Hans Fritz

Die Nebelbank, ausserirdisch


Eine lebensrettende Entdeckung

Der viele Lichtjahre von der Erde entfernte virtuelle Exoplanet Tambosirk wird irgendwann von Menschen erobert. Ganz nach erdbürtigem Vorbild werden Städte errichtet, die durch Verkehrswege miteinander verbunden sind. Allmählich bahnt sich ein bescheidenes Mass von Zivilisation an. Das Miteinander wird zunächst einmal grossgeschrieben. Erdenerbe erweist sich jedoch bald als unverwüstlich und Neid und Hass drohen überhand zu nehmen. Dazu gestaltet sich die Beschaffung von Nahrung immer schwieriger.

Wie steht es mit von der Erde importiertem Saatgut? Das gab es doch! An der Stelle des vor Urzeiten gelandeten Raumschiffs sollen vor ein paar Monaten zwei Behälter mit Saatgut ausgegraben worden sein. Die Behälter, ein gelb- und ein rotlackierter, wurden völlig entleert auf einem Acker gefunden. Um der Gefahr einer Auswilderung tambosirkfremden Getreides vorzubeugen, war die Aussaat eines von der Erde stammenden Korns streng untersagt. Die Suche nach dem Inhalt der Behälter läuft und läuft. Da ist doch kürzlich das Wort ‘Saatguthysterie’ aufgetaucht, nach Meinung eines Spötters vom ‘Klub ökologischer Blindgänger’ kreiert.

Auf zwei Kontinenten des Tambosirk gedeihen kürbisähnliche Gebilde, die später auf den wohlklingenden Namen Toghipolas getauft werden. Die Entdeckung der ‘Toghis’ als für den menschlichen Genuss geeignete, lebensrettende Ackerfrucht ist der Historie nach einem Zufall zu verdanken. Einem Trupp Erkunder war durch einen Unfall sämtlicher mitgeführter Proviant verloren gegangen. Da stiessen sie in einem lichten Hain auf eine Gruppe jener falschen Kürbisse. Jedes Risiko ausser Acht lassend, öffneten sie eine Frucht, leerten den austretenden milchigen orangefarbenen Saft in einen Eimer aus Zinkblech. Jeder nahm einen Schluck. Sie fanden das Getränk durchaus palatabel und fühlten sich für ein paar Stunden rundum gesättigt. Ja, sie glaubten ein gesteigertes Wohlbefinden zu verspüren. Die Schnellanalyse der Emulsion ergab gute Werte. Den Siedlern schien der ‘Saft’ so gut zu bekommen, dass er als regelrechte Babyahrung, sozusagen als Milchersatz, Verwendung fand. Leider misslang jeder Versuch die graugrünen Riesenbeeren mit den violetten Streifen und dem mehrere Meter in den Boden reichenden weitverzweigten Wurzelwerk zu kultivieren. So müssen die nicht gerade häufigen Vorkommen sorgsam umzäunt und durch Wachpersonal geschützt werden. Nur noch zur Versorgung von Kleinkindern und Schwerkranken dürfen die Toghipolas geerntet werden. An einigen Stellen erheben sich in unmittelbarer Nähe der Toghis krummwüchsige unverzweigte Stämme, die Trauben unscheinbarer gelbgrüner Blüten tragen. Die Pseudokürbisse sind wohl Speicherorgane jener pflanzenähnlichen Gewächse. Der Befall mit ein paar raupenähnlichen Tieren, die einen langen Saugrüssel mit sich schleppen und sich langsam kriechend fortbewegen, scheint die Toghis nicht ernsthaft in ihrem Bestand zu gefährden.

 

Bei Tag und Nebel

Am Rande der rührigen Bezirkshauptstadt Moghsunda bewohnt Familie Glenkob die oberste Einheit eines Terrassenhauses. Hausherr und Gemahlin sind in ihrer Eigenschaft als Landschaftsinspektoren zu einem Besuch des ‘Waldkontinents’ aufgebrochen. Die beiden Töchter Cora und Dila müssen aus Gründen einer strengen Schulpflicht zu Hause bleiben, unter der Obhut der Nachbarin und Frau Glenkobs Schwester Ekil, Näherin in einem Bekleidungsparadies.

An einem wettermässig vielversprechenden schulfreien Tag machen sich die drei auf den Weg zu den rosa Hügeln. Die Umhängetaschen mit reichlich Proviant gefüllt, beginnen sie ihren Fussmarsch bei der letzten Station der Lokalbahnlinie 9.

Urplötzlich geraten sie in dichten Nebel und verlieren bald die Orientierung. Cora bedauert den Kompass nicht eingepackt zu haben. Der stammt zwar aus einem Trödelgut von der Erde, aber magnetische Pole soll es schliesslich auch hierzulande geben.

Die drei stapfen eine gute Stunde durch die immer dichter werdende Suppe. Da nähert sich ein mit drei bläulichen Lichtern ausgestattetes Ungetüm. Jetzt bemerken sie, dass sie sich auf einem halbwegs asphaltierten Fahrweg befinden, den sie schleunigst verlassen. Als sich das Ungetüm rumpelnd und zischend dicht an ihnen vorbeibewegt, beginnen sie so laut es geht zu rufen, könnten ja Menschen an Bord sein. Vergebens. Mit letzter Kraft schleppen sie sich bis zum düsteren, scheinbar himmelhoch aufragenden Gebäude, das unvermittelt vor ihnen aufgetaucht ist. Über dem Portal prangt in schwefelgelber Leuchtschrift etwas, was im Deutschen so viel heissen würde wie ‘Institut für Ernährungsforschung’. Nach Überwindung ein paar steiler Stufen erreichen sie den Eingang. Aufs Geratewohl vertrauen sie sich einer Drehtür an, die sie in eine schwach ausgeleuchtete Halle spült. Von irgendwo her ruft es: «Hallo, wohin möchten Sie? Sind Sie angemeldet?»

An einem schmalen Pult lehnt ein Mann in purpurner Livree. Er gibt sich als Portier zu erkennen. Ekil spricht: «Das Gebäude ist unsere Rettung vor dem schrecklichen Nebel». «Nun ja, dann bleiben Sie fürs Erste einmal hier», sagt der Mann. «Begeben Sie sich bitte in die Besucherzone dort drüben. Machen Sie es sich bequem». Die drei nehmen auf einer lehnenlosen Bank aus Flechtwerk Platz. In der Mitte des Saals steht ein brunnenähnliches Minimonster, das als Wasserspender höchst willkommen sein könnte. «Ist gutes Trinkwasser», erklärt eine mit Putzarbeiten beschäftigte Frau. An einer lindgrün getünchten Wand haften Bildtafeln, die einen Einblick in die Arbeit am Institut gestatten. Da werden zerlegte Toghipolas gezeigt. «Also mit denen beschäftigen sie sich hier auch», stellt Dila fest. Auf einer Tafel ist zu lesen, dass mehrere Kräuter vor Kurzem zum Anbau freigegeben worden sind. Zahlreiche in buntbemalten Blechschalen ausgelegte Wurzelstöcke sind reich an einem stärkeähnlichen Produkt, wie die Beschriftung andeutet. «Wunderbare Stillleben», meint Ekil.

Der Portier kommt und überreicht mit Gemüse belegte Fladenbrote. «Ja, meine Damen, die rötlichen Blätter sind eine besondere Delikatesse. Leider gestattet der, wenn auch geringe Gehalt an Oxalsäure, deren Verzehr nur als bescheidene Beilage».

Am frühen Nachmittag schwindet der Nebel so schnell er gekommen war. Ekil und ihre beiden Schützlinge verabschieden sich vom freundlichen Portier, nicht ohne sich vielmals für die leckeren Brote zu bedanken. Draussen nehmen sie auf der Ladefläche eines startbereiten Transporters Platz, wandeln der Not gehorchend die Strapaze in eine Vergnügungsfahrt und gelangen so unbeschwert nach Hause.

Dort berichten die Töchter den vorzeitig heimgekehrten Eltern, dass sie das Vergnügen genossen hätten, die berühmte ‘Forschungsanstalt für Ernährung’ zu besuchen. «So berühmt wie berüchtigt», meint Frau Glenkob. «Dort sind doch Freiwillige aufgeboten Gerichte aus exotischen Gewächsen zu kosten», glaubt Herr Glenkob zu wissen. «Wer es überlebt hat Glück», ergänzt die Frau. «Oh, da hatten wir Glück», sagt Cora. «Ihr habt doch nicht etwa –« seufzt Frau Glenkob auf. «Was wir hatten, stammte aus der Hausmannkost der Institutsleitung», gibt Dila vor. «Wir kamen ja auch nur durch Zufall dorthin, weil wir von einem furchtbaren Nebel überrascht worden waren», erklärt Cora. «Auch jener Nebel war wohl ein Indiz für ein sich änderndes globales Klima», meint Herr Glenkob. «Wir nähern uns mit Riesenschritten dem Ende einer über Jahrtausende währenden Warmzeit».


Schluss und Schlüsse

Doch welcher Beziehungsbogen spannt sich zwischen den Glenkobs und der Versorgung der Tambosirken mit Nahrung?

Die ältere Tochter, Dila, hat eine Ausbildung zur ‘diplomierten Fachkraft für Nahrungsmittelversorgung’ absolviert. Das Institut, dass ihr allen Skrupeln zum Trotz auf eine spezielle Art imponiert hat, bietet ihr eine vielversprechende Stelle an. Kaum im Amt, entwickelt sie in Zusammenarbeit mit ihrem Lebensgefährten Annulk, dem Pflanzenphysiologen, eine Methode zur Freilandkultur der Toghipolas im grossen Stil. Schon ein paar Monate später werden die Riesenbeeren zum wesentlichen Bestandteil der Nahrung auf Tambosirk. Kleinere, kompaktere Beeren mit rötlichgelbem Fruchtfleisch werden als wohlschmeckende ‘tambosirkische Kartoffeln’ gehandelt. So scheint zumindest das physische Überleben der Menschen auf dem erdfernen Planeten vorerst gesichert.

Dila und Annulk finden in der Form von Gipssteinbüsten Aufnahme ins ‘Pantheon führender Tambosirkaner’. Wochen später kommt die Büste eines Herrn Peponikov hinzu, dem Autor der wissenschaftlichen Erstbeschreibung der Toghis.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.01.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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