Jürgen Behr

Baustein für die einzig wahre Religion

Laws must be changeable, just as the limits of knowledge may widen. (Jürgen Behr)

Religion I

In einzelnen Teilen unserer Erde ist es verpönt, irgend etwas mit einer religiösen Gemeinschaft zu tun zu haben, man wird suspekt und ist an der Entfaltung von individuellen Fähigkeiten gehemmt.
Anderswo verbrennen sich Menschen aus religiöser Überzeugung, um gegen irgend etwas zu protestieren.
Hierzulande fühlen viele ein unbeheimliches Missbehagen, wenn sie in einer christlichen Gemeinschaft praktizieren sollten, in die hinein man sie mal getauft hat und die zunehmend fragwürdiger geworden ist.
So ist Religion für die einen eine Perversität, für die anderen eine Qual, für diese oder jene ein Fanatismus, für gewisse Naive eine Beruhigung, aber für ganz wenige eine ehrliche und echte Freude.

Das "Warum" dieser Situation glaube ich schon lange erkannt zu haben.
Religion wurde gemäß Herkunft des Wortes umschrieben als tiefste Beziehung zu Gott. Wenn nun aber eine Religionsgemeinschaft es nicht zulässt, dass ein Geschöpf -irgend ein Mitmensch wie ich und du- zum anderen nicht volle Liebe des Geistes und Körpers zeigen darf, dann ist eo ipso auch die Beziehung zum abstrakten, nicht fühlbaren und greifbaren Gott gestört.
Klammert sich ein Mensch nur an den ihm unbekannten Gott, von dem ihm jemand irgend ein anscheinlich konkretes Bild vorgegaukelt hat, dann hält er sich auch an Moralvorschriften des Gauklers -und sein Verhältnis zum Mitmenschen und Mitgeschöpf Gottes ist erneut gestört.
Religion ist keine Freude mehr, sondern eine Qual, die Qual des furchtbaren Zwiespaltes.
Aber religiös sein, sollte eine Freude sein, als normal empfunden werden wie essen, trinken, schlafen, sich betätigen, geistig und körperlich lieben dürfen usw.

Es kommt mir als eine unheimliche Last vor, dass ich zu jenen zählen sollte, die Religion wieder zur Freude zu erheben.
Bis heute habe ich mein rüttelndes Gewissen auch immer zum Schweigen gebracht. Aber es lässt sich nicht mundtot machen. Irgend eine höhere, höchste und mir doch unbekannte Macht scheint mich -gegen alle Regeln des Realen- ausersehen zu haben, Theoretiker, Profet und Stifter zu sein.

Doch ich kann Religion nicht im alten Sinne definieren, wenn ich sie als Ding der Freude den Menschen wieder nahe bringen sollte.
Religion heißt für mich: Suche nach Gott.
Und Suche nach Gott heißt zunächst Erforschung jener Dinge der Schöpfung, die von einer unendlich großen Macht eines Schöpfers zeugen: die allerkleinsten Kleinigkeiten der Materie, in denen Bewegung und unheimliche Kraft liegen; die Größe eines Weltalls, die kaum je auslotbar scheint; das Geheimnis "Leben" in Pflanzen-, Tier- und Menschendasein; die Scheidewand zwischen dem Anorganischen und dem Organischen; die hauchdünnen Trennwände zwischen pflanzlichem und tierischem Leben und tierischem und menschlichem Leben; Ergründung des Sinnes von pflanzlichem und tierischem Werden und Sterben, Dienen und Vermehren, Genickt und Gefressen werden; Erhellung des Sinnes oder Aufdeckung des Unsinnes eines grausamen geistigen und körperlichen Zerfleischens von Menschen untereinander; schrittweises Erkennen aller psychischen Fähigkeiten des Menschen samt dem Versuch, Geist -wenn es ihn gibt- auch irgendwie fassbar umschreiben zu können; Versuch durch weiten Rückblick auf das Werden der Schöpfung den Sinn und die Zukunft zu deuten usw.

Und das Wichtigste bei der Suche nach Gott -bei diesem Religion-haben oder religiös-sein- ist die Liebe die jeder dem anderen Geschöpf zu schenken hat, damit auch es in Freiheit denken und forschen, zweifeln und hoffen kann, darf, soll. Denn es wird kein Ion von dem verloren gehen, was irgend jemand einmal aus Ehrfurcht und Liebe zur Schöpfung erforscht hat, um der verborgenen Wahrheit nahe zu kommen, und nichts von dem, was jemand aus Liebe und Liebem einem anderen geschenkt hat, um diese unendlich große Gabe wieder weiterzutragen.

Der grauenhafte Irrtum unserer Religionsgemeinschaften liegt darin, dass sie einmal -nachdem die Menschheit im Gegensatz zur gesamten Schöpfung nur eine kleine Wegstrecke davon selber schon mitgegangen ist- gewisse erste und letzte Dinge, ja auch einen unbeschreiblichen Gott, zu fassen und zu definieren glauben konnten.
Darin liegt wahrlich der unendliche Aberglaube, die Hybris, der Stolz des sogenannten denkenden Menschen. Er hat nicht gemerkt, dass die Menschheit erst am Anfang aller Dinge steht und ihr noch Tausende und Abertausende von Jahren der Entwicklung bevorstehen können. Wie sollte da die Wahrheit von Gott und der Schöpfung schon gefunden sein!
Eine Torheit! Und diese Torheit machte die Religion zur Qual.

Weil es nur eine Schöpfermacht, einen Gott geben kann, weil nur ein ganz großes Geheimnis zu lüften ist, kann es nur eine Religion geben, nur eine einzige ganz wahre. Und diese freudvolle Religion heißt: Suche nach Gott!
Und wenn Religion "Suche nach Gott" ist, dann ist sie auch wieder etwas vom Allernatürlichsten, vom Selbstverständlichsten.
Kein Denkender kann nämlich je ausklammern, was natürlich ist: Geboren-werden, Leben-haben und Leben-aufgeben-müssen. Und da will man ergründen, worin der Sinn liegen könnte dieses So-seins.
Jeder Erkennende wird aber im Verlaufe seines Lebens auch irgend einmal mit der quälenden Frage konfrontiert:
Was könnte vor einem Anfang gewesen sein und was wird nach einem Ende wieder sein?
Vorläufig ist der Geist des Menschen und der Menschheit noch überfordert, wenn er sich davon eine Vorstellung machen wollte; Religionen haben diese Fragen nur mit oberflächlichen Lehrmeinungen verpflastert und tun so, als ob sie Antworten wüssten. Sie lögen, um die Menschen, wenigstens einen Teil -ihre gläubigen Anhänger- für einige Zeit glücklich zu machen.

Auf die Suche nach Gott aber muss man in Bescheidenheit gehen, man muss ehrlich genug sein zu erkennen, dass stets nur kleine, kaum zu erkennende Körnchen der Wahrheit gefunden werden können. Niemals darf man solch unscheinbar kleine Körnchen der Wahrheit als die ganze Wahrheit darzustellen versuchen und daraus sogar Vorschriften für das Leben des Mitmenschen in der Gemeinschaft ableiten und sie als unabänderlich gültig darstellen. So machte man es aber und vergellte die Freude am Religion-haben, am Erhabensten des Menschen.

Ich fühle und empfinde, dass die Suche nach Gott, diese einzig wahre Religion, alle bisherigen, sich auch religiös gebenden Institutionen unserer weltweiten Gesellschaft auf den Haufen wirft.
Von ihnen kann nur das Bestand haben, was darauf abzielte, Gott zu suchen. Alle Institutionen mögen in dieser Hinsicht etwas davon in sich haben, und in je größerem Masse sie es haben, sind sie auch als "religiös" anzusprechen.
In allen anderen Dingen aber sind sie der bloße, nackte und niemals befriedigende Versuch, Unwissen -verständliches Unwissen- mit einem Mantel des Scheinwissens zu umhüllen. Doch dieser Mantel des Scheinwissens diente in allen sogenannten und letztlich fragwürdigen "Religionen" immer nur dazu, Macht über Menschen auszuüben.

Religion II

Meine Sicht der Religion als "Suche nach Gott" hat seine furchtbaren Schlussfolgerungen, die ich hinwieder aber auch als fruchtbar ansehen möchte.
Alle "Religionen" -ob groß oder klein, ob weltumspannende oder sektenhaft enge- haben keinen Bestand vor dieser neuen Sicht, die ihrerseits wahrscheinlicherweise wiederum gar nicht so neu ist.
Alle "Religionen" oder "Bekenntnisse", die schon glauben, Gott gefunden und allgemeingültig umschrieben zu haben, fallen gleichfalls unter den Tisch wie jene, die ausgeben ihr menschlicher Führer, ihr Oberhaupt sei Gott. Dies ist ein vernichtendes Urteil über manch alte und vergangene "Religion" und über bestehende oder immer wieder neu aufkommende. Ihre Hybris macht diese "Religionen" zu Nicht-Religionen, zum Kontrapunkt des wahren Religiös-seins, denn ihre Mitglieder, Anhänger und Führer wollen nicht bescheiden darauf ausgehen, in einem langen, dornigen und wohl immer wieder mit Rückschlägen versehenen Weg den unbekannten Gott zu suchen und in dessen Geheimnis allmählich einzudringen. Sie können es auch nicht, weil sie ja vorgeben, Gott schon zu kennen und aus dieser Erkenntnis heraus den Menschen Wege zum Glück anbieten zu können.

Wenn also alle "geoffenbarten Religionen" ein Widersinn in sich sind, dann muss man mit ihnen brechen und ganz neu anfangen, wobei vielleicht diese oder jene wahren Körner der Gottsuche in Früherem und Jetzigem zu finden sind. Diese Körner der möglichen Wahrheitsnähe zu suchen, ist allerdings bereits eine religiöse Aufgabe, ein Stück wahrer Religion.

Das Große in der Religion des Gottsuchens liegt darin, immer mehr Kenntnisse über den Sinn des Lebens zusammenzutragen.
Erkennen ist also eine Eigenschaft der Religion, und ihm schließt sich gleich an das Glauben oder das Zweifeln am Erkannten. Beides ist legitim, denn nur durch Beides kommt man wieder voran zu neuen Erkenntnissen im Geschaffenen, im Werk des großen Schöpfers.
Der religiöse Mensch forscht also, glaubt und zweifelt am Selbsterforschten wie an jenem, das andere für ihn erforschten. Nur wenn etwas nach langen hundert Jahren (dies symbolisch gemeint) erhärtet ist, kann es religiöses Wissensgut werden. Doch auch dann darf es niemals dogmatisiert werden, denn der schwache Verstand des Menschen wird auch in der Zukunft immer wieder irren. Dogmatisierung ist der Tod der Religion.

Religion als Gottsuche will dem Menschen helfen, seine Schwachheit innerhalb des Universums zu verstehen und zu ertragen. Und wenn Menschen Menschen helfen wollen, ihre Schwachheit, ihr Ungenügen, ihre Beschränktheit zu ertragen, dann ergibt sich daraus, dass Liebe ein größtes Gebot der Religion ist. Nur durch und in Liebe kann man dem Menschen tief und echt begegnen und ihm helfen, seine Schwachheit zu ertragen. Und im gegenseitigen liebenden Helfen fördert der eine den anderen auf dem Wege zu Gott, respektive auf dem Wege der Suche nach dem Göttlichen, das letztenendes auch im einfachen Menschen drin steckt, im Tier, in der Pflanze in der "unbelebten" Materie steckt.

Will man zum Erkennen kommen, dann gilt der Wissenschaft ein hoher Rang in der Religion. Wissenschaft pflegen heißt religiös sein. Ein Glaubender und ein Zweifelnder sind beide Diener der Religion. Der größte Diener der Religion ist jener, der liebt, denn der Liebende weckt im Mitmenschen die Kräfte des Geistes zu forschen, alles erkennen zu wollen, was am Anfang stand, was am Ende sein könnte, was jetzt ist, was im Weltall sich bewegt, was in der Psyche des Mitmenschen vorgeht, wie Pflanzen und Tiere beschaffen sind und wie die Materie in ihren kleinsten Teilen Bewegung und Kraft in sich birgt und wie alles seinen großen Zusammenhang hat.
Die Liebe aber ist nicht nur etwas bloß fühlbar Geistiges, sondern eng verbunden mit allen Rührungen eines Menschen: durch das Körperliche dringt sie vor zum Geistigen und wird eine Einheit; vom Geistigen ausgehend kann sie aufs Körperliche übergreifen und den Körper zum Spiel der Vollendung hinführen. Es gibt für die Liebe keine Regeln, sie hat wandelnde und wandelbare Formen, sie ist Triebkraft für alles Wollen des Menschen. Der wahrhaft Religiöse ist daher vornehmlich ein Liebender, und als Liebender will er alles wissen, alles verstehen, um Gott immer näher zu kommen, um den Geschöpfen Gottes immer näher zu kommen.

Gottsuche, die Religion, wird Formen suchen müssen, um sich zu zeigen. Darüber wird ebenso nachzudenken sein wie über ein mögliches richtiges Verhalten eines Gottsuchenden.
Doch weder über das eine noch das andere werden sich starre, unabänderliche scheinende Gesetze aufstellen lassen, denn dann würde man die Religion gleich wieder töten.
Gesetze müssen wandelbar sein, so wie die Grenzen der Erkenntnis sich weiten mögen.

Religion III

Wenn Religion-haben innerhalb der Gesellschaft wieder als etwas Normales betrachtet werden kann, weil Gott-Suche zu dem im Menschen immanenten Trieben zählt wie das Essen und Trinken usw., dann braucht es keine speziellen "Religionsgemeinschaften" oder "Kirchen" mehr; jede Gemeinschaft oder Gesellschaft wird sich ihr gemäße Formen geben, um gelegentlich nach außen zu zeigen, dass sie religiös, das heißt auf Gott-Suche ist.

Es ist auch nicht notwendig, das bisherige Formen völlig verdrängt werden, das ist so oder so nicht durch Gewalt möglich und auch niemals erwünscht. Es können Umdeutungen entstehen, und der Zahn der Zeit wird an vielen Dingen nagen, bis der alte Gehalt, der "heidnische" ausgehöhlt sein wird.
Der erfreulicherweise gefühlsbehaftete Mensch will durch Formen manifest machen, was er innerlich fühlt. Und auch das "heidnische" Christentum, der "heidnische" Mohammedanismus oder Buddhismus, sie alle haben -herauswachsende aus gewissen Kulturen- Formen einer Verehrung göttlicher Macht geschaffen, in denen -je nach Ort und Zeit- Brauchbares stecken mag. So kann ich mir etwa vorstellen, dass der wieder religiös gewordene und religiös-sein-dürfenden Mensch das Verlangen danach haben könnte, einen Festtag des unbekannten Gottes zu feiern, an einem Tag der Erkenntnis sich zu freuen, was man im Hinblick auf ein der Schöpfung-näher-Kommen erforscht hat und gleichzeitig der Beschränktheit der Erkenntnisse durch unsern Verstand gedenken, ein großes Fest der Liebe zu begehen, wo jedermann dem Mitgeschöpf zeigen will (auch wenn er das alle Tage tun soll!), dass man bei ihm ist und es mit allen Kräften der Seele und des Körpers mitbegleitet auf dem Weg der Gott-Suche, und es könnte auch wünschenswert erscheinen, derjenigen zu gedenken, die den Wege dieser Suche hatten abbrechen müssen und gestorben sind in der Hoffnung, nicht unnütz gelebt und nicht vergessen zu werden.

Einen oder Millionen von sogenannten Vermittlern zwischen dem unbekannten Gott und dem Menschen brauchte es nicht mehr, denn sie wissen ja auch nicht mehr von IHM als jeder andere Suchende.
Wenn aber Menschen ihre eingegangenen Freundschaften, ihre Partnerschaften, ihre Erfolge usw. dem unbekannten Gott weihen oder dessen besonderen Segen zu etwas möchten, dann wäre es wohl dienlich, wenn überblickbare Gesellschaftseinheiten aus sich heraus jemanden dazu beriefen, Vorsteher religiöser Feiern zu sein. Und wenn Religiös-sein wahrlich wieder als etwas Normales und in die Gesellschaft Integriertes angesehen werden kann, dann dürfte es auch fast selbstverständlich sein, eine Geburt als irdischen Anfang des Menschen und seinen Tod als Ende der irdischen Pilgerschaft -die zwei wichtigsten Daten auf dem möglichen Wege der Gott-Suche- mit religiösen Gedanken zu umgeben, dem Schöpfer für beides zu danken.

Es ist klar, dass ein neues und dem wahren Mensch-sein angepasstes Religiös-sein die ganze bisherige Gesellschaftsstruktur über den Haufen wirft.
Kirchen, Religionsgemeinschaften und sogenannte "Sekten" fallen von ihrem Machtthron. Ihrer bedarf man nicht mehr, weil keiner mehr eines Tuteurs bedarf, um den "Weg in den Himmel" zu finden. Auch all jenem wird der Boden entzogen, was die "Religionen" beigetragen haben, furchtbare und dem Menschen und seiner Geisteswelt entgegenlaufenden Moralnormen zu schaffen,
Es gibt keinen Kampf mehr gegen Religion und es bedarf keiner Schutzgesetze mehr für "Religions"- Ausübung.
Weltanschaulichen und ideologisch-religiösen Parteien ist die Existenzgrundlage entzogen.
Man kann nicht mehr damit fechten, die andere Partei sei zu religiös oder zu wenig religiös.
Sogenannte christliche wie materialistische Parteien etc. sind ad absurdum geführt.
Der Mensch wird frei, für das zu arbeiten, was ihn der Gott-Erkenntnis näher bringt und was ihm hilft, das Leben während der Lebensjahren eines Einzelnen lebenswert zu machen.

Da das Denken wieder einen Vorrang hat vor dem Scheffeln von Gütern, kann es auch einen neuen Sinn haben, sich für gewisse Zeit zum Erforschen des Göttlichen und auch all jener Dinge, die dem Menschen helfen, seine irdische Pilgerzeit gut zu bestehen, zurückzuziehen. Neue Formen monastischen Lebens könnten wieder Sinn bekommen.

Ich weiß nicht, wann die Gott-Suche, diese einzig mögliche und aus der psychischen Konstitution des Menschen herauswachsene Religion irgendwo auf einem Fleck Erde Einzug halten und irgendwann auch global werden wird.
Die Menschheit dürfte noch viele qualvolle Irrwege durchwaten, bis sie ihre Karten auf diese allereinzige Hoffnung setzt.
Eines ist aber gewiss: sobald sie es getan haben wird, dann wachsen im Paradies wieder Bäume -und vieles wird ganz anders werden.
Der Mensch wird freier, glücklicher sein und wieder Sinn sehen in seinem Leben!

Religion IV

Die Ägypter waren große Meister im Aufbau der menschlichen Götter, für die die Pharaonen die Inkarnation des Sonnengottes Re waren. Die Ägypter waren das große Nachbarvolk der Juden. Die Griechen hatten eine wunderbare Mythologie mit einem Vater Gottes an der Spitze aufgebaut. Dieser und andere Götter zeugten mit Menschen Kinder , Halbgötter. Die Römer erbten weitgehend die griechische Mythologie. Wenn man ein gebildeter Jude sein wollte, musste man die Griechen und die Welt kennen. Und die Römer waren ihrerseits Herrscher über das Land der Juden, was unter den Octavian Augustus sehr ausgeprägt war. Das Römische Reich dieser Zeit galt als Erdkreis. Der Osten Indiens, Zentralafrika und das Land der Indianer waren noch ein Geheimnis. Was konnte man von einem Buddha also wissen? Und die Hoffnung der Indianer auf einen Gott, der kommen sollte, die war unbekannt und daher auch ohne Relevanz.
Doch irgendwann musste sich Gott doch ganz persönlich zeigen. Eine herrliche Großkultur ohne greifbaren Gott, das konnte, das durfte es nicht geben. Nur eben, es war den Aegyptern nicht gelungen, ihre Pharaonen für immer als Göttersöhne festzuhalten; der Griechen Götterlehre musste aufgeklärten Demokraten je länger je mehr als Märchen erscheinen, und auch ein Oktavian Augustus vermochte wohl nicht recht als Gott überzeugen, denn seine Vergangenheit als Feldherr war zu menschlich gewesen. Die gebildeten und die sichtbaren "Götter" hatten allesamt versagt. Die Juden, die waren am behutsamsten mit ihrem Jahwe umgesprungen. Er war der Alleinige, er war der Schöpfer aller Dinge, der Große, dessen Namen man gar nicht aussprechen durfte und von dem man kein Bildnis zu zeugen wagte. Aber die Profeten hatten angekündigt, dass er mal in ihre Mitte kommen werde. Sie hegten die gleiche Hoffnung wie die Indianer. Aber sie waren auch felsenfest überzeugt, dass er einmal nur als großer Herr und König auf die Erde niedersteigen werde, um sein auserwähltes Volk zum Volk des Herrschens zu machen.

Aber gerade die Zeit eines Oktavians Augustus zeigte, dass ein von allen ersehnter Friede, eine PAX ROMANA, nur durch die Gewalt der Waffen zu halten war. Das konnte keine göttliche Zeit sein. Fast logisch musste sich daraus ergeben, dass die Inkarnation Gottes auf Erden nicht in einem hohen Herrscher, sondern im niederen Volk zu suchen sei.

In jene Zeit hinein wurde Jesus geboren. Vielleicht wurde er von jung auf erzogen im Kreise der Essener, deren Gläubigkeit und Weltvorstellungen, deren menschliche Prinzipien und deren Zusammenleben abwich vom orthodoxen Judentum. Doch sie mochten auf Bildung und Formung wert gelegt haben, wobei ihnen ein "Altes Testament", die Schriften eines Moses, zwar Maßstab bedeuteten, aber nicht derart, dass die Auslegung sich mit jener der Schriftgelehrten fein gedeckt hätte.

Jesus muss ein wunderbarer Mensch mit vielen Gaben gewesen sein. Er dürfte eine besondere Ausstrahlungskraft besessen haben und fähig gewesen sein zu Außersinnlichem, so wie es immer wieder Menschen gibt, die heilen können, wenn andere versagen, um die herum sich Dinge abspielen, die man mit bloßer Weisheit des beschränkten Verstandes nicht erklären kann. Und er dürfte schön gewesen sein und voll Eros, da er einen ganzen Kreis von Männern um sich zu scharen wusste, die ihm getreu folgten, und Dirnen, denen er ihre Sünden verzieh und die ihm mit Tränen die Füsse wuschen. Er konnte auch einen Lieblingsjünger gehabt haben, der seinen Kopf ihm an die Brust lehnte und bis ins hohe Alter nur davon träumte, von einem wunderbaren und an Gaben reichen Menschen geliebt worden zu sein, so dass er ihm eins und alles war.

Dieser Jesus war aber auch überzeugt, dass er berufen sei, den Menschen eine neue Botschaft des Heils zu bringen, eine menschlichere, eine, von der er überzeugt sein konnte, Gott habe sie ihm eingegeben; er sei der Berufene, jener, der vom niederen Volke her kommen müsse, um der Welt der Gewalt ein Reich des Geistes zu bringen. Und aus dieser Überzeugung heraus hat er seine Lehren verkündet und sich für sie in den besten Mannesjahren hinschlachten lassen.

Aufgeschrieben hat er selber nichts. Das taten nachher andere, solche, die von ihm fasziniert gewesen waren. Und sie taten es subjektiv, menschlich, widersprüchlich, denn ein vielfaches Wirken während Jahren lässt sich nicht so einfach in Buchstaben zwängen. Und dann war erst noch ein Sendungsauftrag da, den sie als Adlaten zu befolgen hatten. Denn viele Ideen waren ja wundervoll, gut, neu, des Verbreitens wert. Und man mochte Jesus als Göttichen, irgendwie als einen besonderen "Sohn Gottes" wahrlich auch angesehen haben. Die Sehnsucht der Menschen nach einem neuen Gott war ja groß, da alle bisherigen versagt hatten.(Die Gegner allerdings legten nur ganz spärlich schriftliches Zeugnis über Jesus ab. Dass er existent gewesen, dass allerdings konnten sie nicht leugnen.)

Die große Tragik des Christentums begann erst später, nicht schon gleich in der Urzeit der Existenz, oder wenigstens nur gelinde spürbar. Es tauchten Zweifel auf, ob man diesen großartigen Jesus als reinen Mensch, als reinen Gott oder als den Gottmenschen ansehen müsse. Und da klaffte ein Abgrund auf. Im Schoße des caesaropapistischen Byzans, das die Hände hielt über die Konzilien der frühen Jahrhunderte der Christenheit wurde entschieden, was richtig und was falsch sei. Und nachdem einmal etwas entschieden und die Gegner der als richtig erachteten Meinung an die Wand gestellt waren, da musste man in der Folge immer mehr definieren, da immer mehr Zweifler aufkamen, denn es gebrach ja an Augenzeugen. So entstand denn eines byzantinischen Tages auch die neue Vorstellung von Gott und wurde zum klaren Glaubenssatz erhoben:
Gott der Dreieinige. Eine reine Männergottheit an deren Zipfel noch eine hochverehrte weibliche Person, die Mutter Jesus, reiner Mensch, als Mittlerin zwischen Himmel und Erde angehängt wurde. Der byzantinische Christengott kannte - wie die Mythenwelt der Griechen - einen Gottvater. Und dieser ward -gleich der alten ägyptischen Vorstellung- in einem Menschen Fleisch geworden. Da man aber doch auch erkannte, dass Gott nie -oder erst vielleicht einmal nach unendlich mühsamen Suchen!- zu fassen sein würde, wurde als dritter Zacke im Dreieck der von biblischen Erzählern erwähnte Heilige Geist personifiziert. Ein herrliches Mosaik, eine wunderbare spätantike Mythologie, ein neues Geheimnis, hinter das zu dringen ebenso verboten sein sollte wie bei den alten Juden der Versuch, Jahwe abbilden zu wollen. Und irgendwie haute es hin. Es passte wundervoll in die Vorstellungswelt antiker Großherrscher, denn der Allvater und Allherrscher (Pantokrator) steckte darin; ein Vorbild.
Der armgeborene göttliche Mensch gehörte zum neuen Gottesbild; das Vorbild für das niedrige, von Sehnsucht, Schmerz, Hoffnung, Leiden gequälte Volk. Der Heilige Geist war Person Gottes; Vorbild für den weisen Mann, den Mystiker, den Magier, Symbol für das Nichtdurchschaubare.

Als ein Konstantin einmal entdeckt hatte, das im Christentum Zukunft liege, bemächtigte er sich dessen, und die anderen Herrscher taten es ihm nach bis zu Karl dem Großen und bis hinein in die Stauferzeit, ja bis zu den Franzosenkönig von Gottes Gnaden und den englischen mit einem Heinrich VIII. und den Zaren aller Russen. Mit Christentum ließ sich wohlfeil herrschen. Mit dem Papst, gegen den Papst oder ohne ihn.

Hatte die Kirche ihrerseits aber einmal begonnen, Dogmen aufzustellen, so musste sie -oh des Teufels Ausgeburt! -immer wieder neue zeugen, um das mythologische Gebäude zu stützen. Nur so konnte man sich der denkenden Ketzer erwehren, die in jeder Epoche auftraten und Zweifel hinters Glaubensgut setzten. Es gab ein wuchernder Baum mit extravagantesten Blüten. Und ein Zurück hinter den Anfang der Definitionen schien es nicht mehr zu geben, weil man dem eigenmächtig blütentreibenden Baum die Wurzeln hätte abschlagen müssen. Das spätantike Gottesbild, die Dreieinigkeit sass da, fest und behäbig, über Jahrhunderte geglaubt und in Bildern überall dargestellt. Unausrottbar, obgleich im Verhältnis zur Länge und Dauer der Menschheit ganz jung.

Da kamen Reformatoren und wüteten am wuchernden Baum. Und immer wieder neue Reformatoren tauchten auf, böse Kritiker, furchtbare Zweifler, Kämpfer auch gegen die weltliche Macht der Kirche. Neue Dogmen waren nötig, um sich zu wehren, um vermeintliche Wahrheiten, die allerdings niemand je zu beweisen vermochte, zu schützen. Die Christenheit spaltete sich in viele Lager, und man bekämpfte sich blutig, einmal gar volle dreißig Jahre lang und vermischte Religion mit Politik, wie gehabt von Anfang des Dogmatisierens her.

Ende der Christenheit? Ende der Religionen?

Irgendwann ja, nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann. Unterdessen werden in ihr noch viele herrliche Menschen zerschlissen, auch Päpste, deren persönliche Liebe zu den Menschen über alle Zweifel erhaben sein mag.
Die Gesellschaft, wenn sie einmal festgefahren, etabliert, von Mächten mit eigenen Interessen ferngelenkt, ist grausam, gewährt kaum ein Entschlüpfen.

Lösung:

Das Eingeständnis, dass man Gott nicht gefunden hat und ein bescheidenes Sich-auf-den-Weg-machen Gott endlich zu suchen: rückwärts zum Alpha der Schöpfung, vorwärts zum Omega der Sinnerfüllung der Schöpfung.
Wenn wir in uns Kräfte haben, die man als geistig ansprechen kann, warum fürchtet sich die Menschheit, auf die Suche zu gehen, überall?
Fürchtet sie etwas zu verlieren, das sie im Grunde genommen noch gar nicht gefunden haben kann?
Die Geschichtsschreiber des Jahres 10.000 werden es lächerlich finden, das wir um das Jahr 2020 noch darum ringen mussten, von den eigentümlichen Religionen der Jetztzeit loszukommen und auf Gottsuche zu gehen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.01.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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