Der Separatfrieden mit den Westmächten hatte zu einem spürbaren Aufatmen im Land geführt. Hier und da wurde verhalten kritisiert, der Preis erschien manchem als zu hoch. Die meisten Deutschen hatten jedoch verstanden, dass es besser war, diese bittere Pille zu schlucken, wenn man nicht den ganzen Krieg verlieren wollte.
Nach wie vor zeigte die Wochenschau nicht die ungeschminkte Wahrheit und doch war das von ihr vermittelte Bild insgesamt düster. Immer weiter rückten die Russen vor.
In den Zentralen von Gestapo und SS wuchs mit jeder Woche die Frustration, weil man nicht so richtig wusste, woran man mit dem neuen Regime war. Es wurde vermutet, dass die Mördertruppe um Stauffenberg einen Mangel an Gesinnung und Willen offenbaren würden. Deutschlands Kraft, ein einziger starker Wille zu sein, eine unbeugsame Schicksalsgemeinschaft, schien porös zu werden. Fingen nicht die Juden schon an, auf offener Strasse zu grinsen?
Natürlich wurden sie gebraucht, da waren sie sicher.
Auch Stauffenberg machte das entstandene ideologische Vakuum Sorgen. Die Menschen mussten sich unter eine gemeinsame Idee scharen können, sonst war in diesen schweren Zeiten alles verloren. Und als eine grosse Idee kam letztlich nur der Nationalsozialismus in Frage. Gewiss, er war durch Hitler und seine Schergen auf das Schlimmste missbraucht worden. Doch wie konnte sein reiner Kern, die Idee des Volkes und seiner Kultur, seiner Bestimmung, seiner Kraft, seines Zusammenstehens, wie konnte die Deutsche Idee von all dem Blut und dem Schmutz wieder befreit werden?
«Wir müssen rasch Ordnung in unsere Propaganda bringen.» sann Stauffenberg, als die Generäle den Raum verlassen hatten und nur noch Tresckow geblieben war. «Wir müssen den Nationalsozialismus reformieren und zwar rasch. Die Menschen zweifeln und Zweifel ist das schlimmste Gift in einem Krieg. Sie müssen wissen, was richtig ist und was falsch, was ein Verbrechen ist und was eine Heldentat. Sie brauchen geistige Führung. Jetzt ist vieles vage und düster, es herrscht ein Mangel an Vertrauen und Führung.»
«Das sehe ich auch so.» bestätigte Tresckow.
«Sämtliche Institutionen müssen durch einen Reformprozess, schnell, entschlossen, konsequent. Das Militär macht mir da noch am wenigsten Sorgen, da gibt es klare Aufgaben und Hierarchien. Aber wir müssen den ideologischen Apparat umbauen, den Rundfunk, die Presse, die Universitäten.»
«Wir brauchen wohl einen tatkräftigen Philosophen, der das in die Hand nimmt.»
«Na, ja.»
«Ich weiss, wer das übernehmen kann.»
«Ich höre.» Stauffenberg schaute seinem Mitstreiter kurz an.
«Heidegger.»
«Heidegger? Dieser Eigenbrötler?»
«Ich denke, er ist der Beste, den wir auf die Schnelle haben.»
«Dann lass ihn herbringen.»
Der Philosoph, halb Bauer, halb Weltweiser, betrat ruhig, doch bestimmt den Raum und ging auf Stauffenberg zu.
«Guten Tag, Professor» sagte dieser.
«Guten Tag.»
«Ich habe sie rufen lassen.» begann Stauffenberg. «Weil ich Ihnen eine wichtige Aufgabe übertragen möchte. Sie wissen, dass Hitler und sein Regime Deutschland verraten hat. Um sein verbrecherisches und schändliches Treiben zu beenden, haben wir uns zu dem Attentat entschieden. Ich habe Hitler getötet, um Deutschland wieder auf den richtigen Weg zu führen.»
«Es ist ein Irrtum, wenn Sie glauben, dass es Ihre Tat war.» unterbrach Heidegger seinen Redefluss. «Es war eine Schickung des Seins, die sich ereignet hat. Ich habe sie seit langem erwartet.»
«In ihren Schriften scheint sich davon aber nichts zu finden.»
«Nicht alles Gedachte ist dazu bestimmt, niedergeschrieben zu werden.»
«Ich möchte» Stauffenberg sprach nun härter, fast militärisch «dass Sie die nationalsozialistische Idee von ihrem Missbrauch reinigen, vom Verbrecherischen und Primitivem. Ich möchte, dass Sie beratend oder entscheidend in einem Gremium wirken, das eine Reformation aller weltanschaulichen Institutionen rasch und entschlossen vorantreibt, ich möchte «
«Auch Sie» unterbrach ihn Heidegger «haben die Grösse der Bewegung nicht verstanden.»
«Na, dafür haben wir ja jetzt Sie.» Stauffenberg war etwas genervt. Er fixierte den Denker und fragte scharf: «Bis wann können Sie ein Konzept erarbeiten? Die Zeit drängt.»
«Das Denken lässt sich nicht mit der Uhr befehligen.»
«Ich frage mich allerdings, ob Sie für diese Aufgabe der Richtige sind.»
«Sie werden bald von mir hören.» sagte der Philosoph, blitzte den Oberst aus seinen bäurischen Augen an und ging so ruhig aus dem Raum wie er ihn betreten hatte.
Das Auditorium war bis auf den letzten Platz voll, die Menschen drängten sich in den Gängen, selbst auf den Fensterbänken hatte man sich niedergelassen. Die angekündigte Rede trug den schlichten Titel: «Die Erneuerung des Deutschen Geistes.»
Mit einige Minuten Verspätung betrat Heidegger den Hörsaal. Er schritt zum Pult, das Gemurmel im Raum erstarb, es trat eine angespannte Stille ein. Der Philosoph trank langsam einen Schluck Wasser aus dem bereitstehenden Glas, legte sich sein Manuskript zurecht, schaute in sein Publikum und begann dann zu sprechen.
«Deutschland ist im Krieg. Das Wesen des Krieges aber ist kaum hinreichend bedacht. Ist dieser Krieg gemacht, gemacht von einer Regierung, die ihre Zwecke verfolgt, ist dieser Krieg eine Machenschaft und gehört der Betriebsamkeit zu, die ohne ein Ende und ohne einen Grund zu kennen, betrieben wird?
Mit einem solchen Sagen wäre das Wesen unseres geschichtlichen Augenblickes aber verfehlt. Der Krieg ist ein Geschick des Seins, ein Ruf des Seins, der uns aufruft, ihn zu hören und zu Hörigkeit emporzuwachsen.
Durch dieses Land, durch dieses deutsche Land zeigt sich die Schickung des Seins, ereignet sich das Schicksal und die Entscheidung. Jenseits der westlichen Grenze hat sich das Gestell eingerichtet und folgt seiner blinden seinslosen Raserei. Im Osten aber ….»
Heidegger sprach noch lange.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.10.2019.
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