Uwe Gallinsky

Leiden und Ende eines Kindes

Wenn das eigene Kind stirbt

Es ist das Schlimmste was dem Kind, aber auch den Eltern passieren kann. Das Leiden und Sterben des eigenen Kindes über Monate mitzubekommen. Die Ängste und Sorgen, Nöte und Schmerzen des Kindes zu sehen, ohne viel dagegen machen zu können.

Wer war Tom?

Er stand von Anfang an im Mittelpunkt und alles drehte sich nur um ihn, denn wir als Eltern hatten keine weiteren Familienmitglieder außer seinen Halbschwestern, die in den USA leben.

Mehrfache berufsbedingte Umzüge verhinderten auch weitere soziale Kontakte oder den Aufbau einen Freundeskreises.

Tom war aber ein Einzelgänger, der sich auch sehr gut alleine beschäftigen konnte.

Er war zu jedem freundlich, sagte immer“ Bitteschön“ und “Dankeschön“, fragte höflich, ob er etwas haben darf, hielt anderen die Tür auf, ging jedem Streit aus dem Wege und versuchte stets sein Bestes zu geben.

In der Schule war er sehr ehrgeizig, wenn auch zu langsam, was ihn sehr ärgerte, weil der die ihm gestellten Aufgaben oft in der Zeit nicht schaffte.

Er war ein sehr stressfreies und vertrauenswürdiges Kind. Lügen gehörten nicht zu seinen Interessen und wenn er sagte, dass etwas so gewesen war, dann stimmte das auch.

Wir versuchten ihm eine schöne Kindheit zu bereiten die auf Vertrauen basierte.

Eine Kindheit, wie sie der Vater als Heimkind nicht hatte .

Fast jedes Wochenende waren wir unterwegs zum Schwimmen, Zoo, Tierpark, Planetarium, oder was Tom liebte, Museen jeglicher Art.

Er war ein sehr angenehmes Kind und überall sehr beliebt.

Der Anfang

Anfang 2011 bekam Tom Nackenschmerzen. Wir waren der Meinung er hätte Zug bekommen oder eine Muskelverspannung, also machten wir Wärmekissen und Massagen. Es wurde auch alles wieder gut und Tom war beschwerdefrei, bis einige Wochen später die Schmerzen wiederkamen. Wir gingen zu einem Orthopäden, welcher Tom als Simulant abstempelte, ihm aber Krankengymnastik verordnete.

Wir machten uns weiter keine großen Sorgen, denn auch hier besserte sich die Situation und die Beschwerden wurden weniger.

Ostern sind wir mit unserem alten Wohnmobil weggefahren und da fing der Stress an.

Die Schmerzen wurden so stark, dass Tom nicht mehr Fahrradfahren wollte. Wir machten weiter mit Wärme und Massagen, aber die Schmerzen wurden schlimmer, sodass es auch anfing mir motorischen Ausfällen im linken Arm. Er hatte keine Kraft im Arm und da klingelten mir als Vater und Bandscheibengeschädigter die Alarmglocken.

Gleich nach Ostern wollten wir wieder zu einem Orthopäden. Zuhause telefonierten wir rum und mussten feststellen, dass die meisten noch Osterferien machten. Einige sagten uns: „Wir nehmen keine neuen Patienten“ oder auch, dass sie keine Kinder nehmen würden und es sei ja kein Notfall, da die Symptome schon länger bekannt seien.

Nun standen wir da mit unserem Kind, das Tränen in den Augen hatte.

Ich habe die letzte mir verbleibende Möglichkeit genutzt und bin nach Herford in das Krankenhaus gefahren und das Ganze als Notfall deklariert und gesagt, dass es erst seit Ostern

bei Tom schmerzt, sonst hätten die gesagt, dass wir warten sollen bis der Orthopäde aus dem Urlaub wieder zurück ist.

Tom wurde untersucht, aber nichts wirklich gefunden. Also verschrieb man ihm Schmerzmittel, was ihm auch Linderung verschaffte. So konnten wir 4 Tage überbrücken, bis der Orthopäde wieder da war. Dort wurde auch gleich mit allen 3 Ärzten der Gemeinschaftspraxis auf Toms Beschwerden eingegangen und ein MRT angeordnet.

Der schnellste Termin war am Samstag und ich habe Tom darauf vorbereitet, dass da nichts ist, wovor er Angst haben muss. Es sei halt nur eng in der Röhre und man dürfe sich nicht bewegen.

20 Minuten stand ich am Fußende der Röhre, sodass er mich sehen konnte.

Als er herauskam hat er geweint, weil er starke Schmerzen hatte. „Papa hat gesagt ich soll mich nicht bewegen,“ sagte Tom. Mir kamen die Tränen.

In der Nachbesprechung wurde uns mitgeteilt, dass Tom irgendetwas im Spinalkanal hat, aber um es genauer sagen zu können müsse man ein MRT mit Kontrastmittel machen.

„ Nein ich will jetzt nach Hause“,sagte Tom.

Ich sagte ihm, wie wichtig das ist, aber er sträubte sich und ich gab nach.

„Ich sage dir, wenn ich bereit dazu bin.“

Die Ärzte sagten, dass wir auch Sonntag kommen könnten und so war es dann auch. Tom teilte uns beim Sonntagsfrühstück mit, dass er heute in die Röhre wolle.

Wir hatten noch die Hoffnung, dass es nur eine Einblutung oder etwas Harmloses sein kann.

Dieses MRT verlief schmerzfrei, bis auf den Einstich für das Kontrastmittel.

Am Dienstag hatten wir den Besprechungstermin mit den Orthopäden, die uns mitteilten, dass wir in ein Krankenhaus müssten in die Neurochirurgische Abteilung.

Ich rief gleich von zuhause in Kassel an, dass ich an nächsten Morgen kommen würde.

Man sagte mir, dass die da nicht zuständig sind, ich solle mich an die Kinderklinik Park Schönfeld wenden.

Dort teilte man mir mit, dass wir mit einem Kind zwar richtig sind, aber man habe keine Neurochirurgie. „Danke, dann weiß ich was ich zu tun habe,“sagte ich und legte auf.

Am nächsten Morgen packten wir das Wohnmobil, da wir nicht wussten, wie lange wir in Kassel bleiben mussten und fuhren los.

In der Notaufnahme im Klinikum Kassel sagte man uns, das es ja so nicht geht, wir könnten doch nicht einfach mit unserem Kind hier herkommen, ohne Voranmeldung.

Ich war kurz davor, aus der Hose zu springen, knallte die CD mit den MRT- Bildern auf den Tisch und sagte:“ Zeigt das hier oben den Neurochirurgen, den Doktoren Deinsberger, Saleh

oder Frau Dr. Kailing, welche mich selber unterm Messer hatte. Und wenn die sagen, ich bin hier falsch, dann gehe ich wieder.“

Der Arzt guckte mich entgeistert an und verschwand mit der CD . 30 Minuten später kam er zurück und sagte: „Ich möchte mich im Nahmen aller Ärzte bei Ihnen entschuldigen.“

Ab dem Zeitpunkt änderte sich viel, denn wir als Eltern wurden mit aufgenommen und hatten somit Verpflegung .Tom wurde in der Onkologie ein Bett zugewiesen und uns bot man an, mal im Elternhaus nachzufragen. „Star Care Elternhaus Kassel „ und dort bekamen wir unsere Unterkunft . Das Elternhaus ist direkt gegenüber dem Klinikum und wir hatten kurze Wege.

Wir hatten auch die Möglichkeit mit Tom noch etwas zu unternehmen. Wir waren noch Eis essen und im Elternhaus Spiele machen.

Nun geht es los

Es folgten viele Untersuchungen, bis ein paar Tage später feststand, dass eine Biopsie gemacht werden müsse, um genau sagen zu können, um was es sich in den Halswirbeln handelt. In dieser OP sollte auch gleich Platz im Spinalkanal gemacht werden, damit die schon abgedrückten Nerven wieder normal arbeiten können. Das Risiko der OP war recht

hoch und wir sagten Tom, dass wir warten, bis ein spezielles Monitorsystem zur Verfügung steht.

Dieses System überwacht während der OP die Nervenverbindungen zum Gehirn.

Nachdem Tom sich etwas gefasst hatte und sich mit der anstehenden OP abgefunden hatte, sagte er: „Ich freue mich auf die OP, denn die wird mein Leben verändern“.

Er ahnte nicht, wie Recht er damit hatte.

Ich möchte noch sagen, wie gut sich die Ärzte und Schwestern um uns kümmerten und an dieser Stelle herzlichen Dank an das Klinikum Kassel.

Am Tag der OP waren wir nervlich am Ende. Nach der 6 Stunden langen OP, welche extrem an den Nerven zerrte, konnten wir zu Tom in den Aufwachraum.

Erleichterung machte sich breit, denn er lag da und lächelte uns leicht an.

„Ich habe Durst“, sagte er mit müder Stimme. Der Anästhesist brachte einen Becher Wasser mit Strohhalm und sagte, dass Tom langsam trinken soll.

Tom nahm den Becher und trank ein paar Schluck.

Alles machte einen gelungenen Eindruck. So auch die nächsten Stunden auf der Intensivstation , wo ein Zimmer extra für uns geblockt wurde. Wir redeten mit Tom und schauten einen Film.

Tom trank noch Wasser und war froh, es hinter sich gebracht zu haben.

Spät am Abend verabschiedeten wir uns von ihm und gingen ins Elternhaus, wo wir halbwegs beruhigt ins Bett gehen konnten.

Mitten in der Nacht schreckte uns das Telefon hoch.

Eine Krankenschwester war dran. „Wir müssten mit Tom zum Röntgen, aber er sagt, Sie könnten weiterschlafen, er schaffe das alleine“ , sagte sie.

Aber irgendwie beruhigte uns das nicht, aber so fertig wie wir waren, haben wir uns entschieden weiterzuschlafen. Falls etwas ist, wird man uns anrufen.

An nächsten Morgen waren wir schon sehr früh bei Tom und er schlief tief und fest.

Wir holten unser Frühstück und nahmen den Teewagen als Tisch.

Als Tom einige Stunden später langsam wach wurde, haben wir mit ihm geredet, er war durch die Medikamente im Halbschlaf, bekam aber alles mit.

Mittags beklagte er sich über ein Kribbeln in den Beinen und später sagte er mit leiser Stimme, dass er seine Arme nicht mehr bewegen könne und es wurde immer schlimmer. Es gab nichts, was wir hätten tun können.“ Papa, ich kriege schlecht Luft, ich bin so schwach.“

„Tom, hol mal ganz tief Luft.“ Der Arzt kam gerade ins Zimmer.“ Papa ich habe doch keine Kraft“.“ Tom, versuch mal tief einzuatmen“. „Ich kann nicht“,hauchte er, „ich glaube ich werde sterben.“ Ich saugte ihn im Hals und Mund ab, weil alles voll mit Speichel war.

Ich sah, wie sich die Augen verdrehten und schickte meine Frau aus dem Zimmer, als auch der Arzt sagte, dass wir raus sollen.

Ich wusste, dass ich nichts für ihn tun konnte. Diese Hilflosigkeit war das Schlimmste.

Ich sah wie 2 Teams von außerhalb angerannt kamen, es waren Narkoseteams, Notärzte und Anästhesisten.

Er war ein Gerenne und Gepolter im Gang, während wir im Ärztezimmer warteten in der Hoffnung, Tom noch lebend zu sehen. Ein Arzt kam zu uns herein und sagte, dass Tom ein Betäubungsmittel bekommen hat und beatmet werden muss.

Als wir nach einiger Zeit wieder zu ihm rein konnten, schickte mich Elke vor.

Ich schaute mir die Situation an wie Tom da lag und ob man das der Mutter zumuten solle.

Es war ein grausamer Anblick, aber es half ja nichts, also rief ich Elke rein die fast zusammenbrach, aber sah, dass Tom lebte.

Es wurde die schlimmste Nacht unseres Lebens. An schlafen war nicht zu denken. Morgens um 5 Uhr waren wir schon wieder bei Tom. Wir versuchten uns gegenseitig zu trösten. Wir

saßen lange schweigend an seinem Bett und schauten ihn an. Nur das Pumpen des Beatmungsgerätes unterbrach die Stille. Jeder von uns dachte still in sich gekehrt nach, was noch alles passieren könne und wie die Zukunft aussehen soll. Wird Tom es schaffen?

Die Zimmertür ging auf und die Stationsärztin kam herein.

„Bitte kommen Sie doch mal mit in mein Ärztezimmer“.

Tom lag da ohne jede Reaktion und wir standen auf, um mit der Ärztin zu gehen.

Im Ärztezimmer saßen schon 3 weitere Ärzte und irgendwie schauten uns alle mit großen Augen an, als ob jetzt noch etwas Schlimmeres folgen sollte.

„Wir müssten Tom noch einmal operieren und die Dornfortsätze entfernen, welche ja bei der vorherigen OP schon geöffnet wurden. Es ist kein komplizierter Eingriff, aber wir müssen Platz schaffen im Nervenkanal, sonst wird er wohl die nächsten Tage nicht überleben.“

Wir hatten keine Wahl und tränenüberströmt stimmten wir der OP zu.

Es wurde auch kurzfristig der OP frei gemacht. Wir saßen 2 Stunden vor dem OP und warteten bis der Operateur mit gesenktem Blick und Tränen in den Augen auf uns zu kam, sich neben uns setzte und meinte, das er nicht wisse, ob die Operation etwas gebracht hat.Wir könnten nur abwarten.

Wieder im Intensivzimmer angekommen saßen wir beide neben Tom und diskutierten darüber, wie wir es zustande bekommen, dass seine beiden Schwestern ihn noch einmal sehen.

Das Problem ist, dass sie in den USA leben und vom Ernst der Lage noch keine Ahnung hatten.

Eine Schwester an der Ost-, die andere an der Westküste.

Am frühen Nachmittag herrschte etwas Unruhe auf dem Gang und ich öffnete die Tür.

Ein Arzt stand vor mir und bat uns ins Ärztezimmer.

6 Ärzte und 2 Schwestern hatten sich da versammelt.

Man erklärte uns, wie die OP verlaufen war und wie es weiter gehen kann.

„ Wir können Ihr Kind nicht retten und wissen nicht ob es das Wochenende überlebt“.

Elke brach heulend zusammen. Sie rannte aus dem Zimmer und rief:“Das kann doch nicht sein, das darf nicht sein!“ Eine Schwester lief Elke hinterher.

Ich saß da, schweigend, still ohnmächtig. Ich rang nach Luft. Tränen liefen mir die Wangen herunter. Bis ich aufstand und Elke suchte. Sie saß draußen auf einer Parkbank, die vom Gang aus zu erreichen war. Ich ging zu ihr und zwei Ärzte folgten mir, um sich dazuzusetzen.

Was nun folgte war mehr Traum als Realität.

Es gingen einem Gedanken durch den Kopf, die man nicht in Worte fassen kann. Ein Wirrwarr an Folgen, Möglichkeiten, Szenarien, und Gedankenblitzen.

Uns wurden alle verbleibenden Optionen aufgezählt, dazu gehörte auch eine Therapie, die ihm vielleicht zwei Wochen längeres Leben ermöglichte, aber zu welchem Preis? Und dann auch nur „ Vielleicht .“

Am Abend versuchten wir Toms Schwestern via Skype zu kontaktieren und machten ihnen die Situation klar.“ Wenn ihr Tom noch lebend treffen wollt, müsst ihr Gas geben“. Zu regeln waren auch die Kosten von über 2000 Euro, was aber über das Elternhaus Kassel geregelt werden konnte. Toms Lage hatte sich nicht verändert, es war alles stabil das uns hoffen ließ.

Hoffen ? Auf was ? Dass er ab Hals gelähmt bleiben wird bestätigten die Ärzte und dass er weiterhin beatmet werden muss war auch unumstritten. Aber wir hofften darauf, ihm noch etwas sagen zu können.

Zwei Tage später kamen die beiden Mädchen total übermüdet und aufgelöst in Kassel an, wo wir gleich zu Tom gingen.

Diese Situation möchte ich nicht weiter schildern.

Wir waren zu viert von morgens bis abends bei Tom im Zimmer. Wir aßen da und verbrachten den ganzen Tag dort.

Nach zehn Tagen etwa, die Tom sediert dalag, stellte sich die Frage, wie es weitergehen soll, denn sein Zustand hatte sich stabilisiert.

Man konnte ihn ja nicht bis zu seinem Tod so liegen lassen, da könnten Monate vergehen.

Also wurde die Entscheidung getroffen, ihn bald aufwachen zu lassen, wozu aber ein Luftröhrenschnitt gemacht werden musste.

Ein relativ kleiner Eingriff war notwendig und Tom wurde tracheotomiert.

Nun war sein Gesicht, das einzige Körperteil wo er Gefühle hatte, frei von Schläuchen.

Die Sedierungsmittel wurden täglich etwas verringert, sodass Tom gelegentlich im Halbschlaf die Augen öffnete, aber nicht wirklich etwas wahrnahm.

Wir sollten mit Tom die Klinik wechseln, da eine andere Abteilung ihn und uns aufnehmen sollte. Kinderklinik Park Schönfeld im Südteil von Kassel.

Dort gab es eine richtige Kantine, denn das Essen war immer ein Problem.

Tom war mittlerweile für kurze Zeit so weit wach, dass er registrierte was um ihn herum geschah und er erkannte auch seine beiden Schwestern und freute sich, soweit er das konnte.

Was mag in ihm vorgegangen sein, als er das erste Mal seiner Situation bewusst wurde.

„Ich freue mich auf die OP, die wird mein Leben verändern“ waren seine letzten Worte.

Er wird wach, kann nicht reden, nicht atmen und sich nicht mehr bewegen.

Was geht in so einem Moment in einem Kind vor?

Ich hatte große Angst vor seinen Fragen, denn ich hatte keine Antworten für Ihn.

Im Krankenwagen ging es die sechs Kilometer nach Park Schönfeld, wo wir herzlich empfangen wurden.

Ein extra Intensivzimmer wurde für uns fünf Tage freigehalten und Toms Lage wurde täglich besser.

Nicht, dass er gesund wurde, aber er wurde wacher und wollte schon fernsehen.

Das Hauptproblem lag in der Kommunikation mit ihm. Er konnte ja nicht sprechen.

Wir haben mit Zetteln angefangen und Raten, aber das war alles sehr deprimierend für Tom und für uns, denn es klappte nicht. Er wollte uns etwas sagen und wir verstanden ihn einfach nicht.

Nach vielen Tagen und Übungen war eine minimale Kommunikation möglich, denn Tom musste lernen, es in wenig Worte zu fassen und mit dem Mund klar zu artikulieren.

Er durfte keine Geschichte erzählen, wenn er etwas trinken wollte, sondern einfach nur „Durst“ sagen, dann klappte es auch,

Uns wurde gesagt, dass es die Möglichkeit gäbe, mit Tom spazieren zu gehen, was wir uns überhaupt nicht vorstellen konnten, mit so vielen Geräten, Kabeln und Schläuchen.

Schon alleine die Beatmung, wenn damit etwas passiert oder sie ausfällt?

Wie sollte das nur alles weiter gehen?

Toms Schwestern flogen nach zwei Wochen wieder in die USA. Zuhause waren wir seit zwei Monaten nicht mehr.

Tom wurde an eine mobile Beatmungsmaschine angeschlossen und die ersten Spaziergänge einmal um den Block waren im Rollstuhl möglich, auch wenn es sehr aufwändig war, Tom da hereinzusetzen. Er hatte keinerlei Körperspannung, hing schlaff im Rollstuhl und musste mit Kissen gepolstert und gestützt werden.

Anfang der Sommerferien haben wir versucht, einen Platz für Tom in der Nähe von Bielefeld zu bekommen.

Tagelanges Herumtelefonieren und Recherchen wer ein beamtetes Kind aufnimmt bestimmten meinen Alltag. Absagen über Absagen. Verzweifelung machte sich breit.

Sollten wir bis zu Toms Tod in Kassel bleiben? Beatmete Erwachsene hätten wir unterbringen können, aber ein Kind? Nach drei Wochen fand sich endlich ein Platz in Bielefeld im Haus Mara.

Ich fuhr nach Bielefeld und regelte alles, während Elke bei Tom blieb.

Man muss sich aber auch immer vor Augen halten, dass wir nervlich am Ende waren und trotz allem viele Dinge regeln mussten. Zu unserem großen Glück , so etwas gab es auch ab und zu, stand die Krankenkasse zu 100% hinter uns und hat uns wirklich sehr gut unterstützt.

Meist genügte ein Anruf und viel wurde von dort aus geregelt, was Kostenübernahme und Organisation anging.

So auch in diesem Fall.

Der Umzug nach Bielefeld

Von der Intensivstation aus wurde über die Krankenkasse der Transport organisiert.

Nach über zwei Monaten ging es endlich Richtung Heimat.

Zuerst mussten wir noch eine Woche auf die Kinderintensivstation, da das Zimmer in der Heimbeatmung Mara noch nicht frei war und das Personal , unerfahren mit beatmeten Kindern, uns und insbesondere Tom und seine pflegerischen Ansprüche erst einmal kennen lernen wollte.

Also sollte morgens um 9 Uhr der Hubschrauber kommen und Tom freute sich auf diesen Flug.

Wir hatten schon alles ins Auto verpackt und warteten und warteten.

Gegen 10 Uhr kam ein Anruf, dass der Hubschrauber erst gegen Mittag kommen kann, wegen eines Notfalls. Leider fing Tom an müde zu werden und nickte ab und zu kurz ein.

Man muss dazu sagen, dass die Medikamente der Sedierung noch nicht ganz ausgeschlichen waren und Tom meist 10 bis 12 Stunden am Tag wach war.

Gegen Mittag, um 12.30 Uhr landete der Hubschrauber und ich sagte Tom, dass es gleich losgehen würde..

Naja, ob er das wirklich noch mitbekommen hat, wagte ich zu bezweifeln.

Das Team kam ins Zimmer, mit dem Notarzt und der Trage. Tom blinzelte kurz und schloss die Augen. Für Menschen, die ihn so nicht kennen, kann es eine Extremsituation sein, wenn ein Kind plötzlich die Augen schließt, die Herzfrequenz auf 40 runter geht und nichts ihn mehr wach machen kann. So auch für den Notarzt, der mich mit großen Augen anschaute und fragte, ob das normal sei. „ Machen Sie sich keine Sorgen, das ist normal und Tom wird von dem Flug auch nichts mitbekommen“.

Eine Krankenschwester aus der Klinik Park Schönfeld erklärte sich kurzfristig bereit, mitzufliegen und das in Ihrer Freizeit. Nach vielem Hin und Her ging es los. Der Hubschrauber hob an und wir fuhren mit dem PKW nach Bielefeld.

Als wir auf der Intensivstation ankamen lag Tom schon in seinem Bett. Die Beatmung lief, die Vitalwerte waren gut und die Krankenschwester aus Kassel stand neben Tom am Bett.

Sie hatte das ansässige Personal schon eingewiesen und für uns gab es jetzt die Aufgabe, die Krankenschwester wieder nach Kassel zu befördern.

Die Bahn kam nicht in Frage, denn vor einem Jahr dauerte die Fahrt über drei Stunden von Bielefeld nach Kassel.

Wir fuhren sie nach Paderborn, wo auch gleich ein Zug nach Kassel kam. Also gleich wieder zu Tom.

Wir blieben bei ihm, bis er wach wurde und sich orientieren konnte. Er war stinksauer, dass er den Flug verschlafen hatte, aber ich konnte ihm wenigstens ein Video davon zeigen. So gegen 23 Uhr konnten wir auch nach Hause, wo wir monatelang nicht waren.

Dementsprechend war der Kühlschrank leer.

Jeden Tag verbrachten wir bei Tom von morgens bis abends. Wir schoben ihn im Rollstuhl durch die Gänge, lasen Geschichten vor und schauten fern. Die Kommunikation wurde immer besser.

Nach fünf Tagen konnte der Umzug in die Heimbeatmungsabteilung von Haus Mara stattfinden.

Sein kleines Zimmer hatten wir schon hergerichtet, mit Bildern von seinen Schwestern, Postern von Star War‘s und so weiter. Fernseher und DVD-Player waren auch vorhanden.

Als Tom dort ankam, wurde es sehr liebevoll begrüßt.

Das Team dort war sehr um Tom bemüht und es war ein großer Unterschied, ob man eine ältere Person zu pflegen hat, die beatmet ist oder ein Kind, das vom Hals ab nichts mehr spürt, bei dem die Eltern auch permanent anwesend sind.

Tom fühlte sich dort recht wohl, denn er wurde auch von Ergotherapeuten unterhalten, schaute viel fern, liebte Hörspiele von CD‘s und ließ sich Geschichten von uns vorlesen.

So oft es ging setzten wir ihn in den Rollstuhl, was er gar nicht mochte und fuhren durch die Parkanlagen. Einmal sind wir mit dem Bethelbus gefahren, das ist ein Bus, der alle 30 Minuten das gesamte Klinikgelände mit allen dazugehörenden Straßen abfährt. Als wir feststellten, das es gut klappte, sind wir Tage später mit Tom zum Marktkauf gefahren und er wollte, wie kann es auch anders sein, in die Spielzeugabteilung.

Er wusste, dass ich ihm alles kaufen würde, was er möchte und wollte so einen Lego- Roboter, genannt Bionicle und wir holten das Teil aus dem Regal.

Tom wirkte nachdenklich und schaute das Spielzeug an. Anfassen konnte er es ja nicht.

Mama frage ihn, was er damit machen wolle.

Er überlegte ………… schüttelte den Kopf und gab uns zu verstehen, dass er lieber eine DVD wolle.

Die Entscheidung umzuziehen

Wochenlang saßen wir mit Tom in dem sehr kleinen Zimmer und schauten meist seine Cartoon- Filme an. Songe Bob und all so was. Für uns war das Stress pur, denn nebenbei mussten wir uns um unser Essen kümmern, zwischendurch irgendwie einkaufen dann zuhause abends um 21Uhr noch kochen, damit wir am nächsten Tag etwas zu essen hatten, dann immer 14 km zu Tom fahren, das war ein Hin uns Her. Baustellen in Bielefeld mit Straßensperrungen und Umwege von 10 km zusätzlich, Haushalt, Wäsche und 15 Stunden täglich bei Tom.

Auch wenn es für Tom dort sehr angenehm war, so blieben wir völlig auf der Strecke.

Es kriselte in der Beziehung und wir standen vor einem Haufen Probleme ohne Ausweg.

Eine Frau, die durch einen, den einzigen Freund von uns erfahren hatte, meldete sich bei uns, ob wir uns vorstellen könnten in ein Hospiz zu gehen.

Ja, aber dann sind wir nicht heimatnah.

Heimat? Die Wohnung, für die wir Miete bezahlen ist nicht wirklich unsere Heimat, denn wir waren ja eh nur zum Schlafen da.

Im Kinder- und Jugendhospiz Olpe wurde und kurzfristig ein Platz angeboten.

Dank der Krankenkasse wurde das auch recht schnell wieder alles geregelt, mit der Kostenübernahme, dem Transport, usw.

Der Abschied fiel allen schwer, denn so wie Tom eben war, haben ihn alle ins Herz geschlossen.

Dieses Mal fand der Transport im Krankenwagen statt und ich fuhr mit dem Notarzt hinten bei Tom mit. Ein MP3- Player sollte Tom die knappen 2 Stunden Fahrt verkürzen.

Es gab während der Fahrt leichte Probleme mit der Beatmung. Tom bekam zu viel Sauerstoff und es hätte passieren können, dass ihm dabei leicht schwindelig werden kann, mehr aber

auch nicht und da Tom ansprechbar war, hätte er es mir gesagt, wenn etwas nicht in Ordnung gewesen wäre.

Er sang munter seine Lieblingslieder von MP3- Player mit und freute sich auf das Hospiz.

Ich hatte ihm gesagt, dass er dort viel mehr Möglichkeiten haben würde, etwas mit seiner Zeit anzufangen und dass da auch andere kranke und gesunde Kinder sind, mit denen er spielen kann. Natürlich auch, dass die da völlig andere Spielmöglichkeiten haben.

Kinderhospiz Olpe

Natürlich ist ein Kinder-und Jugendhospiz etwas völlig anderes, als eine Pflegestation für Erwachsene beatmete Menschen.

Meist ist eine Pflegekraft für zwei Kinder oder Jugendliche zuständig manchmal auch eine Pflegekraft für ein einziges Kind, was eine völlig andere Qualität bedeutet.

Clowns, Hunde, Kinoabende, sogar Bilder konnte Tom malen mit dem Stift im Mund.

Uno spielen, Looping Louis und viel viel mehr an Unterhaltung, Beschäftigung und Spaß für die Kinder wurde geboten. Da Tom dort bestens versorgt wurde, konnten wir auch ab und zu mal etwas entspannen und in die Sauna gehen oder einfach mal etwas shoppen. Es war eine sehr lehrreiche Zeit, in der wir viel mit dem Umgang von Behinderten, aber auch was die Pflege von Tom angeht, hinzugelernt haben.

Ob es das Wechseln des Schlauchsystems des Beatmungsgerätes oder die Bestellung und Gabe von Medikamenten waren oder auch die Pflege und Wartung aller Geräte.

Das Problem war, dass wir uns ab einer gewissen Zeit nicht mehr wohlfühlten und uns auch nahe gelegt wurde, mit Tom nach Hause zu gehen. Wir entschieden uns zwar erst dagegen, da Tom hier einfach bessere Möglichkeiten hatte, zu spielen und beschäftigt zu werden, aber auch, weil wir uns nicht vorstellen konnten in der Wohnung weiterzuleben, in der unser Kind gestorben ist.

Tom feierte einen tollen 11. Geburtstag in Olpe und es gelang uns sogar über Spenden eine seiner Schwestern aus den USA kommen zu lassen.

Es ging auf den Winter zu und Elke hatte keine Lust Weihnachten im Hospiz zu feiern.

Auch Tom zog sich immer weiter zurück und wollte auch keine Spiele mehr machen.

Ich gab im Hospiz Bescheid, dass wir jetzt planten langsam nach Hause zu gehen.

Man teilte uns mit, dass so etwas sehr lange, sogar bis zu 3 Monaten dauern könne, bis man Zuhause alles geregelt und eingerichtet habe.

Pflegedienst mit Dienstplan und Erfahrung mit beatmeten Kindern, der aber auch in das Beatmungsgerät eingewiesen ist, Palliativmediziner der Hausbesuche macht, Urologen zum Wechseln des suprapubischen Katheters und natürlich die Organisation der medizinischen Seite, also Bestellung der Medikamente und Pflegemittel.

Genauso muss die Wohnsituation ja für ein Pflegebett und Pflegepersonal geeignet sein.

Meine Meinung dazu:

Ich mach das schon!

Also fuhr ich nach Hause, telefonierte mit der Krankenkasse und fing an die Wohnung umzuräumen.

Toms Kinderzimmer wurde unser Schlafzimmer, da dieses vorher offen zum Wohnzimmer hin war.

Unser altes Schlafzimmer wurde ein kleines Besprechungszimmer, da das Wohnzimmer für Tom war.

Toms Kinderzimmer wanderte komplett in Pappkartons, ohne sortiert zu werden.

Betten auseinander schrauben und woanders wieder zusammensetzen, Regale kaufen , Toms Kleiderschrank ausräumen, damit das medizinische und pflegerische Material dort eingelagert werden kann, das Wohnzimmer komplett umräumen und vieles mehr.

Der Pflegedienst kann zwischenzeitlich zu Besuch, um alles abzusprechen. Das Pflegebett und alle anderen Dinge wurden nach Hause geliefert. Und innerhalb von zwei Wochen war alles fertig und in trockenen Tüchern. Wieder zurück in Olpe, wartete ich nur noch auf einen Anruf von der Krankenkasse, wann der Transport stattfinden kann. An einem Samstag kam ich bei Tom an und am Montag drauf sollte der Graf von Unheilig zu Besuch kommen.

Ich teilte dem Hospiz meine Reisepläne am Montag mit und die machten nur dicke Backen und konnten nicht glauben, dass alles erledigt war.

Sie fragten alles Mögliche, ob dies und das auch gemacht würde, so zum Beispiel, ob wir einen Arzt haben, der sich um Tom kümmert. Ich konnte alles mit ja beantworten und das Telefon klingelte zwischendurch, als mir gesagt wurde, dass ich ab Dienstag den Transport haben kann. Ich sagte natürlich zu.

Also sagte ich der Leitung des Hospizes, dass wir am Dienstag abreisen.

Kurze Zeit später kam der Graf von Unheilig zu Tom. „Unglaublich“, sagte er ohne Stimme und der Graf redete mit Tom, gab ihm Geschenke und sang ihm das Lied „Geboren um zu leben“. Allen im Raum kamen die Tränen, denn es war sehr berührend.

Der Graf ließ sich noch das Hospiz zeigen und verabschiedete sich dann.

Danach fingen wir an zu packen.

Es ist erstaunlich, was sich in drei Monaten alles ansammelt, denn der PKW war voll bis unters Dach.

Es waren ja nicht nur unsere persönliche Sachen, sondern Toms Equipment.

Die Freude war sehr groß, besonders bei Tom, als der Krankentransport ankam.

„Tom, so gegen 16 Uhr heute Nachmittag sind wir Zuhause“, sagte ich ihm.

Ein Grinsen machte ich in seinem Gesicht breit. Endlich konnte er wieder seine alten Klassenkameraden sehen.

Während der Fahrt schaute er immer zur Uhr, die im Krankenwagen hing und dann mich an, da er sie aus seiner Lage nicht erkennen konnte.

Für mich war die Frage klar:„ Wie lange noch?“

„Eine Stunde Tom, dann sind wir da.“

Zwischendurch klingelte einmal mein Handy und die Kinderkrankenschwester vom Pflegedienst war dran und wollte wissen, wann wir ankommen.

Leicht verspätet durch einen Stau, den wir mit Blaulicht durchfahren konnten, kamen wir in Leopoldshöhe an, wo auch die Krankenschwester schon wartete.

Es war etwas umständlich Tom in dem recht engen Treppenhaus nach oben zu schaffen, aber es klappte mit entsprechender Geduld und Sorgfalt.

Oben, in seinem Pflegebett angekommen, konnte man Tom die Erleichterung ansehen.

Die Krankenschwester, leicht übermotiviert, aber sehr kompetent, verschaffte sich einen Überblick, wo was zu finden ist und wie Toms Pflegebedarf ist.

20 Minuten später kam Elke, denn sie hatte ja kein Blaulicht auf ihrem Auto. Die folgenden Tage war viel zu tun. Es mussten Regale umgestellt werden, der Fernseher musste höher, damit Tom ihn sehen konnte und es musste noch einiges an Material bestellt werden.

Trotz des sehr guten Kontaktes zu Toms Klassenlehrerin kamen irgendwie keine Klassenkameraden zu Besuch.

Unsicherheit und Angst im Umgang mit Tom und der Anblick des Wohnzimmers, das wie eine Intensivstation aussah, war unsere Vermutung

Der Palliativarzt der Tom betreute organisierte in der Schule einen Elternabend, um den Eltern die Unsicherheit und Angst im Umgang mit Tom zu nehmen, damit diese ihre Kinder ruhigen Gewissens zu Tom schicken konnten.

Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, denn schon am nächsten Tag kamen die ersten Kinder.

Wir waren erstaunt, wie selbstverständlich die Kinder miteinander ungegangen sind. Ein Freund steckte Tom ewig Süßigkeiten in den Mund, sie spielten zusammen WII wobei sie auf Toms Reaktionen achteten, da er ja nicht aktiv mitspielen konnte.

Tom war sehr glücklich wieder zuhause sein zu können. Ich baute ihm eine passende Konsole, an der ein Gamepad befestigt war und so konnte er ganz alleine nur mit dem Mumd gesteuert im Internet, auf seinen Lego- oder Starwars- Seiten herumdaddeln.

Wir waren von 6 Uhr morgens bis 20 oder 21 Uhr durchgehend für ihn da.

Ein Kind wie Tom konnte man keine Minute unbeobachtet lassen, denn bei so manchen stärkeren Kopfbewegungen konnte es passieren, dass der Beatmungsschlauch abging und Tom keine Luft bekam.

Mal eben in den Keller gehen und die Wäsche hochhohlen war nur machbar, wenn die andere Person bei Tom blieb. Am Ende des Tages fielen wir immer müde ins Bett. Im Durchschnitt wurden wir zweimal die Woche nachts aus dem Bett geholt, weil etwas mit Tom war. Mit manchen Situationen waren die Pflegekräfte deutlich überfordert, so kam es gelegentlich vor, dass Tom einen Sauerstoffabfall hatte und er nach Luft verlangte. Hinzu kommt natürlich die Angst zu ersticken. Parallel dazu hatte er die Windel voll bist zum Überlaufen und die Herzfrequenz stieg bis zum Alarm an.

Da kam bei manchen Pflegekräften schon mal Panik auf.

Dann musste ich eben Prioritäten setzen, denn ich kann nicht die Windel wechseln, während Tom nach Luft verlangt.

Also erst einmal mit Ambubeutel per Hand für ausreichend Luft in Toms Lunge sorgen und parallel den Sauerstoffkompressor einschalten.

Auf Tom beruhigend einwirken und entspannt bleiben.

Wenn Tom der Meinung war, dass er jetzt genug Luft hatte, ihn wieder an das Beatmungsgerät anschließen und mit Unterstützung von Sauerstoff beatmen.

Dann konnte man entspannt die Windel frisch machen und ihn waschen.

Wenn Tom sich wieder beruhigt hatte, kann auch ich wieder ins Bett.

Es gab Pflegepersonal, die zum ersten Mal zu uns kamen und erst einmal anfingen, sich einen Überblick zu verschaffen. Wo finde ich was? Was ist wenn? Wie funktioniert was? Danach kontrollierten sie die Geräte und deren Einstellungen und erst dann setzten sie sich hin und beschäftigten sich mit der Dokumentation.

In solchen Fällen hatten wir ein beruhigendes Gefühl, da das Verantwortungsbewusstsein und Prioritäten klar definiert waren.

Andere kamen schon mit dem Handy in der Hand zu uns herein, sagten guten Abend und tippten weiter ihre SMS.

Sie setzten sich auf das Sofa und ließen sich nicht wirklich beim Schreiben ihrer SMS aus der Ruhe bringen. Morgens war ich meist zwischen 4 und 5 Uhr schon bei Tom und sah dann auch das Resultat, denn der Pipibeutel lief schon über und ich wies das Pflegepersonal darauf hin. „ Ich weiß ja nicht, worin ich es ablassen kann,“ kam die Antwort. Es kam auch vor, dass gegen 18 Uhr ein Anruf vom Pflegedienst kam mit der Aussage: „ Wir wissen noch nicht, ob wir Ihnen heute jemand schicken können“.

Den ganzen Tag kümmerten wir uns um Tom, das kostet viel Kraft und dann so ein Anruf. Jetzt müssen wir uns auch noch die Nacht um die Ohren schlagen und dann wieder den nächsten Tag.

Mit viel Koffein, Kaffe und Cola, konnten wir uns die Nacht teilen und den Tag haben wir auch geschafft. Dann war aber die Luft raus, denn Tom forderte einen sehr intensiv.

Er wollte natürlich beschäftigt werden. Dann wollte er Kakao und als der fertig war doch lieber Cola. Er musste an manchen Tagen alle 5 Minuten tracheal abgesaugt werden.

Beim Fernsehen konnte er sich auch nicht für einen Kanal entscheiden. Trinken, essen,

Spiele machen, Medikamentengabe, absaugen, Bauch massieren, Windel wechseln,

trösten, Geschichten erzählen, Wii spielen, Körper herunter kühlen mit kalten Lappen, bestimmten unseren Alltag.

Man setzte sich gerade wieder hin, da wollte er wieder etwas, dann setzte man sich gerade und Tom wollte wieder etwas anderes. So ging es fast jeden Tag.

Zwei Stunden am Tag kamen Klassenkameraden, sie spielten Uno mit Tom, schauten gemeinsam einen Film oder jemand las eine Geschichte vor.

Einmal in der Woche kam Toms Klassenlehrerin und erzählte ihm die neuesten Sachen aus der Schule.

Die Wende

Vor Weihnachten wurde es ruhiger um Tom. Eines Morgens, wir hatten ihn fast fertig gewaschen, reagierte er plötzlich nicht mehr. So als wäre er eingeschlafen.

Elke schaute mich entsetzt an. Wir versuchten ihn wach zu machen, aber er reagierte auf nichts.

Wir hatten schon Angst, dass wir das Ende erreicht hatten.

Was sollten wir jetzt machen?

Die Vitalwerte zeigten an, dass alles ganz normal war. Die Augen waren nach oben gedreht und halb offen. In unserer Unsicherheit riefen wir den Palliativarzt an und dieser schickte uns seine rechte Hand, eine erfahrene Kinderkrankenschwester.

Uns wurde nicht gerade Mut gemacht und wir konnten nur abwarten. Dieser Zustand von Tom machte Elke schon fast panisch, auf jeden Fall aber sehr unsicher und ängstlich.

Am nächsten Morgen wachte er auf, so als wäre nichts gewesen.

Derartige „ Kicks“ wie ich sie nannte kamen jetzt öfter vor meist, aber nur für 1-2 Stunden. Elke wollte in einer solchen Situation nicht mit Tom alleine sein.

Die Kicks traten ohne Vorankündigung aus heiterem Himmel auf. Nun war auch für mich ein Verlassen der Wohnung nahezu unmöglich.

Einkaufen ging erst ab 20 Uhr, wenn der Pflegedienst bei Tom war.

Rezepte wurden bei der Hausärztin per E-mail bestellt und an die Apotheke weitergeleitet und diese brachte uns die Medikamente.

 

Weihnachten

Es ging auf Weihnachten zu und wir fragten Tom, was er sich wünsche.Er wollte ein paar Video DVDs und ein ganz bestimmtes Spielzeug.Wir erfüllten ihm den Wunsch, auch wenn das Spielzeug recht sinnlos war.

Seine Motivation ließ täglich nach und als dann endlich Weihnachten war, hatte er kein wirkliches Interesse an den Geschenken.Er tat, als würde er sich freuen, denn er merkte selbst natürlich auch, dass es ihm immer schlechter ging.

Wir versuchten noch zu organisieren, dass seine Schwestern bald aus den USA kamen, um ihn noch einmal zu sehen, aber für kurzfristige Flüge konnten wir kein Geld auftreiben.

Wir sagten Tom, dass Ende Februar seine Schwestern kommen würden und er freute sich darauf. Anfang Januar wurde sein Zustand immer schlechter und ich suchte einen Weg, ihm zu sagen, dass er bald sterben wird. Da kam uns zugute, dass er der Krankenschwester sagte, dass er ins Krankenhaus wolle.

Sie fragte nach, warum er das möchte, und er machte klar, dass ihm da vielleicht besser geholfen werden kann. Das war mein Stichwort.

„Tom leider kann auch im Krankenhaus keiner etwas für dich tun, denn wie du selber merkst, geht es dir immer schlechter. Wir haben Angst um dich und wissen nicht, wie lange wir dich noch haben.“ Es war, als fiele ihm ein Stein vom Herzen, denn innerlich hatte er es sicher schon gewusst.

Nun kam die Aufgabe auf uns zu, ihm die Angst vor dem Tod und dem Sterben zu nehmen.

Es gab Gespräche mit Psychologen und Ärzten und es stellte sich heraus, dass er eine besondere Angst hatte und zwar die Angst, uns alleine zu lassen.

 „Tom, dein Körper wird uns verlassen, aber das was dich ausmacht, dein Geist, deine Seele und die Erinnerungen genauso wie deine Liebe, werden immer in unseren Herzen bleiben.“

 „Tom, in vier Wochen kommen deine Schwestern, schaffst du das so lange?“

„Ja Papa, ich glaube schon.“

Wir suchten Informationen und Bücher, die ihm die Angst vor dem Tod nehmen könnten.

Wir haben im Kinderhospiz das Buch  Oskar und die Dame in rosa  gesehen und besorgten die Geschichte als Hörspiel.

Leider schaffte Tom es nicht mehr, 15 Minuten am Stück zuzuhören, denn er war schon sehr schwach.

So schwach, dass er den Arzt sprechen wollte. Da sagte ich ihm, dass er selber entscheiden kann, wann er einschlafen möchte. Für immer Einschlafen! Das war am 14. Februar und er wollte sofort den Arzt sprechen. Leider war das nicht sofort möglich und wir konnten ihn auf den 16.02 vertrösten.

 Etwas anderes musste her, denn wenn er einen Film schauen wollte, konnte er länger durchhalten. Da fiel mir der Film Ghost - Nachricht von Sam  ein und ich besorgte den Film.

Am Abend des 15. Februar schauten wir gemeinsam den Film an. Die Anstrengung sah man ihm an, denn er hatte rote vertränte Augen, aber er hat durchgehalten .

Ich frage ihn, ob er jetzt noch Angst vor irgendetwas habe. Ein breites zufriedenes Grinsen überzog sein Gesicht.

"Wollen wir den Film morgen noch einmal ansehen?" fragte ich ihn.

Er schloss kurz die Augen, was ein Ja bedeutete.

In der drauffolgenden Nacht wurde ich von der Pflegekraft um 1 Uhr morgens aus dem Bett geholt.

 

Das Ende

 

Im Wohnzimmer war Alarm.

Das Pulsoximeter piepte nervtötend und ich stellte den Ton ab.

Toms O2 Sättigung lag bei 70% und die HZ Frequenz bei 160. Ich beruhigte ihn, denn sein Gesicht zeigte deutlich Angst, Angst davor zu ersticken.

Ich bebeutelte ihn  mit dem Ambubeutel  und zusätzlich Sauerstoff, aber es dauerte eine Weile, bis sich die Werte wieder normalisierten. Ich konnte ihn wieder an die Beatmung anschließen und setzte mich auf die Bettkante um Ihn zu trösten.

Gegen 3 Uhr war sein Zustand wieder normal und er lag entspannt im Bett. Er wollte noch ein Hörspiel eingelegt haben, bevor ich wieder ins Bett ging. Ich legte ihm seine Lieblings- CD "Robots" ein und ging ins Bett. Um 5 Uhr früh war ich schon wieder bei Tom und er schlief . Ich machte die Übergabe mit dem Pflegedienst und schickte diesen nach Hause.

So saß ich eine ganze Weile an Toms Bett bis gegen 7 Uhr auch Elke kam und wir frühstückten.

Wie immer, so auch beim Frühstück hatten wir Tom im Blick, damit wir mitbekamen, wenn er etwas wollte. Aber er lag friedlich da, mit einem kalten Lappen auf den Augen.

Wir besprachen, dass wir heute große Wäsche machen wollten, mit Bettzeug wechseln, Haare waschen, eben das volle Programm.

„Ich schau mal kurz, ob er schon wach ist“. Also stand ich auf und nahm den Waschlappen von Toms Augen.

„Hallo Tom, guten Morgen“! Keine Reaktion.

Ich streichelte ihn im Gesicht, aber auch da reagierte er nicht. Dann strich ich ihm über die Lippen, dann über die Augenlieder, was eigentlich immer mit Bewegung der Augen quittiert wurde.

Nichts, einfach nichts, keine Reaktionen.

Ich öffnete leicht seine Augen und diese sahen unnatürlich aus.

"Elke, gib mir bitte mal die Taschenlampe".

„Wozu, was ist los“? fragte sie.

„Ich weiß noch nicht." Also leuchtete in seine Augen und die Pupillen änderten sich nicht.

„ Ich glaube, das Waschen können wir uns sparen“, sagte ich und griff zum Telefon, um den Arzt anzurufen. Um 9 Uhr kam unsere Hausärztin und bestätigte meine Vermutung auf Hirntod.

Gegen 10 Uhr kam der Palliativmediziner und  auch er bestätigte den Hirntod.Tom bekam, so wie es der Gesetzgeber verlangt,  eine starke Dosis Dormikum, was ein Betäubungsmittel ist, um jegliche Gehirntätigkeiten, falls doch noch etwas funktioniert, zu unterbinden. Nach einer längeren Einwirkzeit stellte man die Beatmung ab.Ich saß die ganze Zeit auf Toms Bett und hielt Ihm die Hand und streichelte sein Gesicht, bis das Herz aufhörte zu schlagen.

Einerseits war es eine Erleichterung für uns alle denn ein Leben fand sein 10 Monaten nicht mehr statt aber andererseits wurde mit dem Stillstand des Herzens die Endgültigkeit deutlich.

Viele Gedanken wirbelten im Kopf umher. Was es wirklich zu Ende? Oder war das alles nur ein ganz böser Traum?

Bei der Trauerfeier  „Feier? „ kamen viel mehr als wir vermutet hatten.

Die halbe Schule mit Rektorin, Lehrern, viele Eltern mit ihren Kindern waren anwesend.

Personal von der Heimbeatmung Mara Bielefeld und das bisschen Familie was wir haben war auch da.

Die Beisetzung fand im aller engsten Kreise statt. Wir beide und Toms Schwestern aus USA die Dank der Kirche wenigstens jetzt hier sein konnten.

Wir möchten allen die uns in der Schweren Zeit unterstützten ein Herzliches Danke Aussprechen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.06.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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