Christiane Mielck-Retzdorff

Die drei Knöpfe

 

Es war Lieselottes erste Adventszeit als Witwe. Traurigkeit trübte nicht ihr Gemüt, denn ihr verstorbener Mann litt lange unter einer schweren Krankheit. Wenn das nicht geschehen wäre, hätte sie ihn vielleicht verlassen, denn die Ehe war schon lange nicht mehr glücklich gewesen. Doch so hatte sie sich aufopfernd seiner Pflege gewidmet. In dieser Zeit entwickelte er sich zum Tyrannen, ein Verhalten, dass er schon vorher manches Mal gezeigt, aber wohl meistens unterdrückt hatte.

Ihr Mann Walter hatte seine Einstellung, dass Frauen dem Gatten zu dienen hätten, bis in die Moderne nicht aufgegeben. Zwar war auch Lieselotte in diesem Sinn erzogen worden und nahm ihre Pflichten als Ehefrau, Mutter und Hausfrau sehr ernst, doch dann rebellierten ihre beiden Kinder gegen die Strenge und Sturheit ihres Vaters. Sie kritisierten ganz offen sein Verhalten gegenüber der Mutter. Schließlich zogen sie aus und wollten ihren Vater nicht mehr wiedersehen.

Da Lieselotte durch die Krankheit ihres Mannes ans Haus gefesselt war und die Kinder ihr einstiges Heim mieden, blieben Telefonate der einzige Kontakt. Selbst bei der Beerdigung des Vaters bedachten sie ihre Mutter nicht mir Beileidsbekundungen sondern mit Glückwünschen.

Die Frau hatte sich durch den seltenen, oberflächlichen Kontakt von ihren Kindern entfremdet. Darunter litt sie nicht, denn jeder Erwachsene sollte sein eigenes Leben gestalten. Und genau das beschäftigte nun auch Lieselottes Gedanken. Finanziell musste sie sich wegen der guten Vorsorge ihres Mannes keine Sorgen machen. Nun wollte sie den steinigen Weg gehen, aus einer Dienerin eine selbstbestimmte Frau zu machen, aber das war schwierig.

Der besinnliche, erste Advent bot sich an, eine Reise zu sich selbst zu unternehmen. Wie war sie einst als Kind gewesen? Welche Träume hatten die junge Lieselotte bewegt? Sie holte einen Pappkarton mit alten Fotos aus dem Keller. Diese bewiesen ihr, dass sie ein recht ansehnlicher Teenager gewesen war. Manches Schmunzeln erhellte ihr Gesicht bei der Betrachtung der Bilder aus jener Zeit, als ihr Mann Walter noch nicht in ihr Leben getreten war.

Dann bemerkte sie in dem Karton eine kleine Blechkiste. Diese öffnete sie und entdeckte darin nur drei, braune Knöpfe. Anfänglichem Erstaunen wich die lächelnde Erinnerung an Hans. Jener junge Mann hatte sich damals in sie verliebt. Er besuchte regelmäßig seine schwerbehinderte Mutter in einem Pflegeheim der Kirche. Ansonsten lebte und arbeitete er in Hildesheim. Hans war ausgesprochen schüchtern, was Lieselotte reizend fand. Auch sie verliebte sich in ihn.

Eines Abends brachte der junge Mann sie nach Hause. Beide standen verlegen, um ein Gespräch ringend vor der Haustür. Lieselotte träumte von einem Kuss, doch ahnte, dass Hans zu zurückhaltend war, um sie zu bedrängen. So sprachen sie nur miteinander, aber keiner von ihnen wünschte sich, diesen intimen Moment voller Verheißung und gegenseitiger Achtung zu beenden.

Hans sehnte sich danach, seine Liebste zu berühren, doch traute sich nur, an einem der Knöpfe von Lieselottes Mantel herumzufingern. Den Blick auf ihr hübsches Gesicht gerichtet, drehte er verlegen an einem Knopf, bis dieser sich ganz abgelöst hatte. Peinlich berührt, behielt er diesen in seiner Hand und Lieselotte schwieg. Kein Tadel durfte den Zauber des Augenblicks stören.

Weiter rangen beide darum, keine Trennung durch Wortlosigkeit zu provozieren. Und Hans fuhr fort, seine Verlegenheit, seine Sehnsüchte durch das Drehen der Mantelknöpfe auszudrücken, bis auch der dritte seinen Halt verlor. Beim kusslosen Abschied gab der junge Mann Lieselotte seine Beute, den Beweis für seine Wünsche und Träume, die zu erfüllen er sich nicht traute.

Aus beiden hätte ein wunderbares Paar werden können, doch die Mutter von Hans fand Lieselotte unwürdig, an der Seite ihres Sohnes zu sein. Mit Lügen und kleinen Intrigen gelang es ihr, die keimende Liebe zu ersticken. Die beiden unerfahrenen, bescheidenen, junge Leute waren nicht im Stande gewesen, sich dagegen zu wehren.

Lieselottes Gedanken fingen jenen Moment, als sie mit Hans vor der Haustür stand, ein. Sie konnte sich nicht an die Worte erinnern, die beide damals austauschten, doch spürte plötzlich die Erregung, die sie damals erfasste. Und sie fühlte wieder Hans stumme Achtung vor ihrer Person, die ihn sich beherrschen ließ und damit ein großes Kompliment aussprach. Beide empfanden innige Zuneigung, doch fürchteten, diese durch eine unbedachte Handlung zu zerstören. Reine, unschuldige Liebe hüllte sie ein.

Schon bald nachdem die Mutter von Hans durch die Saat von Zweifeln ihren Sohn von Lieselotte getrennt hatte, lernte die junge Frau Walter kennen. Er fragte nicht, sondern nahm sich, was er wollte. Lieselotte war der Überzeugung, dass dieses Vorgehen ernste Absichten bezeugte und wehrte sich nicht. Beide heirateten, doch wirklich von Walter geliebt fühlte sich die Frau nie. Schließlich gelangte sie zu der Überzeugung, dass sie dieses auch nicht wert war.

Jedoch Hans, dieser große, stattliche Mann mit so viel Feingefühl, brachte ihre damals wahrhaftige Gefühle entgegen. Sie hatte gespürt, dass sie trotz seiner Zurückhaltung wertvoll für ihn war. Allein die Erinnerung gab ihr Kraft, ließ Freude durch ihren Körper strömen und tauchte die Welt in ein helles, aufmunterndes Licht.

Lieselotte nahm die drei, braunen Knöpfe in die Hand, spürte ihre Magie und dachte lächelnd: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel.

 

 

 

 

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