Karl-Konrad Knooshood

Unverhoffte Gefangenschaft



Im Überschwange. Lange schon war die Klinke defekt. Locker, lose hing sie am Klinkenzylinderstift.

Auf beiden Seiten.

 

Dem war keine Relevanz zugedacht worden.

Was machte es schon?

Es bedeutete nichts.

Das Haus war alt, da fiel schon mal was, bröckelte, kippte, wetzte, schabte sich ab. Abnutzung war dieses Gebäudes wahrer Vorname. Bauzeit: 50er Jahre, was erwartete man?

Die Klinke fiel nur gelegentlich klirrend herunter. KLING! KLONG! Kein Problem, wenn die Tür angelehnt, einen Spalt offen war. War sie heute aber nicht! Pech gehabt! Pech, das konnte man wohl sagen!

Es ging nicht schlimmer! Schlafzimmer! Zum Wohnzimmer hin. In dem aber nicht! Sondern im Schlafzimmer, in Unterwäsche, halbnackt, ungeduscht, schwitzend. Mitten im frischen Frühling. Kleidung? Zum Glück im Kleiderschrank.

Handy, schnurloses Festnetztelefon? So ein "Glück": Beides im Wohnzimmer! Dort lag es warm und trocken, haha. Laptop, Computer? Schreibzeug? Alles im Wohnzimmer, dort warm und trocken, Essen, Trinken, Nahrung, Flüssigkeiten? In der Küche, nur durch das Wohnzimmer zu erreichen, im Schlafzimmer wird nicht gegessen oder getrunken! Haustiere? Alle im Wohnzimmer – und weder intellektuell noch physisch in der Lage, zu helfen. Schlüssel? Innen an der Wohnungstüre, wie es sich gehörte, solang man da war, nicht hier jedenfalls.

 

Okay, die Lage war aussichtslos. Die Tür war ins Schloss gefallen, durch Unachtsamkeit. Verschlossen war sie nicht, der Schlüssel war schon lange abhanden gekommen. Nur war sie zu. Der Zylinder war nicht drehbar, gab keinen Millimeter nach, die Klinke im Inneren des Schlafzimmers ließ sich nicht wieder mit dem Zylinder verbinden. Wo ist der Werkzeugkasten? Ach, im Einbauschrank, dem Erker… - im Wohnzimmer! Also auch Fehlanzeige! War vorher nicht klar, dass nur diese Einrastvorrichtung sich nicht öffnen lässt. Versuche mit einer alten Kreditkarte aus der Nachttischschublade und mit einem schmalen Stift aus derselben schlagen fehl. Rien ne va plus. Was also tun? Überlegt: sich abseilen? Womit denn? Mit Laken, mit Winterschals aus dem Kleiderschrank? Kann man vergessen, sowas funktioniert nur beim Gefängnisausbruch im Film (man muss soeben an AC/DCs Frühwerk, den Song "Jailbreak" denken, aus der BON-SCOTT-Ära). Immerhin ist das Fenster ohne Gitter, die man zuvor aufwändig mit im mitgebrachten Kuchen von Oma versteckten, ins Kittchen geschmuggelten Feilen auffeilen müsste! Außerdem: 3. OG – zwecklos.

 

Laut um Hilfe rufen, die Nachbarn aufschrecken, gleich die ganze Nachbarschaft auch der umliegenden Mietshäuser (Wo wohnen Katzen? In Miezhäusern)? Peinlich und doof! Keinen großen Bahnhof machen hier, kein Mega-Aufsehen oder gar öffentliches Ärgernis erregen! Bloß nicht! Den ohnehin dauernd tratschenden, sich das gehässige Schandmaul zerreißenden Nachbarn eine Real-Life-Hasenfußgeschichte liefern, von der sie noch jahrelang hätten zehren können? Nee, sorry, ausgeschlossen! Das hatte damals schon gereicht, als die Polizei wegen eines Missverständnisses geklingelt hatte und man aufwändig alles erklären musste. Pardon, mit Verlaub: Es muss noch eine andere Lösung geben, ohne gleich potenziell Polizei, Feuerwehr (mit langer Leiter) und Schlüsseldienst (um nach der Rettung per Wohnungsaufbruch per Feuerwehreinsatzfahrzeug-Leiter aus dem Fenster die Wohnungstür aufzubekommen, denn der Schlüssel steckte ja noch innen) auf den Plan rufen zu müssen! Was befand sich im Raum? Wann musste man zur Arbeit? Aha. Wecker sagt nein! Wecker sagt: Nicht lang aufhalten, nicht mehr ewig Zeit. Dann also. Das war noch stundenlang hin, aber nicht ewig, darüber hinaus waren Ferien, keine Schule, ein langes Wochenende stand bevor – plus Anhang. Wie lange würde man's aushalten in diesem Raum, ohne Nahrung, ohne Wasser, ohne mehr als ein paar Bücher auf dem Nachttisch? Es war kein Warten auf GODOT, Gott oder irgendeine hilfreiche Person in der Not, sondern ein hilfloses: Wie komme ich hier raus? "Scannen" des Raumes nach brauchbaren, hilfreichen Gegenständen. Die Ecke mit dem Staubsauger. Was tun? Den Staubsauger opfern, ihn mit voller Wucht gegen die Tür schmeißen? In der Hoffnung, dass sie sich auch nur einen Mikrometer bewegt? Den Sauger anwerfen, um das Holz der Tür allmählich aufzusaugen? Würde das was bringen? Würde das funktionieren? Eventuell ja, nur würde es ungefähr 10.000 Jahre dauern, wenn nicht 20.000. Keine Option, man würde altern, rasch altern – und nach 1-2 Wochen ohne Wasser und Essen tot umfallen – oder sich selbst, in der Not, zu verspeisen beginnen.

 

Weitergrübeln. Decken, süße Kuscheltiere? Jede Menge da, helfen nur nicht. Nervosität, überflutet mich jetzt nur nicht! Was ist das? Ein Holzstiel. Ein Schrubber-Stiel ohne Schrubber dran! Ein Gewinde an seiner Spitze, aus hartem Metall, sieht stabil aus, in das man den Schrubber einschrauben kann. Nicht jetzt! Man muss die Tür mithilfe dieses Teils irgendwie aufstemmen. Spoiler nach ca. zwei Minuten: Es funktioniert nicht! Was nun?

 

Verzweifeltes, speerartiges Einschlagen auf die Tür mithilfe dieses Stiels. Da! Plötzlich ein kleines kreisrundes Loch! In der Nähe des Türschlosses. Idee: Mehrere Löcher nebeneinander reinhauen, ein ganzes Stück raus, um durch die Lücke greifen zu können. Türklinke auf der anderen Seite ist ja auch rausgefallen. Also ein sehr viel größeres Loch reinhauen. Starkes Schweißaufkommen, Perlen rinnen den ganzen Körper hinab. Verwunderung, wie einfach es ist, der Tür weitere Löcher beizubringen… Wäre sie massiv gewesen: keine Chance. So splittert das billige, alte Sperrholz, flockt in Spänen, Splittern und langen, spitzen Holzzapfen nieder, staubt und stiebt. Ein großes Loch entsteht, ungleichmäßig, Splitter und Speere ragen hervor, es ist nicht ungefährlich, durchklettern kann man noch nicht. Schockiert festgestellt, dass die Tür fast hohl ist, aus zwei Spanplatten zusammengesetzt, mit vereinzelten Streben im Inneren, die eine Art Netzwerk ergeben, das einen alles andere als stabilen Eindruck macht. Boom! Zack! Hack! Stoß! Zopp! Klopp! Hau! Krach! Knack! Zott!

Man hört den Nachbarn von unten hochbrüllen, es sei zu laut, man solle gefälligst leise sein.

Dieser Arsch war noch nie ein Favorit, also unartikuliertes Zurückbrüllen, er solle gefälligst seine Scheißhackfresse halten! Sehr diplomatisch formuliert.

Es ist vollbracht, das Loch ist riesig, groß genug, um bequem durchzuklettern, die Tür ist hin. die Reste werden nun vom dankbar Befreiten, aus eigener Kraft geschafft, aus den Angeln gehoben (die "Tür" wiegt jetzt erstaunlich wenig). Erstmal auf den Balkon damit. Die groben herausgehauenen Stücke in einen schönen hellblauen Müllsack. Jetzt leistet der Staubsauger doch noch gute Dienste, mit ihm werden die kleineren Stücke, der Holzstaub und das in den Teppich Geschneite, aufgesaugt. Der Staubsaugerbeutel ist voll, ab damit in den blauen Müllsack, auf den Balkon auch damit. Später, bei Nacht und Nebel, wenn die Nachbaraffen tiefschlafen. Ist immer besser, den Müll später runterzubringen, da sonst die neugierigen Nachbarn dumm und argwöhnisch starren. Gern durchwühlen sie auch den Restmüll, alles schon geschehen, sie dabei gesehen. Ab unter die Dusche, jetzt sofort! Sooo nötig, sooo wohltuend! Fertig, abgetrocknet, neue Tür erforderlich – fürs Schlafzimmer. Etwas Musik würde jetzt die Stimmung heben. Oder doch ein neues YOUTUBE-Video von SHLOMO FINKELSTEIN, DER SCHATTENMACHER oder TICHYS EINBLICK, vielleicht HENRYK M. BRODERs Lesungen aus seinem neuen Buch. Dann später zur Arbeit. Wie wäre es mit einem gesunden Frühstück vorab?




(05.10.2019)

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