Wolfgang Hoor

Eine Königstochter wird auf das Regieren vorbereitet

Die Prinzessin Miranda eilt in normaler Straßenkleidung in den Kronsaal. Sie ist ein wenig außer Atem. Ihr Vater, in königlicher Kleidung, sitzt auf dem Königsthron. Als er seine Tochter sieht, erhebt er sich. Er ist stolz auf sie, ein hübsches, freundliches Mädchen ist die Miranda, mit dem er nie Probleme hatte. Er schreitet ihr entgegen, setzt für die Begegnung mit ihr die Krone ab, umarmt sie, gibt ihr ein Küsschen. „Herzlichen Glückwunsch zu deinem 14. Geburtstag. Du bist groß geworden.“ – Das Mädchen lacht. „Danke Papa, dass du dieses Jahr daran gedacht hast. Kann ich jetzt wieder gehen? Meine Freundinnen wollen mir auch gratulieren. Mama hat sie im Besuchersaal versammelt.“ – Der König-Papa hält sie fest. „Sag mal, Miranda, warum trägst du an deinem Geburtstag Straßenkleidung? Kein Rock, kein Krönchen, kein Samt, keine Seide? Man sieht dir ja gar nicht an, dass du die Königstochter bist.“ Miranda ist verunsichert. Sie trägt doch immer diese Kleider. Hat ihr Papa das denn nie bemerkt? „Aber Papi! Ich kann doch nicht zu meinen Freundinnen mit Krone und Seidengewändern und so. Die wären doch bloß neidisch. Die sind ziemlich arm.“

Der König räuspert sich verlegen. Was ihm die Königin über den Umgang seiner Tochter mit Freundinnen gesagt hat, hat ihn schon immer ein bisschen verwundert. Unter ihren Freundinnen gibt es keine Gräfinnen und Hochwohlgeborene. Sie spielt mit der Müllerstochter und der Lehrerstochter und mit Mädchen, deren Eltern keine Arbeit haben. Bisher hat er das wohlwollend hingenommen. „Sie hat ein gutes Herz!“, hat ihm die Königin gesagt, und er hat sich darüber gefreut. Kinder in dem Alter brauchen ein gutes Herz. Wenn sie Königinnen sind, muss sich das aber ändern, denkt der König. Und dann fällt ihm ein, dass Miranda mit 14 nach den Sitten des Hochadels volljährig geworden ist und dass sie bei Abwesenheit der Eltern sogar regieren müsste. Jetzt wird ihm heiß. Um Gottes Willen, mit 14 Jahren kann sie doch nicht mehr rumlaufen wie ein normales Mädchen! Er muss mit ihr reden.

Miranda macht sich von der Hand des Königs los. „Papi! Kann ich jetzt wieder gehen?“ Der König räuspert sich. „Setzt dich doch noch ein bisschen zu mir. Deine Freundinnen können sicher noch ein bisschen warten und Mama kann ihnen sicher schon was Leckeres anbieten.“ Der König zieht sie neben sich auf seinen Thron. Miranda wundert sich. Sowas hat es noch nie gegeben. „Du weißt, was es bedeutet, wenn eine Königstochter 14 wird.“ – Miranda lacht. „Sie kann Freundinnen einladen und einen schönen Geburtstag feiern, und Mama hat alles prima vorbereitet.“- „Ja natürlich. Das Fest mit den Freundinnen will ich dir nicht vermiesen. Aber ich habe dich nicht umsonst neben mich auf meinen Thron gesetzt. Mit vierzehn darfst du schon regieren, wenn der König und die Königin mal unterwegs sind. Sag mal - was fällt dir ein, was würdest du tun, wenn du heute Königin wärst und allein regieren würdest?“

Miranda schaut ihren Papa unsicher an. Der nickt ihr wohlwollend zu. „Nun sag schon, was würdest du befehlen.“ - „Darf ich alles sagen, was mir einfällt?“ – „Natürlich. Vielleicht willst du einen Krieg führen. Kriege machen einen König oder eine Königin berühmt.“ Miranda lacht schallend. „Aber Papa, was du für Witze machst. Ich denke da an was ganz anderes. Alle meine Freundinnen sind sehr arm – im Vergleich zu mir. Ihre Eltern müssen schwer schuften, um sie satt zu kriegen. Ich würde meinen Freundinnen ein regelmäßiges Gehalt bezahlen, damit sie besser leben können und überhaupt dafür sogen, dass es allen Menschen in unserem Königreich gut geht und dass sie mich und dich und uns alle ganz doll mögen. Ja, das würde ich tun!“

Der König blickt finster. Dass seine vierzehnjährige Tochter so töricht wäre, das hat er sich nun doch nicht vorstellen können. „Sie würde alles verderben!“, murmelt er. Und laut und ärgerlich: „Und sonst fällt dir nichts ein?“ Miranda schüttelt den Kopf. „Was ist, Papa, hab ich was Falsches gesagt?“ Der König fast schon wütend: „Du bist ein Kindskopf, weißt du das? Regieren ist eine schwere Sache. Da muss man lügen und betrügen und verraten und bestechen und töten. Da muss man sehr stolz und sehr übermütig sein. Da wird man nicht besonders beliebt.“ Miranda steigen Tränen in die Augen. „Aber Papi, Mama hat mir doch beigebracht, wie man sein soll. Man soll freundlich sein und Anteil an den Sorgen anderer nehmen. Das hat sie mir beigebracht, und das ist doch gut.“ – „Aber sie hat dir leider nicht beigebracht, wie man regieren soll, Donnerwetter.“ Der König knallt mit der Faust auf den Tisch. „Wenn du regierst, musst du schlimm sein. Vor einem schlimmen König hat jeder Angst und er kann ganz leicht regieren. Die guten Könige werden bloß ausgenützt.“

Es entsteht eine lange Pause. Miranda muss nachdenken. Schließlich fällt ihr ein, was sie fragen muss. „Aber wenn ich zum Beispiel mit meinen Freundinnen spiele, kann ich doch nicht einfach schlimm zu ihnen sein, bloß weil ich Königin werde!“ Der König legt ihr seinen Arm um ihre Schultert. Armes Ding, denkt er, so mag er sie eigentlich, aber leider muss auch sie groß werden. Leider. „Wieso kannst du nicht schlimm zu ihnen sein? Du kannst doch im Kleinen anfangen und üben, wie das Regieren geht. Natürlich muss du nicht sofort Blut fließen lassen. Aber du könntest dafür sorgen, dass alle vor dir Angst haben“ – „Aber das macht doch gar keinen Spaß. Es wäre schrecklich, wenn meine Freundinnen vor mir Angst hätten. Wir könnten ja gar nicht mehr miteinander lachen und so.“ - Der König streichelt Mirandas Schulter. „So? Wirklich nicht? Die anderen hätten vielleicht nichts zu lachen - aber du hättest immer was zu lachen, wetten?“ – „Wieso denn das?“

Der König wiegt vor so viel Naivität den Kopf. „Komm Kind, stell dich nicht dumm. Das weißt du genau. Jeder Mensch liebt es auf andere herabzusehen und sich über Schwächere lustig zu machen, über sie zu lachen. Erzähl mir nicht, dass du dich nie über deine Freundin, die Müllerstochter, lustig gemacht hast.“ Miranda wird verlegen Sie kichert. „Weil sie immer ein bisschen nach Esel stinkt und so komische Ausdrücke benutzt, die ich nicht benutzen darf? Doch, manchmal, heimlich, lache ich schon über sie.“ – Der König nickt. „Siehst du. Und wenn du nicht mehr heimlich über sie lachst, sondern vor den anderen?“ – „Wie denn?“ - „Du rümpfst mitten im Spiel die Nase und sagst: Da stinkt doch was. Und dann beriechst du alle und bleibst bei der Müllerstochter stehen und sagst: Wie wagst du es zu mir zu kommen und zu stinken? Und dann lachst du mit den anderen über sie und dann schickst du die Müllerstochter nach Hause, und das nächste Mal ist eine andere Freundin dran.“

Miranda ist unsicher. „Meinst du, dass Mama das erlaubt? Sie sagt, ich soll anständig sein.“ - „Ich werde mit ihr reden. Sie wird Ausnahmen zulassen müssen. Und in spätestens vierzehn Tagen rufe ich dich wieder hierher und dann erklärst du mir, was du ausprobiert hast.“ Miranda erhebt sich. Sie schaut zweifelnd auf den Vater. Ob der das alles wirklich ernst gemeint hat? Sie mag nicht daran denken, was aus ihrer Freundschaft mit den anderen Mädchen werden wird, wenn sie sich so verhält. Sie bleibt eine Weile vor ihrem Papa stehen. Der gibt ihr einen scharfen Klaps auf ihre Jeans. Das hat Miranda noch nie erlebt. Sie läuft eilig davon.

Vierzehn Tage später sitzt Miranda allein auf dem Königsthron. Ihre Eltern sind auf einer diplomatischen Reise bei einem benachbarten König. Wahrscheinlich bereiten sie einen Krieg vor, wollen aber den benachbarten König beruhigen. So sind halt die Könige, denkt Miranda. Schade, dass man nicht sein Leben lang dreizehn bleiben kann- Obwohl, ein bisschen macht ihr das Regieren und das Hochmütig-Sein doch auch Spaß. Inzwischen gefällt ihr die königliche Kleidung ganz gut und die Krone ist maßgeschneidert. Sie greift nach dem Tagebuch, das neben ihr auf dem Thron liegt und liest noch einmal, was sie geschrieben hat.

„Hallo liebes Tagebuch. Es ist gar nicht so schwer, regieren zu lernen und es macht auch Spaß. Mein Paps hatte schon Recht. Wenn sich die Leute vor mir fürchten, kitzelt das so schön im Bauch und man fühlt sich total super. Die Nummer mit der Stinke-Müllerstochter hat total gut geklappt. Die anderen haben gesagt, das hätte sie schon längst verdient, diese dumme Tusse. Aber nächstens wird die hochnäsige kleine Nina was erleben. Die hat über die Stinke-Tusse am meisten gelacht. Die wird sich wundern.“

Sie legt das Tagebuch beiseite. Dabei hat ihr die Müllerstochter neulich ein Steinofenbrot mitgebracht, das hat herrlich geschmeckt. Nein, daran darf ich jetzt nicht mehr denken, sagt sich Miranda und fasst nach ihrer Krone. Die sitzt perfekt.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.12.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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