In Evi schlummert tatsächlich eine Frau, die sich dann und wann nach großen Auftritten sehnt. Sie ist rot- haarig (echt rothaarig!) und hat ein Gardemaß von 174 cm. Wenn sie den Bauch einzieht und die Brust rausstreckt, dann hat sie eine schlanke Silhouette. Also, Evi liebt große Auftritte, auch wenn sie in ihrem Leben als Ehefrau, Mutter von zwei pubertierenden Töchtern und Frauchen eines agilen Labrador-Rüden eher selten sind. Ein Abend in der Hamburgischen Staatsoper ist ein absolutes Highlight. Evi hat eine der begehrten Karten für den wunderbaren „Schwanensee“ bekommen und schwelgt wochenlang in Vorfreude: Evi liebt Ballett! Und dann ist es endlich soweit, sie betritt das Foyer in einem eleganten knöchellangen Abendkleid aus schwarzem Samt. Das Haar hat sie kunstvoll aufgesteckt und sogar Make-up aufgelegt. Zum Kleid trägt sie eine elegante Unterarmtasche und Highheels. Im Alltag bevorzugt Evi Jeans, Sweatshirt und Sneakers, weil es praktischer ist. Oder können Sie sich vorstellen, dass Evi auf Highheels einem unkastrierten Rüden, der die Witterung einer läufigen Hündin auf- genommen hat, hinterher läuft? Eher nicht, oder? Aber das wäre ein Thema für eine andere Geschichte.
Nachdem Evi sich ein Programmheft gekauft hat, setzt sie sich im Foyer auf die Fensterbank und lässt ihre Blicke schweifen. Die Besucher der Staatsoper, die ein Abo haben, sind leicht zu erkennen. Meistens Ehepaare mittleren Alters mit dem angestrengten „Heute-Abend-gibt-es-Kultur-Blick“. Sie trägt den obligaten grauen Hosenanzug, dazu flache dunkle Schuhen. Am Arm die langweilige Henkel-Handtasche im Stil von Queen Elizabeth. Dazu natürlich eine adrette Dauerwelle. Ganz verwegene Damen tragen sogar ein Gold-Lamé-Bolero, in dem sie sich aber offensichtlich doch nicht recht wohlfühlen. Der Gatte („Elsbeth, heute haben wir Schwanensee“) trottet, sich dem Abo-Schicksal ergebend, im guten blauen Anzug hinterher, ruckelt am Hemdkragen und verflucht leise den Krawattenzwang. Aber für die Staatsoper muss man sich fein machen. Evi beobachtet eine Gruppe von jungen Frauen, die ganz selbstverständlich derbe Stiefel zu einem kurzen Spitzenrock tragen und ihre trendigen Rucksäcke an der Garderobe abgeben. An Gang und Gestik ist unschwer zu erkennen, dass es Ballettschülerinnen sind, deren größter Traum es ist, einmal in dieser weltberühmten Compagnie zu tanzen.
Wenn man vom Foyer die Treppe hinuntersteigt, erschließt sich an Bistrotischen die Welt derer, die sich mehr oder minder offensichtlich zu den Oberen Zehntausend der Freien- und Hansestadt Hamburg zählen und ihren Status gerne mit dem Besuch der Staatsoper dokumentieren. Vor der Vorstellung nippt man an dem natürlich namentlich reservierten Bistrotisch elegant an einem Glas Champagner. Zu essen gibt es auch etwas: eine Farce vom Stremellachs im Dialog mit grünem Spargel, montiert mit Weißweinsauce. So nennen Fachleute die sehr überschaubare Portion „Haute Cuisine“, die natürlich auf einem Designer-Teller serviert wird. Alles, was sich Evi bei dieser Szene denkt, ist die Farce. Im wahrsten Sinne des Wortes; denn sie verfügt über einen skurrilen Humor, wie eine Freundin ihr lobend bestätigte.
Aber zurück an den Bistrotisch. Die Damen gestylt von Kopf bis Fuß. Das faltige Dekolletee geschickt mit einer mindestens dreireihigen Perlenkette getarnt, diskret klimpernde Juwelen an den Händen und den Handgelenken. Der Rocksaum des edlen Designer- kostüms gerade so, dass die Grenze zur Peinlichkeit nicht überschritten wird. Der dazugehörige Gatte trägt natürlich einen Anzug aus feinstem italienischem Tuch, in den Ausschnitt des maßgeschneiderten Seidenhemdes hat er lässig ein Tuch gebunden. Außerdem kann es ja nicht schaden, wenn man den Autoschlüssel mit dem Logo einer Edelmarke ganz lässig und wie zufällig zwischen Champagnerglas und Designerteller platziert. Und dann diese Konversation: man war gerade zum Brunch auf dem Landsitz von Prof. Dr. X eingeladen, und außerdem war da noch die Vernissage mit dem Künstler Y, dessen Arbeiten doch sehr ambivalent sind. Ja, der Sohn studiert jetzt Architektur, und die Tochter ist zurzeit als Au-Pair bei einer wirklich gut situierten Familie in New York.
Eines dieser Paare der besseren Gesellschaft sitzt bei der Aufführung neben Evi. Offensichtlich strahlt sie Kompetenz aus; denn die Dame fragt sie in der Pause ganz aufgeregt, ob es denn wirklich „Schwanensee“ wäre. Das Ballett wäre doch klassisch, oder nicht? In Evi erwacht missionarischer Eifer, und sie bejaht die Frage mit Vehemenz und Begeisterung. Es wäre die berühmte Geschichte von Prinz Siegfried, der sich in die schöne Schwanenkönigin verliebt, die aber eine verzauberte Prinzessin ist. Heute Abend allerdings nicht in der klassischen Fassung, sondern in einer vollkommen neuen Interpretation. Die Dame lächelt charmant, klimpert nervös mit ihren Juwelen und sucht diskret Halt am Arm ihres Gatten. Offensichtlich hat sie Evi nicht verstanden. Was für eine Farce!
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.08.2019.
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Todes-Mais
von Torsten Jäger
Zwei Kommissare ermitteln, da der Leiter eines Genmais-Versuchsfeldes tot aufgefunden wird – übersät von Bienenstichen. Zunächst erscheint es wie ein Unfall. Sehr bald wird klar, dass es sich um keinen Unfall handeln kann. Doch auch ein Mord erscheint unerklärlich. Wie sollte man schließlich auch einen Bienenschwarm dazu bringen, einen Menschen zu attackieren? Die Kommissare verschaffen sich einen Überblick über die Lebensweise der Bienen und ermitteln in alle Richtung. Einerseits gibt es da eine Bürgerinitiative, die gegen den Genmais wettert. Andererseits existiert der Bruder des Opfers, der in Brasilien ausgerechnet Flora und Fauna erforscht und über ein nötiges biologisches Hintergrundwissen für die Tat verfügen könnte. Und nicht zuletzt gibt es auch noch die Imker in Bodenheim und Umgebung, die nur schwer Honig mit genverändertem Pollen verkaufen können.
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