„Auch ich in Arkadien!“
An diese staunenden und freudevollen Worte Goethes über seine italienische Reise (1786-1788) wurden wir während unseres Kurzurlaubes (16.-20.9.2018) am Gardasee immer wieder erinnert.
Wir sollten uns hier nicht nur durch die geradezu legendäre Schönheit von Italiens größtem See verzaubern lassen, sondern u.a. auch einen Blick in seine Vergangenheit werfen, den Spuren eines sagenumwobenen Volkes folgen und schließlich sogar dem Dichterfürsten selbst begegnen.
Unsere Reise in den Süden begann recht abenteuerlich - die Abfahrt des Busses war am 16. September für 6.00 Uhr morgens angesetzt. Das hieß für uns, um 3.30 Uhr von zu Hause weg zu meiner Mutter und von dort um 4.30 Uhr mit dem Taxi in die Innenstadt. Schlaf gab es natürlich für keinen von uns in dieser denkwürdigen Nacht. Meine Mutter mit ihren 85 Jahren (!) nahm das mit viel Humor.
Doch mit einer pünktlichen Abfahrt um 6.00 Uhr wurde es nichts, und auch nicht mit unserer Hoffnung, uns womöglich schon um halb bis dreiviertel 6 Uhr in den warmen Bus setzen zu können (es war nämlich ziemlich kalt an diesem Sonntagmorgen). Dem armen Busfahrer war ein trauriges Missgeschick passiert. Auf der Fahrt im Dunklen über Land von seiner Zentrale aus, lief ihm ein Reh in den Bus ... So wurde es dann doch beinahe 7.00 Uhr, als wir, müde und durchgefroren, endlich die Fahrt in den Süden antreten konnten.
Im Bus war erst mal Schlafen angesagt - bis hinter die österreichische Grenze, wo es Puller- und Frühstückspause gab. Ein guter Kaffee und eine leckere Semmel im Bauch weckten die Lebensgeister wieder.
Und dann kam die Fahrt durch die Tiroler Bergwelt. Ein wahrlich beeindruckendes Panorama. Ich schaute und schaute und konnte mich nicht satt sehen an der großartigen Szenerie, die sich dem Auge und Gemüt bot. Hohe, schroffe Felsen, unzugänglich eigentlich für den Betrachter, und doch mit Burgen, Gehöften und ganzen Ortschaften in sie eingebettet, an ihnen praktisch "festgeklebt" oder thronend.
Immer wieder musste ich hierbei an meine Dolomitensagen denken und dass es kein Wunder ist, wenn sich für die Menschen dieser Bergwelt Wirklichkeit und Fantasie ganz leicht verwischen konnten ...
Die Zeit verging wie im Fluge, und ehe wir uns umschauten, waren wir in Italien und ganz bald am Gardasee. Hier gab es dann den nächsten Nervenkitzel:
Die Straße, die unser Bus am See entlang bis Limone fahren musste, die Gardesana occidentale, wurde erst 1932 gebaut; bis dahin war das kleine Fischerdorf Limone (heute etwas mehr als 1000 Einwohner), nur mit dem Boot oder über die Berge, z.B. mit dem Esel, erreichbar.
Teilweise ist diese Straße komfortabel ausgebaut, sodass auch der Bus gut Platz hatte. Teilweise aber in den Felsen gehauen und dann so schmal, dass unser Busfahrer einige male zu tun hatte, nicht mit dem Spiegel etwa hängen zu bleiben; und es kam auch vor, dass sich in der Röhre Bus und Auto begegneten - dann waren Fingerspitzengefühl, Geduld und gute Nerven angesagt!
Die schon jetzt wunderschöne Aussicht auf den See bei strahlender Sonne und überhaupt die ganze Landschaft, die malerischen Ortschaften, durch die wir fuhren und schließlich die Ankunft in unserem gemütlichen Hotel entschädigten mehr als genug für alle etwaigen Unbillen.
Die folgenden Tage, der 17. bis 20. September, zeigten sich uns als ein einziges überwältigendes Erlebnis ...
Das liebenswerte Städtchen Limone sul Garda, dessen Wahrzeichen die Zitrone ist, mit seinem bezaubernden italienischen Charme. Der Name des Ortes rührt vermutlich nicht von den zahlreichen Zitronengärten und ihren „wohl vermarkteten“ Früchten her, als vielmehr von dem Wort limes (lat. Grenze), der historischen Grenze zur einstigen Republik Venedig.
Unsere wunderbare Hotelanlage, in der wir ein selten schönes Terrassenzimmer mit Blick auf den Gardasee hatten, die Gastfreundschaft im Hotel und überhaupt die Freundlichkeit der italienischen Menschen und auch der anwesenden (Mit-)Gäste oder die vielen Schiffe und Boote auf dem See.
Das quirlige Malcesine, das wir am anderen Seeufer besuchten mit seiner eindrucksvollen Lampartenburg - im 6. Jahrhundert von den Langobarden ("Lamparten") erbaut -, in deren Turm Goethe 1786, während seiner italienischen Reise, wenn auch nur kurz, sogar als vermeintlicher Spion (!) festgehalten wurde. Hier fanden wir eine kleine, aber feine Dauerausstellung, die dieses Ereignis in Originalhandschriften und Zeichnungen (von Goethe selbst) erzählt.
Dann der Monte Baldo, der aufgrund seiner milden klimatischen Gegebenheiten Heimat für eine Fülle von besonderen Tieren und Pflanzen ist.
Und schließlich der Gardasee selbst. Der See bot jeden Tag und zu verschiedenen Tageszeiten ein anderes Bild. Wohl bedingt durch die Luft- und Wasserströmungen bildeten sich vor unseren Augen fantastische Wolkenbilder, die, zusammen mit der Sonne, zu so manchem ungewöhnlichen Foto verleiteten.
Die Einheimischen sagen, der See hätte die Gestalt einer Laute, mein Mann und ich meinen, er sähe aus wie ein fliegender Engel …
Auf der Burg von Malcesine befindet sich ein Naturhistorisches Museum, in dem u.a. die Biologie, Geologie und Geschichte des Sees gezeigt wird. Hier erfuhren wir u.v.a., dass der Gardasee durch Gletscher entstand, dass er über 300 m tief ist, sein Umfang fast 160 km misst und dass sein größter Zufluss, die Sarca, einen Nebenfluss, den Aril, hat, der mit 175 m Länge als kürzester Fluss der Erde gilt!
Hier noch ein paar Worte zur Burg von Malcesine, die heute eigentlich Scaliger-Burg heißt, nach der Veronesischen Herrscherfamilie della Scala, auf die die bedeutsamsten Aus- und Umbauten um 1300 zurückgehen.
Goethe schilderte die Burg in seiner "Italienischen Reise" und fertigte von ihr eindrucksvolle Zeichnungen an, skizziert vom Boot aus gesehen.
Der Name "Lamparten" für die Langobarden ist mir aus der mittelalterlichen Sagenwelt vertraut. Insbesondere hat es mir die Sage um den Lampartenkönig Ortnit, seine wunderschöne Frau Sidrat und den edlen Ritter Wolfdietrich angetan, die sich auch um den "Gartensee" (= Gardasee) rankt.
Schon lange hatte ich darüber nachgedacht, wo wohl die historische Burg "Garten" liegen mochte, in der sich ein Teil des Geschehens in der Sage abspielt und meinte, ich hätte sie in der Burg von Malcesine gefunden. Doch mittlerweile weiß ich, dass das historische "Garten" (hängt zusammen mit dem uns vertrauten Begriff Garten = "mit Gerten abgesteckter, geschützter Bereich") im Mittelalter eine Festung, "Rocca di Garda", war, die von Theoderich dem Großen im 5. Jahrhundert begründet wurde und auf einem Felsen hoch über dem noch heute bestehenden Ort Garda lag. Der Name ist vermutlich entstanden zur Zeit der Völkerwanderung und der Ansiedelung der Langobarden.
Im 10. Jahrhundert herrschte hier der Langobardenfürst Berengar II., mit dessen Person geschichtliche Ereignisse verbunden sind, die wohl den wahren Kern der von mir so geschätzten "Wolfdietrichsage" bilden könnten ...
Die junge italienische Königin Adelheid (931/32-999) verlor nach nur dreijähriger Ehe ihren Mann, König Lothar von Italien, durch Vergiftung. Da der o.g. Langobardenkönig Berengar die junge Witwe mit seinem Sohn Adalbert verheiraten wollte, sie dies aber ablehnte, setzte er Adelheid in seiner Festung Garda ("Garten") gefangen. Es gelang Adelheid bei Nacht und Nebel mit ihrer kleinen Tochter Emma von der Festung zu fliehen (!). Sie wandte sich an den König und späteren Kaiser Otto I., den Großen, um Hilfe, der Berengar besiegte und Adelheid selbst heiratete, die dann sogar Kaiserin wurde.
Hier sieht man auch, dass Geschichte, das heißt das Leben selbst, ebenso spannend und romantisch sein kann wie die darum gewobenen Sagen ...
Die im Mittelalter im übrigen als uneinnehmbar geltende Burg Rocca di Garda, an der sich sogar Friedrich Barbarossa die Zähne ausbiss, gibt es leider heute nicht mehr - sie wurde im 16. Jahrhundert von den Venezianern erobert und zerstört.
Nach diesem kleinen Ausflug in die Geschichte nun wieder zurück in die Gegenwart.
„Auch wir in Arkadien!“
So wie einst Goethe ließen auch wir all die wunderbare Schönheit und Freundlichkeit um uns herum in uns einströmen, ertappten uns immer wieder bei dem Gefühl, unser Glück, hier zu sein, kaum fassen zu können.
Wir nahmen jeden Tag, jede Stunde, ja sogar Minute und auch die Zeit in unserem schönen Hotel in unser Herz auf.
Der Abschied am Donnerstag, dem 20. September, geschah mit einer Träne im Herzen. Besonders meine Mutter war ein wenig nachdenklich, ist es doch ungewiss, ob sie noch einmal die mit einer solchen Reise verbundenen Strapazen auf sich nehmen kann.
Wie tapfer sie in ihrem hohen Alter alles mitgemacht und durchgestanden hat, ist bewundernswert! Nur einmal, als die Abhänge zu steil waren und ganz am Schluss der Reise, nicht weit vor ihrem Zuhause, zeigte ihr Körper "die rote Karte". Glücklicherweise konnte sie sich nach einigen Tagen absoluter Ruhe wieder erholen.
Zu Gast in dem liebenswerten Städtchen Limone am Gardasee – es war ein Erlebnis der besonderen Art, das uns für ein paar Tage in das wundervolle Lebensgefühl der italienischen Menschen eintauchen ließ, das Auge mit großartigen landschaftlichen Schönheiten verzauberte und noch lange im Herzen nachleuchten wird.
Heißt es doch nicht umsonst, der einzige Reichtum, den es sich im Leben zu vermehren lohnt, sind die Erinnerungen ...
Angela Pokolm
(2018)
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'Lamparten'-Scaligerburg in Malcesine
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„Der Gardasee (italienisch Lago di Garda oder Bènaco), einer der oberitalienischen Seen, ist der größte See Italiens. Sein antiker Name lautete von etwa 200 v. Chr. bis 800 n. Chr. Lacus benacus ...“ [https://de.wikipedia.org/wiki/Gardasee]Angela Pokolm, Anmerkung zur Geschichte
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.10.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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