Ingo R. Hesse

Die beste aller Zeiten

Zum ersten Mal stieß ich in einem Internet-Forum, beim Ausfüllen meines Profils auf diese Frage. „In welcher Zeit hätten sie gerne gelebt?“

 

Etwa eine Minute zuvor war mir zu der Frage „Welche Erfindung halten sie für die bedeutendste“ spontan die Örtliche Betäubung beim Zahnarzt eingefallen. Und die Frage nach meinen negativen Eigenschaften konnte ich nach einer Millisekunde intensiven Nachdenkens mit einem klaren „Keine!“ beantworten. Aber hier, ..bei dieser Frage stutze ich.

 

Denn, ..ja sicher habe ich auch Abenteuer-, Wildwest- und sonstige Romane gelesen. Dazu Schund-Hefte, die ebenso in fernen Ländern und in früheren Zeiten spielten. Und natürlich hatte ich auch Geschichts-Unterricht in der Schule. Fast hätte ich die Bibel vergessen, die ja auch in Zeiten spielt, in denen es zwar für Männer einfacher war mit Frauen umzugehen, in denen es aber weder Gel-Einlegesohlen für die Schuhe, noch Jeansjacken gab.

 

Und dann die ganzen Science-Fiction Filme, in denen das Leben von paradiesisch bis düster beschrieben wird. Nein! Ich hätte in keiner anderen Zeit leben wollen. Weder in der Vergangenheit, noch in der Zukunft. Auch nicht in einem anderen Land. Und das obwohl ich rückblickend bis hier und jetzt niemals so glücklich war, wie ich es mir meiner Meinung nach zugestanden hätte.

 

Da fällt mir ein Gespräch mit einer Freundin ein, die gerne und oft von ihrer unglücklichen Kindheit berichtete. Aber sobald die ins Detail ging, wurde klar, dass sie in dieser Zeit sehr viel Schönes erlebt hatte. Mehr als manche anderen Menschen.

 

So ähnlich geht es mir. Meine Kindheit war nicht grausam. Und von meiner Jugend bis heute habe ich Sachen besessen, Erlebnisse gehabt und Menschen kennen gelernt, die es nur in dieser Zeit und nur in diesem Land gab. Und das in Sicherheit. Ohne Hunger. Ohne Krieg.

 

Moped, Motorrad, eine große Anzahl alter und drei neue Autos. Meist ca. 50.000 km pro Jahr, von denen über die Hälfte zum reinen Vergnügen dienten. Die abendliche „Runde“, mal alleine, oft in Begleitung zum Quatschen. Und in besonders lohnenden Fällen Zwischenhalt im dunklen Forst mit ausgeschalteter Innenbeleuchtung.

 

Kneipen in denen die Gästeschar zu gefühlt 30 Prozent aus echten Originalen bestand, die ich niemals vergessen werde. Medizinische Versorgung. Immer genug zu essen und niemals wirklich lange Durst. Alkohol. Currywurst und Koteletts. Radio, Fernsehen. Der erste VHS- Videorekorder mit dem Wissen um diesen speziellen abschließbaren Schrank beim Fachhändler. Nyltest-Hemden, in denen ich das Schwitzen lernte, Twinsets und Lastexhosen. Aussichtstürme vor denen nächtliche Lagerfeuer stillschweigend geduldet wurden.

 

Mir tun heutige und spätere Jugend-Generationen leid. Außer vielleicht dem Sonntags-Fahrverbot werden sie vieles von dem, was ich haben und erleben durfte, niemals kennen lernen.

 

Ich habe keine Kinder. Mein ökologischer Fußabdruck endet also mit mir. Und ein Auto habe ich schon lange nicht mehr, fahre also umweltfreundlich mit den Öffentlichen. Insofern hält sich mein schlechtes Gewissen für meinen Anteil am Klimawandel in Grenzen.

 

Das ändert nichts daran, dass mir Nachfolgende leid tun. Und dass ich mich, obwohl ich im letzten Viertel meines Lebens stehe, sehr freue genau in dieser Zeit gelebt zu haben. Und in keiner anderen.

 

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