Ivan Sokac

DER DIEB

An einem verwässerten Tag erscheint am beschmutzten Himmel immer häufiger der Staub des düsteren und langweiligen Alltags. Wir haben uns an ihn gewöhnt, auch an diese armselige Lethargie und es scheint uns, als geschehe nichts. Kreise brechen durch ausgequetschte Strahlen der trägen Sonne. Sie sagen nicht viel. Sie schweigen und mit ihrer unsichtbaren Bewegung zwischen den Koordinaten zielen sie auf Punkte, die wir in der Ebene hinterlassen. Und doch geschieht so einiges.

Auf dem gleichen Pflaster im Zentrum Belgrads steht auch weiterhin der Obdachlose in Lumpen und beobachtet stumm Vorbeigehende. Er scheint in den Boden eingeschweißt zu sein, Er steht bewegungslos wie ein unsichbarer Punkt des Foucaultschen Pendels und die Welt dreht sich um ihn. Unsere Blicke kannten sich schon, so dass sich unsere Willen ruhig begrüßten und im Vorbeigehen ein paar Worte austauschten.

„Du stehst wieder an der gleichen Stelle?“ – murmelte mein Blick.

„Ich warte auf ihn.“ – antwortete der seine.

„Warum stehst du gerade hier? Warum stehst du nicht im Versteckten, damit dich die ihren nicht sehen können?“ – fragte der meine.

Stille.

Ohne Zweifel waren unsere Blicke alte Bekannte, auch wenn ich manchmal wiederwillig an diesem alten zerlumpten Unbekümmerten vorbeiging. Man weiß nie, wem man nahe steht ...

An gleicher Stellte und in einem eigenen unregelmäßigen Rhytmus schwankend, blickte er plötzlich in den Himmel und der Blick murmelte: „Da ist er. Er kommt endlich. Ich warte den ganzen Tag auf ihn.“

Der meine schaute auch in die gleiche Richtung und sagte:

„Ahhh! Auf ihn hast du gewartet.“

Der Dieb hoch oben über unseren Köpfen packte wieder das Licht der erst aufgegangenen Sonne, versteckte es unter seinem dunklen Mantel, schaute den Alten mit einem höhnischen Lächeln an und flog davon ins Unbekannte.

So hat auch der ganze Planet wieder einen Kreis gemacht. Diebe haben wieder einen Teil des Lichtes gestohlen, die Sonne hat sich zynisch und verängstigt zurück gezogen. Ihr kann man auch keinen Glauben schenken.

Es scheint, dass ruhmgekrönte Diebe in dunklen Röcken herrschen und Untertanen anbieten, ihnen für eine Handvoll des gestohlenen Tages zu folgen. Sich als Menschen darstellend, treten sie alle nieder, die das angebotene Körnchen nicht nehmen möchten, das in ihnen gesät und eine neue Rasse bilden soll.

In der Angst, von diesem Samen vergiftet zu werden, fing ich meinen Blick ein und zog ihn an mich. Eilenden Schrittes ging ich die Straße hinunter ... weit weg ...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.09.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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