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DES TEUFELS GROSSMUTTER







Der extrem schwergewichtige, kurzatmige, eigentlich permanent schwitzende Kommissar betrat schnaufend den Tatort. „Gut denn, was haben wir also hier, Selthenreych?“ Mit einem riesigen Schweißtuch, das eher an ein Strandtuch erinnerte, tupfte er sich unablässig die nasse Stirn ab. Sein Assistent, Adalbert Selthenreych, kam aus der Hocke hoch und meinte, auf den dort in seinem Blute liegenden Leichnam deutend:

„Das Opfer ist eine Margaretha Cora Teufel, 77, eine Rentnerin. Die Frau wurde sehr  brutal erschlagen. Die Tatwaffe liegt dort drüben...“ Und er deutete, etwas müde, auf einen Vorschlaghammer, der auf einem der drei Küchenstühle lag. Deutlich war Blut auf der Pinne zu erkennen. Der alten Dame war mit dem keilförmig zulaufenden Teil des Hammerkopfes der Schädel eingeschlagen worden. Und zwar so, dass man ihr Gesicht nicht mehr erkennen konnte.

Überall Blut. Kommissar Waldemar Pfröpfchen meinte lakonisch, nachdem er das grauenvolle Bild hatte auf sich einwirken lassen: „Was für eine Sauerei hier. Hat diese arme Frau allein gelebt?“

Selthenreych antwortete sofort: „Nein, der Ehemann lebt auch hier, ein (schaut auf seinen kleinen Notizblock, die Seiten sind eng beschrieben) Reginald Teufel, 81, der Mann musste, als er aus dem Goldregenpark zurück kam, wo er wohl einen langen Spaziergang unternommen hatte, sofort ärztlich betreut werden. Der Tod seiner Frau, die beiden waren immerhin über 50 Jahre miteinander verheiratet, hat ihn so sehr mitgenommen, dass er jetzt im Luigi Colani-Hospital auf der Intensiv-Station liegt. Denke, wir können den Ehemann als Täter ausschließen. Er hatte nicht mal einen Blutfleck an oder auf seinem Trainingsanzug...“

Der Kommissar schob ein: „Und bei solch einer Gräueltat müsste der Täter ja quasi in Blut getränkt sein, richtig?“

Selthenreych nickte. „Der alte Mann kam vom Spaziergang zurück, fand seine tote Frau - und kollabierte auf der Stelle. Er muss noch laut geschrien haben, denn eine Nachbarin der Eheleute, eine Ilsebill Nothgrosch, 54, kam sofort herüber gerannt und fand die grauenhafte Szenerie vor. Sie hat uns auch angerufen, das war exakt um 15 Uhr 37 Minuten.“

„Na, dann können wir den Ehemann als Tatverdächtigen streichen. In der Regel ist es ja immer der Ehemann. Aber hier...  (der Kommissar biß herzhaft in einen Müsli- Riegel) ...hier müssen wir uns anderweitig umsehen. Sonstige Verwandte?“ Assistent Selthenreych bemühte den Notizblock. „Ja, ein Enkel, Johannes Teufel, 24, derzeitig arbeitslos. Das wissen wir von der Nachbarin. Es soll wohl oft Streit gegeben haben.“

„Na, dann lassen Sie nach dem jungen Mann fahnden, Selthenreych. Dem möchte ich heute noch im Präsidium gegenüber sitzen. Auf das Verhör bin ich gespannt...“

Der Rechtsmediziner war eingetroffen. Man kannte sich schon so lange, da reichte ein Nicken in alle Richtungen bereits aus. Von den beiden ermittelnden Beamten sehr genau beobachtet, führte der forensische Pathologe, Dr. Friedbert Wahnhaber, eine erste Leichenschau durch. „Kann noch nicht lange tot sein, denke, kaum länger als 2 Stunden. Livores sind kaum ausgeprägt (murmelnd, mehr zu sich selbst). Hier haben wir etwas...“ Und er zieht etwas aus dem Mund, diesem fürchterlich entstellten früheren Mund heraus. Pfröpfchen und Selthenreych staunen nicht schlecht, als der Rechtsmediziner ein Blatt Papier, DIN A 4, 210 mm breit und 297 mm hoch, aus dem Rachenraum der Verstorbenen entfernt.

Der Blick des Kommissars schien sagen zu wollen: Warum hast du das denn nicht gefunden, Selthenreych? Selthenreych jedoch konnte hier keine Fehlleistung sehen. Dazu waren die Forensik-Profis doch schließlich da, oder? Entsprechend unwirsch fiel sein „Blick zurück“ denn auch aus.

Dr. Wahnhaber entfaltete das Blatt vorsichtig. „Sütterlin“, meinte er knapp. „Das kann ich nicht lesen. Muss ins Labor, zum Schriftsachverständigen.“ Selthenreych sicherte das Beweisstück. „Könnte Aufschluss geben über Tatmotiv und Täter! Kann auch kein Sütterlin lesen. Was da wohl drin stehen mag?“ Der Kommissar hatte nun den zweiten Riegel in Arbeit.

An diesem Tag konnte der Enkel nicht aufgegriffen werden. Aber am folgenden Tag dann, es ging auf Mittag zu, wurde er in der Nähe des Goldregenparks gesehen und konnte nur wenig später auch festgenommen werden. Er wehrte sich nicht gegen diese Festnahme. Handschellen wurden ihm angelegt. Vorsichtshalber waren die Hände auf dem Rücken gefesselt worden. Der junge Mann zeigte sich geständig. Ja, er habe seine Großmutter im Affekt getötet, mittels eines mitgebrachten Hammers, den er jedoch am Tatort zurückgelassen habe. Zeitgleich war die Übersetzung des Briefes im Büro des Kommissars eingetroffen. Hier der exakte Wortlaut:




Mein liber Enkelsohn,

bin retorisch nicht so beschlagen als wie du, und ich weiß auch nicht, wass du mit derer Euphimismus meinen tust, dass Wort hab ich noch nie gehöhrt, aber meiner Meinung nach befintest du dich in einer prikärem Disaster.

Ich hab das alles mit unserer Pfarrer besbrochen. Er sagt wortwördlich: Dir felt es an Authenzität, an Seriösität, vor allen aber an Religiösität, das einzigste, was du wohl pohsietiev aufzuweißen hätest, wären Nervösität und Agreßivietät.

Höhr auf den Pfarrer, Enkel, der dir räd, nunmer zum proglamieren, diessen unfeine satierische Art, die alle um dich rum zu vereppelen, soford zu underlassen. Ja, dieser Überaschunksmoment ist dir gelungn, als du lezde Woch miet dem Pluhmenstruass vor meine Tühr gestanden warest. Es isst der Verdienst von dir, das jetz so schoene Plumen bei mich in der Vahse stehn tun. Daführ vilen tausent Tank.

Aber der Ansgar Kirkes, der wo mein Pfarrer isst, sagt nuhr eine Bilgerreiße zu dem Pabst nach Rohm kann dir noch helfe. Und die Ilsebill, die wo mein Nachbahrin isst, lojal und mit vil Humohr und Sponntannithät immer gutt underweks, sagt vorgestern: Besser wie ein Pundesweer-Laufpahn kann dich nichtz passiren. Das briengt edwas Strucktuhr und Ordnunk in dein Lodderleben hinein.

Ich erwardt mier also von meim Enkelsohn, das er tut, was die Omma rathen tut. Geh zum Pund, verflichte dir fuhr eine Lepenszeid.
Vorhin wars so schön gewehsen, die Sonn hat geschienen, und die Spadzen, die wo so gern singe tun vor meim Fensder, habed dirilird.

Da hat dein Oppa sei altes Tricko übergestriffe und is rauß in die Natuhr. Er lässd dir fridlisch grüse. Und dei alde Omma drüggt disch, denn sie hatt dir sehr liep. Pussie.




Pfröpfchen und Selthenreych sahen sich an, als sie das Schriftstück durchgelesen hatten. „Du meine Güte“, meinte der Kommissar. „Ich muss sofort mit diesem Teufel reden!“ Assistent Selthenreych bemerkte sehr wohl, wie stark der Kommissar das Wort „Teufel“ betont hatte. Der heißt nicht nur so, der ist auch einer. Wer die Oma mit solch einer Brachialgewalt regelrecht zerschmettert, mit wohl mehr als 20 Hieben, der muss ein Teufel in Menschengestalt sein.

Als der Kommissar, entsetzlich schwitzend, dem geständigen Täter im Verhörraum gegenüber saß, knackste er zunächst alle Finger, und zwar einzeln, durch. Aus all seiner Erfahrung war ihm diese akustische Folter als starker Effekt bekannt. Denn die meisten Verdächtigen sind dann sofort ein wenig eingeschüchtert.

Dann richtete Pfröpfchen das Wort an den Täter: „Sie sind wegen dem Mord hier...“  Weiter kam er nicht. Teufel sprang hoch, die Hände mit Handschellen hinter seinem Rücken gefesselt, und schrie: „Es heißt des Mordes wegen! Ich flehe Sie an, bitte, befleißigen Sie sich einer deutlich angenehmeren Diktion, Sie tumber Thaddädl, Sie“. Der Kommissar, völlig ruhig: „Das war ein Pleonasmus, mein Herr!“ Zufrieden biß er in seinen 5. Müsli-Riegel heute.

Teufel lief hochrot an und stürzte sich auf den feisten Mann dort im Stuhl, der mehr liegend als sitzend seinen Riegel kaute. Ihn zu belehren? Ihn maßregeln zu wollen? Ihn, den unfehlbaren Meister der Grammatik, der Orthographie und der Interpunktion also, ja? Ihn? Hier also hüpfte der Täter wie ein Springteufel vom Stuhl hoch. Bevor Assistent Adalbert Selthenreych überhaupt reagieren konnte, war der Großmutter-Mörder bereits beim völlig überrumpelten Kommissar, und beugte sich nun zu dem extrem dicken Mann hinunter. Johann Teufel begann wie irrsinnig, seine Stirn mit Wucht gegen den dicken Kopf des Kommissars krachen zu lassen, wilde Ur-Laute dabei ausstoßend.

Er hatte schon 6 wuchtige Kopfstöße ausgeteilt, der Kommissar blutete bereits, als Assistent Selthenreych endlich in der Lage war, den Tobenden zu überwältigen. Der junge Mann hatte Schaum vor dem Mund, kreischte: „Mich belehren zu wollen, ja?!? Mich? Pleonasmus, ja?  Das ist nicht auszuhalten. Ich bringe Sie um! Ich werde Sie töten... Dafür werde ich Sie mit dem Hammer erschlagen, Kommissar Pfröpfchen, mit dem Hammer... Sobald ich aus diesen Handschellen raus bin, zum Teufel!“ Er wurde rasch abgeführt und der Kommissar ins Krankenzimmer geführt.

Johann Teufel kam nach dem Prozess in den Maßregelvollzug. Dort sitzt er einsam und ohne jede Chance auf einen Hofgang ein. Keiner spricht mit ihm. Eine Therapie wurde ihm verwehrt, denn kein Therapeut wagte es, mit Johann Teufel zu arbeiten. Wie groß sind die Chancen für einen Verhaltenstherapeuten, eine mehrjährige und nachhaltige Therapie zu überleben/unbeschadet zu überstehen? Genau, sehr gering.

Der Kommissar, mit dickem Kopfverband, meinte später zu seinem Assistenten: „Der hielt mich für dümmer wie ich eigentlich wirklich bin, Selthenreych!“ Und der Assistent gab Kommissar Waldemar Pfröpfchen recht. Und wie er ihm recht gab.

Gut nur, dass Johann Teufel das nicht hatte hören müssen.

Das neurologisch/psychologisch/psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben, das Folgendes offenbarte:

Ein Prof. Dr. Dr. Stunkenfreyn schrieb: „Der Tatverdächtige besitzt eine ausgeprägte narzisstisch- histrionische Persönlichkeitsstörung. Er gehört zu den hochsensiblen Menschen, die bereits bei leichter Verunsicherung zu dramatischem Fehlverhalten neigen. Allerlei Neurosen und imponierende psychische Multi-Intoleranzen führen, gebündelt, zu erschreckend aggressiver Verhaltensstörung, die durchaus sogar in einem Mord im Affekt, also dem Totschlag, gipfeln könnten. Ich erkenne auf eine Borderline-Störung, der mutmaßliche Täter ist zudem bi-polar. Er kann Recht von Unrecht durchaus unterscheiden, aber die innere Dämonen-Armee lässt ihn zum Sklaven seiner überbordenden Störungsmuster, Tics, Spleens und Marotten werden, und somit ist Johann Teufel voll verantwortlich für den Mord an der Großmutter; doch ich empfehle hier während der Haftzeit eine Langzeit-Verhaltens-Therapie. Sie kann, bei aktiver Mitarbeit des Patienten, zum Erfolg führen. Die Störungsautomatismen im neuralkomplexen Nervensystem können, bei langer intensiv durchgeführter Therapie, durchaus behoben werden.

Dieser kranke Enkel strebte eine perfektionistische phonemisch-morphophonemische Orthographie, Grammatik und Interpunktion an. Er hat schwer an Grammatophobie gelitten, also der völlig übersteigerten Angst vor Grammatik- und Orthographiefehlern und die Großmutter besaß eine ausgeprägte LRS (Lese- und Rechtschreibschwäche, sie war Legasthenikerin), ein mehr als explosives Aufeinandertreffen von unglücklich verlaufenden Faktoren.

Syntaktische und semantische, immanent fehlerbehaftete Redundanz wider eine  pathologische Grammatophobie, ja, das kann tödlich enden. In diesem Fall war nämlich der Trigger, also der Auslöser, dieser Brief der Oma an den Enkel.“ Prof.
Dr. Dr. Stunkenfreyn.

Johannes Teufel würde nie wieder in Freiheit leben dürfen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.10.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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