Gherkin

💰Jieper Greedpharynx💰





Eine Gherkin-Parabel



Ein uralter Mann namens Jieper Greedpharynx, mit ellenlangem Weißbart und total zerfurchtem Ledergesicht, sitzt kerzengerade in seiner Kate, auf einem Hocker, ein Kissen scheint die einzige Annehmlichkeit. Stolz wartet er. Demut umschließt sein Herz, doch seine Haltung, seine ganze Attitüde ist, trotz seines hohen Alters, straff und nahezu jugendlich. Er bekennt sich zum Stolz. Dem Stolz des Alters. Trotzend wartet er. Hoffend.


Die Kate betritt ein forscher junger Jäger namens Remo Malazonde, 24 Jahre jung. Knapp nur tippt er an seine keck und schräg aufgesetzte Kappe, die eine lustige Feder schmückt. Er grüßt, sieht sich kurz in der kargen Kate um, meint dann lässig:

„Na, mein Alterchen, wie viele Jahre hast du denn schon auf dem Buckel, sprich?“

Der Greis sagt, den Gruß erwidernd, mit leiser Stimme zwar, doch deutlich und klar:

„An Jahren bin ich reich. Ich übertreffe alle anderen an Jahren. Und wohl auch an Reichtum. Du glaubst es nicht? Schau nur selbst.

Im Schuppen findest du etliche Golddublonen. Zähle sie, und teile dann diese Anzahl durch 175000. Sie sind dein Eigentum, sofern du richtig gezählt hast und mir die Zahl nennst! Denn dieser Summe entspricht auch mein Alter! Zähle also sorgfältig, Du besitzt nur diese eine Chance! Kehre erst aus dem Schuppen zurück, wenn du mein Alter zu benennen weißt - nur zu, spute dich... Doch wisse dies: Nennst du mir nicht mein richtiges Alter, so wirst du meinen Platz hier einzunehmen haben, und ich den deinigen! Bist du bereit? Dann gilt der Handel also. Abgemacht?“ Der Jäger schlug rasch ein. Die alte, sehnige Hand wurde sehr heftig geschüttelt.


Der Greis mahnte noch: "Ich will am Ende nur mein Alter wissen! Sagst du es falsch, brauchst du dies Kissen!" Und er zeigt, indem er sein Gesäß kurz anhebt, auf jenes, wunderschön bestickte Kissen. Die einzige Bequemlichkeit in all den vielen Jahren des Wartens - dieses handgestickte Sitzkissen.   


Nun, der forsche Jägersmann ist nicht nur recht jung an Jahren, sondern auch sehr neugierig. Wie Ihr alle wisst, steckt im Wort „neugierig“ auch das kleine, unscheinbar wirkende Wörtchen „gierig“. Gold und Dublonen, im erfreulichen Zusammenspiel Golddublonen benannt, diese herrliche Dublonen aus Gold, ja, die wollte er haben. Unbedingt… Jugend ist unfehlbar, unbezähmbar, unschlagbar. Die Jugend nimmt für sich stets in Anspruch, jegliche Hürde nehmen, alle Herausforderungen meistern zu können. Gold zählen? Und dann die Summe durch 175000 teilen? Das erschien dem kecken Jüngling nicht unbedingt als unlösbares Problem. Doch die Wucht des abgemachten Handels schien ihm in keiner Sekunde klar zu sein. Fehlte er, müsste er den Platz des Greisleins einnehmen. Und dieser würde den seinigen hernach beanspruchen.


Sofort sucht er den Schuppen auf. Und fast verschlägt es ihm den Atem. So viel gleißendes, wunderschön anzusehendes Gold hat er gar nicht erwartet.

Eitel Gold glitzert und glänzt von einem recht gewaltigen Berg herab, gute 2 Klafter hoch. Es blendet den jungen Jäger gar. Flugs fängt er zu zählen an. Fast wütend in seinem Eifer, schichtet er so Stapel um Stapel auf. Sorgfältig und konzentriert. Keine Fehler! Immer schön konzentriert bleiben, denkt er. Er zählt, schichtet und häuft, notiert seine Ergebnisse in einem mitgebrachten Buch.

Doch es verging die Zeit, sie strich nur so dahin. Der Jäger wurde immer skeptischer, je länger er zählte. Er zählte und stapelte, seine Fingerkuppen wurden ihm über die Monate gülden vom Zählen und Schichten, von all dem Häufen und Stapeln. Sein Bart wuchs, es wuchs auch die Ungewissheit, denn nie, nein, nie hatte der Jäger die Sicherheit, die unbedingte Sicherheit, diese ganz bestimmte Zahl nennen zu können.


Niemals! Immerfort musste er einen Neuanfang wagen! Der Mut schwand in dem Maße, in welchem gleichzeitig der Hunger nach all dem Gold anwuchs. "Seid mein, ihr wunderschönen, gleißenden Dublonen, seid alle mein!" rief jener Jägersmann, der über das Zählen und Stapeln deutlich an Gewicht verloren hatte. Täglich stand ein Krug Wasser und 1 Laib Brot vor der Tür des Schuppens. Oftmals wurde das Brot sogar hart, weil unser Jüngling gar zu verbissen zählte. Von des Morgens frühem Tau bis tief in die karge Nacht hinein, Zählen, Schichten, Niederschreiben, Zählen, Schichten.

Da er nur diese eine Chance hatte, zählte er immer und immer wieder von Neuem an. Wohl fing er mehr als TAUSENDE Male aufs Neue zu zählen an, verwarf, hub erneut an, verwarf wieder, schrieb, zählte und verwarf. Immer ergab sich eine andere, der vorhergehenden in keiner Weise ähnliche Summe, stets ergab sich ein neuer Betrag.

Irgendwann, da er jedoch denselben Betrag 3 x hintereinander vorweisen konnte, sein Büchlein war bereits bis zum letzten Blatt mit Zahlen-Kolonnen voll geschrieben, gab er einen kurzen Ruf der Freude, der Erleichterung von sich. Endlich. Es waren exakt 19 Millionen und 600.000 Golddublonen. Die Teilung, unter Tränen der Freude und der großen Erleichterung, ergab dann: 112. Sofort begab er sich in die Kate des alten Mannes. Nun würde er seinen verdienten Lohn erhalten: 19 Millionen und 600.000 Golddublonen! Er war reich! Endlich, er war unfassbar reich! Auf zur Kate.

Dort erwartete ihn der Alte bereits. Und dieser nach wie vor mit bestechend hellwach blitzenden Augen freundlich blickende Greis wies den verhärmten und abgemagerten Goldfingerkuppen-Jägersmann (er schien um viele Jahre gealtert) an, seine Lösung zu nennen. Der Golddublonen-Aufschichter sprach, mit absoluter Sicherheit im Herzen: "Du, Gevatter Ex-Golddublonen-Besitzer, bist exakt 112 Jahre alt!"


Der Greis schmunzelte, strich sich den Bart. Dann meinte er: "Richtig ist das Alter nicht! Im Schuppen warst du 13 Monde! Auch wenn es dir das Herz jetzt bricht - 113 bin ich, Malazonde!" Und flugs verwandelte sich dies illustre Bild. Der einstmals so altersschwache, uralte Mann sprang hoch vom Hocker, jäh,  springlebendig, verjüngt, frischen und unverbrauchten Mutes, bartlos, blitzenden Auges, und bedeutete dem nunmehr plötzlich extrem alt gewordenen Ex-Jägersmann, eben dort nun Platz zu nehmen. Juchzend vor Lebenslust, ungemein befreit, so glücklich also begab er sich zur Tür. "Ach, dies noch, mein Freund. Remo Malazonde mag früher einst dein Name gewesen sein -  jetzt aber hörst du auf den Namen Jieper Greedpharynx. Habe die Ehre, lebewohl!"

Darob verließ, recht gut gelaunt, beschwingt und fröhlich, ein Jüngling in bestem Alter diese Kate, froh und auch etwas spöttisch seinen Hut zum Abschied schwenkend, den eine lustige Feder schmückte. Unser Greislein, 113 Jahre jung, war also nun zum Jüngling geworden, der Jägersmann jedoch zum uralten Manne, von lediglich 24 Lenzen wurde er zu einem 112jährigen.


[Der aufmerksame Leser wird fragen: Warum 112 Jahre? Warum wird hier nicht 1:1 getauscht? Remo müsste 113 sein, der zuvor Alte ist jetzt 24 Jahre jung. Ja? Richtig? Nein. Der Ausgangspunkt wurde wiederhergestellt, die ursprüngliche Situation wird quasi neu geladen, rebooted, reloaded - es ist ein RESET! Remo heißt jetzt Jieper und ist 112 Jahre alt. Jieper jedoch heißt nun Remo und zählt 24 Lenze!]



So also nahm der frühere Jägersmann auf dem Hocker Platz. Er spürte das Kissen unter sich. Weisheit und Reife durchströmten ihn mit Wucht. Wohl umschloss Demut sein Herz, doch auch Stolz erfasste den Besiegten, gepaart mit einiger Hoffnung und starker Sehnsucht. Er strich sich den langen, weißen Bart. Hellwachen Blickes, stets auf die Tür gerichtet, hoffte er darauf, dass sie sich öffnen möge. Doch Gier war es keineswegs, die ihn antrieb, ständig auf die Tür zur Kate zu sehen. Es war vielmehr eine leise Ahnung, eine demütige Bitte an das Schicksal. Sein Los kaum bedauernd (sicherlich schien diese Strafe mehr als berechtigt), murmelte er seinen neuen Namen immer wieder vor sich hin: Jieper Greedpharynx, Jieper Greedpharynx... Ach, Wehmut im Herzen, gepaart mit banger Hoffnung - immerfort den Blick zur Tür gerichtet.


Wusste er doch darum, dass dereinst ein junger Mann, vielleicht ein Müllerbursche, ein Zimmerer oder auch ein junger Fischer, diese seine Kate betreten würde. Und dieser junge Mann würde dann wohl auch, Neugier ist der Jugend Torheit, nach des Greises Alter fragen. Nun, und in diesem Falle würde wohl der Schuppen nebenan sicherlich seinen ihm angestammten Dienst zu verrichten wissen…


Und jeder, der diese Kate betreten sollte und die niedere Stirn besaß, das dort wartende Greislein nach seinem Alter zu befragen, wird stets den Namen Jieper Greedpharynx tragen. Jeder! Ohne Ausnahme! Und alle, deren Nachnamen auf Greedpharynx lautet, alle haben güldene Fingerkuppen. O ja, alle! Niemand wird je Besitzer der 19.600.000 Golddublonen sein. Und das ist tröstlich. Was ist schon alles Gold und Geld der Welt im Angesicht der Liebe?


Übrigens, einige wenige Besucher schauen sich kurz in der Kate um, grüßen den alten Mann auf dem Hocker freundlich und verlassen ihn wieder, ohne den netten alten Mann überhaupt mit Fragen zu belästigen. Und der bekannte Schuppen nebenan wird dann im weiteren Verlauf der Geschichte des Besuchers keinerlei Rolle spielen. Und dies scheint auch ganz gut so.



EPILOG

Vielleicht ganz interessant für die Leser: Mein Neffe, ein aufgeweckter Bursche,
las diese Parabel, obschon er sonst absolut rein gar nichts liest (außer, immer
gezwungenermaßen, die Schulbücher). Nach der Lektüre meinte er: "Wenn ich
der neue Remo wäre, also der frühere Jieper, dann würde ich am nächsten Tag
in die Kate kommen und den Alten nach dem Alter fragen. Danach geht er, nur
als Alibi, in den Schuppen. Zählen muss er ja nicht. Er kommt in die Kate und
meint dann cool: Du bist 112 Jahre alt! --- Und schon ist der 24jährige 19facher
Millionär. Easy!"

Das sollte nicht nur beweisen, wie clever unsere Youngster sind, sondern auch,
dass bisweilen zwischen den Älteren und den Jungen eine gewisse Diskrepanz
im Denken, Fühlen und Handeln besteht. Wären Sie auf diese clevere Lösung
gekommen? Ich jedenfalls war tief beeindruckt. Ich sagte: Es ist eine Parabel.
Da gibt es solche Schlupflöcher nicht. Es fragt ja auch keiner, wer, zum Geier,
dem Golddublonen-Zähler täglich das Wasser und das Brot vor den Schuppen
stellt. Richtig? Richtig!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.09.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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