Christa Astl

Neuer Lebensabschnitt

Elsa klappt den Laptop zu, wischt den Staub vom Schreibtisch. Endgültig, zum letzten Mal. Es war ihr letzter Arbeitstag. Ab morgen beginnt ein anderes Leben, zumindest ein anderer Lebensabschnitt. Sie holt ihren Mantel aus der Garderobe, ein letztes Mal betritt sie diesen Raum. Sie steigt die Treppen hinunter, heute, an diesem letzten Tag fährt sie nicht mit dem Lift. Die Kolleginnen und Kollegen scheinen alle schon gegangen zu sein an diesem Freitag. Klar, sie hat sich Zeit gelassen, alle Laden ihres Schreibtisches noch einmal nach persönlichen Dingen durchsucht, nichts will sie hier lassen.

35 Jahre war sie tagein, tagaus durch diese Tür gegangen, die sie nun das letzte Mal hinter sich schließt. Ein komisches Gefühl!

Wie sehr hatte sie diesen Tag herbei gesehnt, der ihr die Freiheit bringen würde, weg aus der Tretmühle des Alltags, den sie täglich von 7 bis 17 Uhr in ihrem Büro am Schreibtisch verbrachte, Rechnungen ordnete, Mahnungen schrieb, den Monatsabschluss machte und an die Filialen schickte. Früher war das ein immenser Papierkrieg, in letzter Zeit erledigte der Computer vieles, trotzdem blieb ihr deswegen nicht mehr Zeit. Wie oft hat sie dann an den Abschied gedacht, aber der Rente halber musste sie doch ihre Zeit absitzen. Doch dann … was hat sie sich alles erträumt: Vor allem wollte sie reisen, dafür sparte sie jeden Monat eine beträchtliche Summe. Endlich die Welt kennen lernen, von der sie so viel gelesen hatte. Als Kind hatte sie diesen Wunsch schon, erst ein wenig Berufspraxis im eigenen Land, dann – ade, alte Heimat. – Doch es kam anders. Der Vater starb, die Mutter sah sich nicht aus, Haus und Garten allein weiter zu führen. Sie wollte das Grundstück verkaufen, doch Elsa war strikt dagegen. Also musste sie auch die Konsequenzen tragen und sich wenigstens um den Garten kümmern. Die fernen Länder rückten in unerreichbare Fernen.

Jetzt aber war der große Tag der Entscheidung, der Freiheit da. Plötzlich schien er ihr aber keine Erleichterung zu bringen, sondern stand wie ein verschlossenes schweres Tor vor ihr. Den Schlüssel hatte sie in der Hand. Was wird sie dahinter erwarten?

Mechanisch, noch in alter Gewohnheit überquert sie die Straße, doch dann geht sie geradenwegs in das Cafe, an dem sie bisher immer nur vorbei gelaufen war. Jetzt hatte sie Zeit! Um die Mittagszeit war es halb leer, sie konnte sich den Tisch am Fenster auswählen. In aller Ruhe blickt sie hinaus, während sie vorher nur einen raschen Blick hinein geworfen hatte.

Sie bestellt Kaffee und ihre Lieblingstorte, früher nur zu ganz besonderen Anlässen gekauft – aber war es heute nicht auch ein besonderer Anlass?

Der Mittagsverkehr rast außen vorbei, Schulkinder schreien und schubsen sich, oder rennen eilig nach Hause, nie konnte sie das bisher beobachten. Ein paar Rentner schlendern gemütlich dahin. Zu denen gehört sie nun auch. Wie aus einem Traum erwacht stellt sie sich dieser Tatsache.

Was soll nun werden, was wird sie tun, was als erstes machen? Darüber hatte sie sich eigentlich noch keine klaren Gedanken gemacht. Sie wusste nur: Reisen und Lesen, vielleicht auch Konzerte oder Theater besuchen, wenn sie am Abend nicht schon zu träge war. Nun begann sie aber konkret zu überlegen, wie gestalte ich die langen Tage, die ersehnten Dinge waren ja nur für den Abend oder für gewisse Zeiten gedacht? Der beste Entschluss war: Abwarten, was kommt. Jetzt muss sie ja nicht mehr planen, um alles in der kargen Freizeit am Spätnachmittag zu erledigen.

Entspannt lehnt sich Elsa zurück. Dann bestellt sie noch ein Glas Prosecco. Allein, für sich. Wieder gehen die Gedanken eigene Wege. Zurück, vor, wie wäre es, jetzt mit jemand anstoßen zu können, zu zweit diesen Tag feiern? Daran hatte sie jahrelang nicht gedacht.

Sie war verheiratet gewesen, hatte eine erwachsene Tochter, die das machte, was Elsa erträumt hatte: sie war im Ausland. Von ihrem Mann, der nur in der Nacht was von ihr wollte, hatte Elsa sich deshalb vor mehr als zehn Jahren getrennt. An Reisen oder kulturellen Veranstaltungen war er nicht interessiert. Seine Interessen galten nur weltlichen Genüssen. Sie hatte ihm nie nachgeweint. Was sie tun wollte, konnte sie  alleine tun.

Der Prosecco hatte ihre Stimmung erheitert, sie schlenderte über den Stadtplatz, kaufte da und dort ein paar Kleinigkeiten. Es war einfach schön, sich Zeit lassen zu dürfen! Zu Hause angekommen, stellte sie als erstes die Blumen in einer schönen Vase auf ihren Tisch. Es war doch schließlich Feiertag für sie. Dann inspizierte sie den Bücherschrank. Wo sollte sie anfangen? So viele Bände standen seit langem und warteten geduldig, bis sie sie endlich in die Hand nahm. Da ein Gedichtband, den sie als junges Mädchen geschenkt bekommen hatte, dort ein Reiseführer über Norwegen, einige Krimis, und viele Romane. Da ist sie für eine Weile beschäftigt.

Vor dem Fenster hängt bereits Dunkelheit. So spät ist es schon? Ob nun alle Tage so schnell vergehen? Im Vorausblicken sind es jetzt unzählig viele Tage. Der erste scheint gut vorbei zu sein. Dankbar begibt sie sich zu Bett und freut sich auf den nächsten Tag, den ersten ihres neuen Lebensabschnittes, des Dauerurlaubes.

 

 

ChA 08.03.19

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.01.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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