Herrmann Schreiber

An der Grenze

 

In meiner gestrigen Erzählung vom geschenkten Gaul berichtete ich, was ich im Mai 1945, bei Ende des Krieges, erlebte. Nun geht es weiter.

 

Einmal übernachteten wir noch im Freien, dann kamen wir dorthin, wo eine starke Einheit von Titos Soldaten uns den Weg versperrte. Ich sagte meinen Kameraden, dass ich mich unterhalten wolle. Sie folgten mir, ganz nach links, wo die Posten etwas weniger dicht standen. Die motorisierte deutsche Truppe hielt einen weiten Abstand zu den Bewaffneten, ich ging jedoch bis zu ganz an die Posten heran, fing ein Gespräch an. Man erklärte mir, dass wir nicht weiter könnten und fragte mich, unter anderem, auf welchem Wege wir hierher gekommen seien. Über Karlovac, dann nördlich, erklärte ich ihnen. Einer der Soldaten meinte: „Da müsst ihr durch mein Dorf gekommen sein. Erinnerst du dich?“ er nannte mir den Namen des Dorfes. Er sagte mir nichts.

 

„Entschuldige bitte, aber mit alldem was da los war, habe ich nicht recht auf die Namen der Dörfer aufgepasst. Aber warte mal, da war eins, eine schöne Kirche, davor ein großer Platz, weiß gestrichene Häuser und Blumen, viel Blumen…“

 

Da unterbrach mich einer ein Älterer, offenbar ein Offizier.

 

„Das hast du fein gemacht! Damit machst du jedem eine Freude, denn da kennt jeder sein Dorf wieder!

 

Nach einer Weile kam von rechts ein Melder, teilte dem Offizier etwas mit. Der sprach mit seinen Leuten, dann winkte er mich zu ihm.

 

„Von Osten kommt ein größerer Trupp Ustaschi (kroatische Miliz). Halten sich offenbar nicht an den Waffenstillstand, sind noch bewaffnet, greifen uns wahrscheinlich an. Wir haben den Befehl erhalten, die Deutschen aus ihren Autos zu jagen und weiter zurückzudrängen. Jetzt pass gut auf, was ich dir sage. Ihr versteckt euch da hinter den Büschen. Wir tun so, als ob wir euch nicht sehen. Wenn wir dann fort sind, nehmt ihr diesen Weg da, an dem Bauernhof vorbei. Der geht zwischen diesen beiden Bergen durch, nach drüben. Macht’s gut.“

 

Es war das zweite Mal, dass ich mich bei einem ehemaligen Feind für etwas bedankte, das weit über dem lag, was ich erwarten durfte. Aber damals waren alle froh, dass der Krieg nun endlich aus war, und viele waren daher zu dem Ex-Feind viel freundlicher, als sie vielleicht durften. Auch später konnte ich feststellen, dass die, die am meisten im Krieg gelitten hatten, dies am wenigsten uns Kriegsgefangene spüren ließen. Vielleicht erklärten auch meine bescheidenen Sprachkenntnisse das wohlwollende Verhalten derer, mit denen ich zu tun hatte. Sie schätzten es offenbar, wenn sich jemand mit so etwas Mühe gibt, denn… wer lernt schon serbisch?

 

Auf Grund meiner Balkanerlebnisse wage ich zu behaupten, dass dort die freundlichsten, ja herzlichsten Menschen wohnen, jedoch auch abscheuliche und unverbesserliche Hitzköpfe. Denkt an den Krieg im Kosovo, an die Belagerung von Sarajewo, an die mehr als 100 000 Opfer forderten Streitigkeiten zwischen Serben und Kroaten. Auch unter Tito sind die Jugoslaven jedoch nie wirkliche Kommunisten gewesen. Ich erinnere mich an eine Reklame für Jugobanka, auf Radio Belgrad. In die serbische Volksmusik vernarrt, hörte ich diesen Sender zu Titos Zeiten oft. Heute hat man diese Musik viel besser und pausenlos, über uzivoradio.com, auf Radio Ćirilica, Radio Buca, und anderen. Ich höre da täglich und gern. Ich weiß, ich bin ein zutiefst unverbesserlicher Kulturbanause. Trotzdem weiß ich noch diesen Text der Reklame für Jugobanka: vaš novac radi za vas – Euer Geld arbeitet für Euch. Nicht ganz im Sinne von Kar Marx.

 

Nun weiter, auf unserem Weg zur Grenze. Um möglichst wenig aufzufallen, ließen wir unsere Pferde frei, bis auf das unauffälligste: mein kleines graues, das unser Gepäck zu tragen hatte. Wir warteten, bis keiner der Bewaffneten mehr zu sehen war, dann brachen wir auf. Bis zur Grenze und bis nach Eisenkappel war es noch weit. Unterwegs tauschte ich bei einem Bauern mein Pferd gegen einen Laib Brot. Der freute sich über den guten Tausch, dem Pferd war das gleichgültig, es ging, ohne mich noch mal anzuschauen, mit dem Bauern mit.

 

Eisenkappel war von Titos Truppen besetzt. Zum Teil saßen sie im Garten eines Wirtshauses, wo Bier ausgeschenkt wurde. Meine Kameraden wollten auch dahin. Mir war nicht danach, denn ich fürchtete, dass die, die eine österreichische Stadt besetzt hatten, nicht so gutmütig waren, wie der, der mir ein Pferd geschenkt hatte oder der, der uns den Weg über die Grenze gezeigt hatte.

 

Ich verabschiedete mich von meinen Kameraden. Ich hatte eine medizinische Versorgungsstelle des deutschen Heeres gesehen. Meine Verwundung war zwar soweit verheilt, dass ich ohne Verband auskommen konnte, aber ich wollte doch einmal nachsehen lassen.

 

Ich traf auf eine sehr freundliche Krankenschwester, die mir erklärte, alle von der Stadt ins Land führenden Straßen seien von jugoslawischen Truppen gesperrt. Transporte von Kranken oder Verwundeten ließen sie aber durch. Die Krankenschwester machte mir einen stattlichen, turbanartigen Verband und führte mich dann zu einem mit dem Roten Kreuz gekennzeichneten Kraftfahrzeug. Mit zehn mehr oder weniger leidenden Kameraden fuhren wir los, in Richtung Klagenfurt. Am Ausgang von Eisenkappel mussten wir halten. Ein Uniformierter Jugoslawe öffnete die Tür des Wagens, musterte uns mit strengem Blick. Wir gaben nur leises Stöhnen von uns. Dann durften wir weiterfahren.

 

In Klagenfurt wurde ich englischer, nach Ortswechseln dann zunächst amerikanischer, später französischer Nachkriegsgefangener. Davon später mehr.

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.05.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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