Cathy Bennet

Hauptsache, cool bleiben!

Das Telefon klingelt.

Das muss er sein!
„Ach, du bist´ s“, sage ich betont gelassen, „hm, ja, Moment, muss ich mal schauen.“
Geschäftig raschle ich mit den Telefonbuchseiten, als sei es mein Terminkalender.
„Ja, gut, also heute Abend um acht. Bis dann.“
„Ich freue mich sehr“ wäre mir nie über die Lippen gekommen. Ich muss ja nicht gleich alle Karten auf den Tisch legen. Die Chancen stehen nicht schlecht, immerhin hat er meine Einladung zum Abendessen sofort angenommen. Aber welchen Eindruck will ich bei ihm erwecken? Hat er nicht erwähnt, dass er so gern die alten Filme der Loren sieht? Mit einem Wonderbra werde ich meine norddeutsche Tiefebene in eine alpine Gebirgslandschaft verwandeln! Dann noch das enge Schwarze mit dem tiefen Ausschnitt und den roten Lippenstift...
„Strangers in the night, two lonely people, lovers at first sight“, singt Frankie-Boy, während ich die Sofakissen im Wohnzimmer aufschüttle und den Handstaubsauger noch mal in jede Furche des Sofas stecke. Die Fenster sind streifenfrei, der Fernseher ohne ein Staubkörnchen. Gott, wie spießig! Fehlen nur noch die gekämmten Teppichfransen! Nein, das bin doch nicht ich. Aber wenn er viel Wert auf Ordnung legt? Tut er das denn? Keine Ahnung. Besser auf Nummer Sicher zu gehen. Ein wenig mehr Leben würde dem Raum aber nicht schaden. Also lege ich „Spiegel“ und „Zeit“ auf den Sofatisch, daneben ein Gedichtband von Ovid. Das wirkt intellektuell.
„Something in yours eyes was so inviting, something in your smile was so exciting.“ Frank Sinatra weiß, wie ich heute Abend auf meinen Besucher wirken will. Laut singe ich mit: “Something in my heart told me I must have you!” Ja, unbedingt ! Aber wie? Die Begrüßung muss auf jeden Fall schon mal stimmig sein. Ich reiße die Tür meines Kleiderschrankes auf und sage zu meinem Spiegelbild: „Hallo!“ Nein, so geht es nicht, schließlich ist er nicht vom Pizzaservice. „Grüß dich!“ ist auch nicht so gelungen. „Schön, dich zu sehen!“ sage ich endlich verführerisch in den Spiegel.
Ja, das ist es!
Noch 20 Minuten.
Ich laufe um den Tisch: die Gläser etwas nach rechts, das Besteck mehr nach außen. Die Servietten falten oder zusammenrollen? Wo sind bloß die Serviettenringe? Jetzt nur nicht nervös werden. Trotzdem fühle ich mich ziemlich unsicher, wie ich da den Spiegel küsse: Ja, der Lippenstift ist kußecht! Aber was ist, wenn der Mann nicht im Traum daran denkt, das auch herauszufinden? Meine Knie sind wacklig, Schweißtropfen auf der Stirn lösen das Make-up auf. Bloß weg mit den Selbstzweifeln. Mit Hilfe eines Piccolos bin ich wieder die Ruhe selbst. Ich drehe die Musik auf und tanze ein paar Schritte. Und wenn er Frank altmodisch findet?

Dann schleiche ich in mein Schlafzimmer, packe den Morgenmantel aus Satin und hänge ihn noch im Bad auf. Soll er doch ruhig sehen, dass ich schöne Wäsche liebe. Oder ist das zu gewagt ? Ich drehe die Musik wieder so, dass ich die Klingel hören kann: Gleich ist es acht! Kerzen anzünden.

Es läutet, pünktlich Schlag acht. Hm, hm, räuspere ich mich, laufe noch mal um den Tisch, um Zeit zu gewinnen, halte vor der Tür an und zwinkere mir im Gaderobenspiegel kurz zu, bevor ich die Tür aufreiße:
„Schön, dich zu sehen!“

Nur ist niemand zu sehen:

Er kommt gerade erst die Treppe hoch.

Bestürzt durch mein falsches Timing bekomme ich kein Wort heraus, als er vor mir steht! „Schön, dich zu sehen“, sagt auch er und versucht ein Wangenküsschen. „Kopf weg, sonst merkt er, dass du schon getrunken hast“, befiehlt mir eine innere Stimme, und gehe schnell einen Schritt zurück. Er darf bloß nicht merken, wie viel mir an seinem Besuch liegt. Ich bin ruhig, ich bin cool, ich bin ruhig, ich bin...

Aber er gibt sich offensichtlich auch viel Mühe, mir zu gefallen. Oder warum hat er Mousse au chocolat mitgebracht, meinen Lieblingsnachtisch? Hat unsere gemeinsame Freundin Angela über mich gequatscht? Was hat sie ihm gesagt? Zusammenreißen! Lächle ihn an! Bis jetzt läuft doch alles ganz gut: Er macht mir ein Kompliment nach dem anderen, lobt meine Kochkünste, nennt mich sogar charismatisch! Bingo! Ich platze gleich vor Selbstbewußtsein. Fragen und Antworten fliegen hin und her.

Seine Blicke streicheln mein Gesicht. Ich bin sicher, meine Wimperntusche ist verlaufen. Aber ich kann doch jetzt nicht einfach zum Spiegel rennen...

„Worin machst du eigentlich deinen Doktor?“ frage ich ihn so nebenbei.

„Ich promoviere in Kunstgeschichte mit Germanistik und Philosophie im Nebenfach“, erklärt er “und es macht mir riesig viel Spaß.“

Mein Kopf denkt: Endlich mal einer, der sich richtig begeistern kann.

Mein Mund sagt: „Na ja, dann kannst du ja später beruhigt Taxi fahren.“

Am liebsten würde ich mir jetzt die Zunge abbeißen. Mit diesem Satz habe ich mich ins Aus geschossen. Ich fühle mich unwohl, dort im Fettnapf, in dem ich unweigerlich lande, sobald mir ein Mann gefällt. Wir reden zwar weiter bis tief in die Nacht hinein, aber er wirkt höflich, reserviert, zurückgezogen. Und je kühler er wird, desto mehr erwärme ich mich für ihn. Beim Abschied stehen wir uns endlich ganz nah gegenüber.

„Es war sehr schön bei dir, vielen Dank“, meint er, die Autoschlüssel schon in der Hand. Und fast wären das zum Schluss die einzigen Worte zwischen uns gewesen, hätte nicht wieder mein vorlautes Maul wieder die Oberhand gewonnen.

„Darf ich dich mal drücken?“ Nur weg, weg von diesem Boden der Neutralität!

Und, oh Wunder: Er lacht.

Es funktioniert. 1997 by Cathy Bennet



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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.09.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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In meinen Gedichten, schreibe ich mir meine eigene Realität, meine Träume auch wenn sie oft surreal, meistens abstakt wirken. Schreiben bedingt auch meine Sprache, meine Denkmechanismen mein Gefühl für das Jetzt der Zeit.

Ich vernehme mich selbst, ich höre tief in mich rein, bin bei mir, hier und jetzt. Die Sprache ist dabei meine Helfershelferin und Komplizin, wenn es darum geht, mir die Wirklichkeit vom Leib zu halten. Wenn ich mein erzähltes Ich beschreibe, beeinflusse, beschneide, möchte ich begreifen, wissen, welche Ursachen Einflüsse bestimmte Dinge und Menschen auf mein Inneres auf meine Handlung nehmen, wie sie sich integrieren bzw. verworfen werden um mich dennoch im Gleichgewicht halten können.

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