Hans Fritz

Schiff in Not


Parallele zu meiner Kurzgeschichte «Aufbruch in eine ferne fremde Welt»

In einer Zeit verschärfter friedensbedrohender Krisen bietet Lektüre über die Entdeckung möglicherweise belebter Exoplaneten eine hochwillkommene Ablenkung. Tambosirk sei so ein virtueller Planet, etliche Lichtjahre von der Erde entfernt. Er wurde vor langer Zeit von Erdenmenschen erobert, die über mehrere Generationen im Mercurion, einem Raumtransporter der Superlative, ihrer Erlösung sprich Landung entgegenfieberten.

Unter den zahlreichen Stadtgründungen kommt der Bezirkshauptstadt Moghsunda eine besondere Bedeutung zu. Im Verlauf weniger Jahrzehnte entwickelte sich die Siedlung zu einer ansehnlichen Industriemetropole. Wo Handel und Wandel gedeihen wird oft der Schutz der Umwelt ausser Acht gelassen, nicht nur auf der Erde. Im Umkreis von Moghsunda hat jedoch der Schutz der ursprünglichen Landschaft mit ihrer typischen Flora und Fauna höchste Priorität.

Die Skonebs sind Nachfahren einer irdischen Familie Schmidt. Sie bewohnen ein schickes Haus an der quirligen Hauptstrasse, die sich nach dem letzten Gebäude, einer kürzlich errichteten Markthalle für Obst und Gemüse, in einen unasphaltierten, mit groben Gesteinsbrocken übersäten Weg fortsetzt. Der Weg endet am Unterlauf des Lopergat, einem weitgehend ungebändigten, das heisst noch nicht in ein ausbetoniertes Bett gebannten Strom. Der Unterlauf setzt sich in eine Stromschnelle fort, unterbrochen von einer ‘natürlichen’ Stufenterrasse aus basaltähnlichem Gestein.

Aus Mangel an fossilen Brennstoffen hat sich auf Tambosirk schon früh die Solarzellentechnik als unverzichtbares irdisches Erbe etabliert. So versorgen sechs einklappbare Sonnensegel das beliebte Ausflugsschiff SUNSTAR mit der nötigen Antriebsenergie.

Alwina Skoneb feiert ihren fünfundvierzigsten Geburtstag. Ihre Familie, das heisst der Ehemann, die beiden Töchter und der Sohn, schenken ihr einen Bon für eine Fahrt mit dem SUNSTAR auf dem Lopergat. Die älteste Tochter Nora und Sohn Kenny werden sie begleiten. Auch ihre betagte Mutter Jolanda, die für ein paar Tage angereist ist, wird mit von der Partie sein.

Begleiten wir die vier aufs Schiff, wo sie um die Mittagszeit an einem runden, auf blanken Bohlen festmontierten Tisch Platz nehmen. Beim Genuss landesüblicher aber nicht mal so übler Fertiggerichte und aufgewärmter Getränke geht die Zeit schnell dahin.

Viele Passagiere halten, mit einer Kamera bewaffnet, Ausschau auf die den Fluss begleitende Landschaft. Meterhohe, blaubereifte Gewächse mit sichelförmigen Blättern säumen die Ufer. Dann und wann leuchten rote, sehr unregelmässig gestaltete Türme hervor. Es sind irdischen Pilzen ähnelnde Gebilde, wie vor Kurzem eine regionale Naturforschungsstelle herausgefunden hat. Am rechten Ufer tut sich eine Lichtung auf. Über gelblichgrünen Dornbüschen schweben dunkle, an urzeitliche irdische Flugechsen erinnernde Wesen. Otterähnliche Wasserbewohner, die Toladschis, umspielen das Schiff, wahrscheinlich auf hinabgeworfene Futterbrocken erpicht. Plötzlich kehren sie um und schwimmen stromaufwärts. «Das ist kein gutes Zeichen», meint Jolanda. «Die reagieren auf eine zunehmende Intensität der Strömung», glaubt Enkel Kenny zu wissen.

Nach Tagen heftiger Niederschläge ist der Himmel nun fast wolkenlos. Das Zentralgestirn scheint allerdings einiges an Strahlungskraft eingebüsst zu haben. Das beruht auf einer vorübergehenden vermehrten Häufung von schwarzen Flecken, meinen die Astrologen lapidar.

Wie üblich sollte das Schiff gut fünf Kilometer vor dem Beginn der Stromschnelle wenden. Ist es der ungewöhnlich hohe Wasserstand, ist es ein technischer Fehler? Das Schiff lässt sich nach mehreren Ansätzen wenden, nimmt aber keine Fahrt auf. Es treibt sogar einen halben Kilometer zurück, auf die Stromschnelle zu. Das Schifffahrtsamt erhält einen Notruf. Die Sprechanlage macht die Passagiere auf eine unvorhersehbare Störung aufmerksam. Es bestehe aber kein Anlass zur Panik. Gut gesagt. Vor fast einem Jahr entkam eine Jacht nicht der Stromschnelle, wurde vom mächtigen Wellengang mitgerissen. Für die acht Insassen des Bootes, ein Geschäftsmann und seine Freunde, kam jede Hilfe zu spät.

An Bord werden jetzt Schwimmwesten verteilt. Gut gemeint, aber wohl jedem Passagier, der die Launen des Stroms kennt, ist klar, dass das nicht mehr als ein schwacher Trost ist.

Passagiere ganz unterschiedlicher Herkunft und Ambitionen werden ungewollt zur Schicksalsgemeinschaft. Familiengeschichten werden ausgeplaudert, nicht ohne ausdrückliches Erwähnen der irdischen Abkunft. Das friedvollste Ambiente erleidet fast zwangsläufig Schiffbruch, wenn es um die globale oder lokale Politik geht. Mensch bleibt Mensch, ob auf der Erde oder einem fernen Planeten. Wie um die Gemüter in einer sich zunehmend erhitzenden Atmosphäre zu beruhigen, reichen Kellnerinnen mit gut einstudiertem Dauerlächeln eisgekühlte Getränke.

Nach einer Stunde bangen Wartens auf eine Befreiung aus der leidigen Situation schwankt die allgemeine Stimmung zwischen Gelassenheit und Verzweiflung. «Ich habe mit allem abgeschlossen, es kommt wie es kommen muss», sagt Jolanda mit ruhiger Stimme. «Nein, es muss und kann nicht kommen, weil wir gerettet werden», versucht Enkelin Nora sie zu trösten. «Sind Sie sich dessen sicher, junge Frau?» spricht ein Mann im schwarzen Pullover am Nachbartisch. «Ja, da bin ich mir ganz sicher», antwortet Nora. Ihr Bruder Kenny entschliesst sich, sehr zum Missfallen seiner Mutter, zu einem Erkundungsgang auf dem Schiff.

Nun wird das in letzter Zeit häufig Kapriolen schlagende Naturgeschehen unter die Lupe genommen, mit echtem oder vorgetäuschtem Sachverstand. Auch die Tücken der Technik kommen nicht zu kurz. «Mit einem leistungsstarken Brennstoffmotor wäre uns das hier nicht passiert», meint ein offensichtlich Allwissender. «Das Auswerfen von Heck- oder Buganker brächte bei dem steinernen Grund mit wenig Sedimentauflage rein gar nichts», trägt ein Anderer zum Geplauder bei, das mehr und mehr ins Banale abzugleiten droht. Zu allem Überfluss tritt nun ein Mann im aschgrauen Mantel und mit zerschlissenem Schlapphut auf, um lautstark das Ende aller Zeiten anzukündigen. Der Besatzung gelingt es schliesslich ihn vom Deck wegzukomplimentieren.

Vorm Tresen im Hintergrund erscheint ein Mann im blauen Overall und verkündet: «Herrschaften, die Rettung naht. Ein Transporthelikopter der Extragrösse und -klasse wird in einer guten halben Stunde den SUNSTAR ins Schlepp nehmen. Es gibt zwar weit stromaufwärts ein sehr leistungsfähiges Schleppschiff, das aber erst nach Stunden den SUNSTAR erreichen würde». Weitere Worte werden von allgemeinem Jubel übertönt. Was wohl die wenigsten Passagiere wissen: Vor zwei Jahren ist der Versuch einen mit Betonschwellen beladenen Laster mittels Helikoptereinsatz aus einem versumpften Gelände zu ziehen fehlgeschlagen.

Da naht auch schon der angekündigte Helikopter. Ein dickes Tau wird auf das Schiff abgerollt. Innerhalb weniger Minuten gelingt das Vertäuen und der SUNSTAR wird aus der Gefahrenzone gezogen. Eine Aktion, die vielleicht auf der Erde ihresgleichen suchen würde. Gut zweihundert Meter vor der kritischen Strömung ist die Rettung der Ausflügler in letzter Minute geglückt.

Am nächsten Tag berichten die Medien über das ‘Wunder von Moghsunda’. Eine Frage der Schuld an der Beinahe-Katastrophe wird von Seiten der Justiz nicht erwogen. Es ist ja den Passagieren nichts passiert. Das Schifffahrtsamt wird jedoch zur Zahlung des Rettungseinsatzes verdonnert und erhält ausserdem die Auflage, die Wendeboje für die Personenschifffahrt ein paar Kilometer weiter stromaufwärts zu verankern.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.10.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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