Heinz-Walter Hoetter

Der Fall T-Bird (Teil 12)


 

Random & Shannon

Ermittlungsagentur NEW YORK

 


 

Der Fall T-Bird (Teil 12)



Die Dämmerung brach schon langsam herein.

Als ich draußen auf dem hell erleuchteten Flur stand fragte ich mich, ob es schon zu spät wäre, noch einen Blick auf Marcel Blank zu werfen. Ich war davon regelrecht besessen, mir diesen Kerl unbedingt anzusehen, ohne allerdings von ihm selbst gesehen zu werden.

Ich kam am Ausgang des Gebäudes wieder an dem Sergeanten vom Dienst vorbei und fragte ihn, wo die Leichenkammer liege. Als er mich skeptisch musterte, erklärte ich ihm sofort, dass ich noch kurz mit Inspektor Blanking sprechen wolle, falls er noch dort sei.

Der Uniformierte gab sich mit dieser Bemerkung zufrieden, wies mich an, nicht den Ausgang zu nehmen, sondern den etwas weiter rechts daneben liegenden Korridor. Ich solle bis zur letzten Tür vorgehen, dann nach links auf den Hof hinaus, und die besagte Leichenkammer läge schon fast vor mir.

Ich bedankte mich freundlich bei ihm und tat, was er mir an Anweisungen mitgeben hatte.

Der Eingang zur Leichenkammer lag jenseits des Hofes. Eine trüb leuchtende Lampe über der Tür spendete nur wenig Licht. Irgendwie kam mir die Umgebung gespenstisch vor. Zwei Fenster des niedrigen Gebäudes waren erleuchtet, und leise überquerte ich den mittlerweile dunkel gewordenen Hof. Dann, an eines der Fenster angekommen, schaute ich vorsichtig in den dahinter liegenden Raum.

Inspektor Blanking stand etwas abseits des Tisches, auf dem Virginia Shrivers Leiche lag, die bis zum Hals von einem weißen Laken bedeckt war. Ihm gegenüber stand eine schlanker Mann mit vollen, strohblonden Haaren und einem ebensolchen Kinnbart. Er trug einen hellen, modernen Anzug mit engem Zuschnitt, darunter ein weißes Hemd und die beigefarbenen Schuhe hatten hohe Absätze, die ihn größer machten, als er in Wirklichkeit war.

Wenn man sich mit den langen Haar und dem Bart abfand, konnte man ihn eigentlich als gut aussehend bezeichnen. Er hatte eine gut geformte Nase, tiefliegende, kluge Augen und eine hohe, gewölbte Stirn.

Während er Blanking zuhörte, klatschte er mit einer dünnen Reitgerte gegen seine eng anliegende Hose.

Er hätte damit auf einem Pferd vielleicht ein imposantes Bild abgegeben, aber ohne sah er auch nicht anders aus wie viele der Angeber, die hier in Terrania Bay City in Massen herumliefen.

Der Inspektor schien offenbar den größten Teil der Unterhaltung zu bestreiten. Blank nickte nur und äußerte nur hier und da ein Wort.

An Blankings Ausdruck konnte ich erkennen, dass er nichts herausbekam. Schließlich zog er zum Zeichen, dass die Unterredung vorüber war, das Laken über das Gesicht des toten Mädchens, und Blank ging quer durch den Raum zur Tür.

Ich trat schnell in den Schatten hinter der nächsten Mauerecke zurück.

Marcel Blank kam heraus, überquerte mit langen Schritten den Hof, klopfte dabei mit seiner Reitpeitsche immer wieder gegen sein Bein. Er verschwand durch die Tür, die zum Hauptausgang führte.

Ich ging sofort zum Eingang der Leichenkammer, stieß die Tür auf und trat ein.

Inspektor Blanking war gerade im Begriff, das Licht zu löschen, als er mich sah. Sein hartes, gespanntes Gesicht verriet Überraschung.

Mr. Random! Was wollen Sie denn hier?“

War das dieser Marcel Blank?“

Ja. In meinen Augen ein Schwindler und Betrüger wie aus dem Lehrbuch, aber mit seinem Keramikladen und der Töpferei scheint es ihm recht gut zu gehen. Mit diesem Schwindelunternehmen muss er ein kleines Vermögen verdienen.“

Blanking unterdrückte ein Gähnen.

Wissen Sie, was mir dieser Kerl gesagt hat? Sie werden es nicht glauben.“

Er berührte den Arm des toten Mädchens.

Sie war nicht nur fromm, sondern gab sich auch nie mit Männern ab. Sie hatte nicht einmal einen Freund, wenn man ihren Beichtvater nicht als ihren Freund bezeichnen will. Er war der einzige, in dessen Gesellschaft sie sich sehen ließ. Und dann auch nur, um ihm dabei zu helfen, für die Armen dieser Stadt zu sammeln. Der Arzt sagt, sie sei noch unschuldig. Ich spreche morgen mit dem Geistlichen. Aber ich nehme an, dass man diesem Marcel Blank glauben kann.“

Und trotzdem gab sie sich mit Shannon ab? Ein seltsames Verhalten“, sagte ich.

Blanking verzog das Gesicht.

War er wirklich so gut? Konnte er ein Mädchen wie sie für sich gewinnen?“ fragte er missgelaunt.

Ich würde es ihm nicht absprechen. Wissen Sie, mein Partner hatte da so seine eigene Technik, mir gefiel sie zwar nicht besonders, aber für den frommen Typ hatte er nicht viel übrig. Vielleicht war es nichts zwischen ihnen beiden. Vielleicht hat sie ihm dabei geholfen, ihm Informationen zu beschaffen.“

Tja“, raunte Blanking, „wären sie dann zusammen schwimmen gegangen? Und hätten sie die gleiche Kabine genommen, wenn es nur das war?“

Ich hob die Schultern.

  • Ich weiß nicht“, gab ich zur Antwort.

Nun, wenigstens sieht es so aus, als ob wir nicht nach einem Freund zu suchen brauchten.“

Blanking ging zum Lichtschalter und drehte ihn herum.

Sind Sie mit Mr. Curtis klargekommen?“

Seine Stimme kam aus dem Halbdunkel. Das trübe Licht der Außenlampe warf einen silbernen Schein auf den Boden der Leichenkammer.

Ich würde mal sagen, ja. Er sagte mir, ich kann Sie entweder zu Hause anrufen oder dort selbst besuchen, wenn ich Informationen wünsche.“

Er hat Ihnen aber nicht gesagt, dass Sie ihn zu Hause besuchen können, wenn Sie was von ihm wissen wollen, oder doch?“

Nein.“

Blanking trat jetzt neben mich.

Das habe ich mir gedacht. Das war zu erwarten. Er riskiert nie etwas.“

Er legte seine Hand auf meinen Arm.

Passen Sie auf ihn auf. Sie sind nicht der erste, den er hintergeht und falsche Tatsachen vorspielt. Er ist jetzt vier Jahre im Amt, und dort ist er ohne eine Menge Hilfe weder hingekommen noch geblieben. Er hat ein hübsches, gut entwickeltes Talent, andere sein Boot rudern zu lassen. Er ist der einzige Lump, den ich je gekannt habe, der mit der Verwaltung jagt und mit der Opposition bellt. Also, wie ich schon sagte, passen Sie auf ihn gut auf. Beherzigen Sie meinen Ratschlag, Random.“

Ich nickte mit dem Kopf. Selbst wenn er mir das nicht gesagt hätte, hätte ich Mr. Curtis nie und nimmer mein absolutes Vertrauen geschenkt. Jeder hier in Terrania Bay City war offenbar mit seinem eigenen Spielchen beschäftigt und jeder spielte es auf seine verschlungene Art und Weise. Tja, in meinem Beruf waren Skepsis und Vorsicht sowieso von größter Wichtigkeit, dachte ich so für mich und verließ mit Blanking zusammen die Leichenhalle. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, gingen wir schnell durch den Gang auf die Straße hinaus und ich verabschiedete mich von ihm.

Draußen war es mittlerweile richtig dunkel geworden. Müde rief ich nach einem Taxi, das ein paar Minuten später mit aufheulenden Triebwerken direkt auf mich zuschwebte und mit schaukelnden Bewegungen keinen Meter vor mir seitlich zum Stehen kam. Die breiten Flügeltüren öffneten sich surrend nach oben und ich stieg ein. Es tat mir richtig gut, mich in den weichen Polstersitz sinken zu lassen. Der Robotfahrer nahm mein Ziel stumm entgegen. Dann rauschte er mit seinem Taxi davon.

Als ich endlich in meinem Hotel zurückkam, war Mitternacht schon längst vorbei.

Der Nachtportier-Androide sah mich mit vorwurfsvollem Gesicht an, als ich mit schleppenden Schritten durch die Halle kam. Ich sah ihn nur kurz an und wunderte mich darüber, wie eine Kunstvisage aus Latex derart menschliche Züge annehmen konnte. Ich war einfach zu müde, mich mit ihm abzugeben, ging deshalb sofort weiter zum Aufzug, wartete bis er aufging und stieg ein. In der zweiten Etage verließ ich den Fahrstuhl wieder, schloss die Tür auf und öffnete sie. Ich fingerte nach dem Lichtschalter, den ich nach ein paar suchenden Bewegungen fand und schaltete das Licht ein.

Mir hätte es beinahe den Atem verschlagen, als ich den Raum sah. Dann begann ich mit unterdrückter Stimme zu fluchen. Das Zimmer war in der gleichen Weise behandelt worden wie das von meinem Partner Shannon. Sämtliche Schubladen hingen heraus, die Bettmatratze war aufgeschlitzt worden, meine Sachen lagen überall im Zimmer verstreut herum, der Koffer lag aufgeschlitzt auf dem Boden. Sogar Shannons Sachen hatte man durcheinander geworfen. Ein heilloses Durcheinander wohin ich auch schaute.

Dann durchzuckte mich ein kurzer Schreck. Ich ging schnell an die Stelle, wo ich die Schachtel mit den Mikrochips versteckt hatte. Ich schob meine Hand zwischen Teppichkante und Wand und fingerte suchend dahinter herum. Ich atmete auf. Die flache Schachtel war noch da. Ich zog sie hervor und grinste ein wenig.

Schließlich hockte ich mich nieder und öffnete den Deckel der Kunststoffschachtel. Einer der losen Chips fiel heraus, und ich musste ihn zwischen den zerstreuten Federn der aufgeschlitzten Kissen mühsam suchen. Zu meiner Erleichterung fand ich ihn gleich neben mir vor dem umgekippten Sessel.

Wenn jemand nach diesen Mikrochips gesucht hatte, grübelte ich nach, dann ist er auf jeden Fall ohne sie gegangen. Anscheinend hatte er was anderes gesucht, etwas, was ihm einfach wichtiger gewesen war.

Plötzlich fiel mir die kleine Anzeigenreklame mit den sechsstelligen Nummern auf der Rückseite des fein säuberlich gefalteten Papierblattes wieder ein. Ein schneller Blick auf den Boden hinter dem Stoffpolster der Schachtel belehrte mich, dass es nicht mehr da war.

Wie von der Tarantel gestochen richtete ich mich auf.

Jemand hatte die Mikrochips bewusst zurückgelassen und ganz gezielt nur das kleine Anzeigenblättchen mit den eingetragenen Nummern mitgenommen, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass ich es noch nicht bemerkt haben würde.

Frustriert ging ich zum zerfetzten Bett hinüber und ließ mich darauf nieder. Ich war einfach zu müde, um über „das Warum“ nachzudenken.


 

Fortsetzung folgt irgendwann!

Teil 12

(c)Heinz-Walter Hoetter

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.09.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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