schlägt mich nieder, wenn ich versuche, aufrecht zu gehen. Er ist ein Schmiedefeuer: glühend heiß und niederschmetternd hart. Wie Hammerschläge kommt er über mich, zerschlägt mein Leben in tausend kleine Teile, löst mich auf und setzt mich neu zusammen, zu anderer Form, um mich gleich wieder zu zerschlagen. Ich versuche zu schreien, doch ich kann es nicht - der Schmerz raubt mir die Luft zum Atmen. Ich ersticke an ihm, kann nicht mehr atmen...ich suche Halt und greife ins Leere...ich falle......und pralle hart auf den Boden, doch kann ich nicht von ihm lassen. Der Schmerz wird zur Droge, die mich in ihren Klauen hält, wie jede Droge es tut. Er gibt mich nicht frei und ich kämpfe nicht mehr gegen ihn - ich ergebe mich seinem Feuer und trete in die weißglühenden Flammen. Was kann ich schon tun? Ich bin eine Maus, zu schwach um zu kämpfen, und ich bin allein, in der Dunkelheit gefangen und auf der Suche. Und der Wolf? Er sieht über mich hinweg, bemerkt nichts von uns kleinen Tieren und lächelt über die Feuer, die ihn nicht erreichen können. Endlich kann ich schreien, doch mein Schrei verhallt ungehört in den endlosen, zerklüfteten Gebirgen meiner Seele - und niemand scheint zu verstehen, wovon ich rede. Freunde, denen ich von meinem Schmerz erzähle, lächeln über mich, nehmen mich nicht ernst - ich bin allein, mit meiner Qual, allein in der Dunkelheit, die mich nicht aus ihren Pranken entläßt.

Was soll ich tun, an wen soll ich mich wenden, wenn sogar Freunde mich nicht verstehen? Welchen Weg soll ich gehen, soll ich das Licht suchen? Doch dort, im Licht, wird der Schmerz nur größer, brennender, verschlingender, denn dort ist er, der mir den Schmerz gab - er, der Wolf, der im Licht leben kann, ohne diesen Schmerz zu spüren, der mich immer überfällt, komme ich der Sonne zu nahe.

Doch was kann ich sonst tun? Die Schatten geben mir keine Heilung, die Freunde geben mir keine Hilfe und ich selbst bin zu schwach, zu klein, um mir selbst Hilfe oder Heilung geben zu können. Ich muss ans Licht, muss dem Wolf ein Zeichen geben, vielleicht kann er mich hören, vielleicht kann ich ihn erreichen. Es ist eine Chance, ein kleiner Funke der Hoffnung, doch es fehlt mir an Mut, ins Licht zu treten, denn was ist, wenn ich ihn - den Wolf - wirklich erreiche und er mir helfend die Hand entgegenstreckt?

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wie kann ich es auch wissen, wo Schmerzen mir meinen Verstand benebeln, mir die Sinne rauben und mein Herz in Unruhe und Zweifel stürzen, die zu ertragen mir immer schwerer fällt. Soll ich einen Freund um Rat bitten, auch auf die Gefahr hin, dass er mich nicht versteht - ich hörte sie lachen über mich, meine verrückten Gedanken und so irrational erscheinenden Schmerzen. Doch wie können sie lachen, wie können sie mir das antun?

Ich möchte schreien, sie anschreien, damit aufzuhören! Ich will zuschlagen, auf sie einschlagen, bis sie aufhören zu lachen, bis sie beginnen zu verstehen oder für immer verstummen. Mir ist alles gleich, solange nur ihr Lachen verklingt - sie treiben Scherze mit dem, was mir Qualen und Schmerzen verursacht, was meine Seele aufschreien lässt und mir mein Herz zerreißt. Wie können sie das tun - wie können sie es wagen!

Verletzt ziehe ich mich zurück, ich werde nicht mehr mit ihnen reden, lieber ersticke ich an meinem Schmerz und meinen Worten, die mich mit der Zeit verbrennen werden. Lieber erdulde ich die Dolche, die sich in meinen Körper bohren, als noch einmal ihr Lachen ertragen zu müssen. Ich werde versuchen, den Wolf zu finden - ich muss ihn erreichen, ich muss!

Doch wie soll ich das machen? Oft schon habe ich versucht, die Ursachen meiner Schmerzen zu erreichen, sie zu bekämpfen, sie zu lindern, doch je mehr ich es versuchte, desto schlimmer wurde es. Es ist ein aussichtsloser Kampf, den ich immer aufs Neue beginne. Aber ich muss es versuchen, Gelächter hin, Schmerzen her - es ist sinnlos, beides zu verleugnen, denn dadurch wird es nicht verschwinden. Ich kann mich nur auf die Hinterbeine stellen und nach dem Licht greifen. Alle Höllen der Welt werden mich nicht aufhalten, mein Mut wird mich leiten, meine Angst werde ich verdrängen und das Feuer des Schmerzes wird mir zu Energie, zur Triebfeder, die mein Handeln bestimmt.

Ich werde die Hindernisse beiseite drängen, werde den Wolf rufen durch die Dunkelheit meines Seins und durch den Schmerz, der mir die Sinne raubt. Alles ist besser, als zu verbrennen; alles ist besser, als sich zu ergeben; alles ist besser, als zu ertragen, was vielleicht zu ändern ist.

Ich weiß, ich bin in die Falle gelaufen, die der Wolf mir gestellt hat, doch ich ging mit offenen Augen hinein, ich hatte die Wahl und habe sie getroffen...dass mich nun der Schmerz ob meiner Entscheidung plagt und niemand mich verstehen kann, das ist mein Schicksal, das ich tragen muss, auch wenn es schwerer wiegt, als die Kraft einer Maus es ertragen kann. Ich werde nicht mehr schreien, ich werde meinen Kampf aufs neue beginnen. Ich muss es versuchen, auch wenn ich allein antrete, ohne Rückendeckung. Und wenn mich ein Pfeil von hinten erwischt und mich zu Boden streckt, dann werde ich ihn aus meinem Körper reißen, mich schütteln und meinen Weg weitergehen.

Ich kann es ertragen, ich muss nur an mich und meine Kraft glauben - und an den Schutz, den die Dunkelheit mir gibt. Ich husche weiter durch die Nacht, auf der Suche nach meinem Weg ins Licht und ich spüre, wie der Schmerz weniger wird, nur einen Moment lang. Ich verbanne die Schreie, setze mein Herz neu zusammen und heile meine Seele...bis der Wolf mich aufs neue erwischt und mein Werk vernichtet. Doch macht das nichts, dann fange ich eben von vorne an.

Hörst du, Wolf, der mir meine Seele stahl, ich werde nicht aufgeben! Ich werde den Schmerz bekämpfen, so lange, wie es nötig ist. Und ich werde dich suchen, und ich werde dich finden! Das schwöre ich, so wahr ich die kleine, graue Maus aus den Schatten der Welt bin...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.05.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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