Heimepisoden: Das Fotoalbum
Eine der Heimbewohnerinnen, die ich regelmäßig besucht habe, war 95, im Rollstuhl und fast blind. Trotzdem war sie immer gut gelaunt und zufrieden. Ich lernte sie im Garten kennen. Wie die Großmutter aus dem Märchen kam sie mir vor: Die weißen Haare zu einem Knoten aufgesteckt, meistens in ein großes Umhängetuch gewickelt, saß gerne unter einem schattigen Baum und ließ sich gerne von den vorüber Gehenden ansprechen. Abends war sie eine der Letzten, die ins Haus geholt wurde.
Wenn ich sie nach dem Gottesdienst ins Zimmer schob und fragte, wo ich sie mit dem Rollstuhl hinstellen solle, war ihre einzige Bitte: In die Sonne. Und da träumte und döste sie vor sich hin.
Gerne fuhr sie auch noch allein im Garten spazieren, immer wieder legte sie Pausen ein, wollte sich aber nicht schieben lassen. „Ich brauche Bewegung“, war ihre Antwort.
Nun hatte sie Geburtstag. Da auch ich den Bewohnern zum Geburtstag mit einer selbst gemachten Karte gratulierte, kam ich spätnachmittags noch zu ihr ins Zimmer. Freudestrahlend berichtete sie mir, sie hätte ein dickes Fotoalbum bekommen, ob sie es mir zeigen durfte.
Ich glaubte nicht richtig gehört zu haben. Sie, die fast blinde Frau, ein Fotoalbum? Wie geht sie damit um? Da ich für Neues immer aufgeschlossen war, willigte ich gerne ein und nahm das große Buch in die Hand.
Bei einzelnen Bildern erkannte sie wohl Umrisse, sonst fragte sie mich: Was ist auf dem Bild, wer ist da drauf? Ich beschrieb die abgebildeten Personen und sie legte los und erzählte mir Lebensgeschichten einzelner Menschen, über die Verwandtschaft und ihre damaligen Freunde. Die Stunde bis zum Abendessen verging im Flug, ihr hat sie viel Freude gemacht und für mich war es eine große Bereicherung.
Menschen, denen so viel an Lebensqualität verloren gegangen war, sehen mit dem Herzen, haben ihre inneren Bilder, von und mit denen sie leben.
Diese Frau hatte aber auch noch regen Anteil an der Außenwelt und konnte sich dankbar über alles freuen.
Eine großartige Dame, die ich mir gerne zum Vorbild nehme.
ChA 20.11.19
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.11.2019.
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von Christa Astl
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