Betreff: Selfstyrring
Lieber Bruder,
ich hoffe Dir geht's gut. Mir geht's so leidlich. Über die Feiertage bin ich in Grönland geblieben. Im Winter ist das zwar ein dunkler Eisschrank, doch zusammen mit meinen Kollegen aus dem Institut und bei Tookoomahs Geschichten taue ich wieder auf. Er hat so eine rege Fantasie.
Neulich erzählte er mir etwas über die Atombombe, die den Amerikanern 68 bei der Thule Air-Base ins Meer fiel. Die Dänen hätten mit den Amerikanern gemeinsame Sache gemacht und die Sache vertuscht. Doch jetzt, da die Grönländer für das Selfstyrring gestimmt hätten, würden sie die Amerikaner selber fragen, was daraus geworden sei. Nun halt dich fest! Er meinte, dass diese Frage nur rein rhetorischer Art sein könne um die Amerikaner zu verunsichern. Die Eskimos hätten das Ding längst gefunden und würden es irgendwo verstecken. Ein Spinnkram!
Grüsse Deine Frau und küsse die Kinder
Re: Selfstyrring
Liebe Schwester,
nächstes Mal, wenn du uns in Klerksdorp besuchen kommst, bring deinen Freund doch einfach mit. Hast du schon von Mutti gehört, sie fliegt dieses Jahr zu unserem Bruderherz nach Tokyo. Wäre auch gerne mitgeflogen, doch lassen es die Umstände hier unten nicht zu. Wegen des Aufstands unter den Arbeitern habe ich Urlaubssperre. Es gab soviele Verletzte. Eigentlich darf ich dir darüber gar nichts schreiben. Am liebsten würde ich zu dir nach Grönland kommen. Statt dessen schick ich dir eine Geschichte über Südafrika. Habe ein bischen rumfantasiert. Ein Kapitel fehlt noch. Weihnachten haben wir ganz klassisch gefeiert und heute abend fahren wir nach Pretoria in die Oper.
Einen guten Rutsch und
grüsse den Grönländer unbekannterweise!
Re: Re: Selfstyrring
Lieber Bruder,
habe von dem Aufstand gelesen. Ich mache mir wirklich Sorgen um euch. Ich hoffe, dass eure Gegend sicher ist. Hier geht es demnächst auch mit Bergbau los. Irgendwo an der Westküste wurde ein Berg entdeckt, der mit seltenen Erden vollsteckt. Allein der Abbau dieses Bergs wird ausreichen, den Staatshaushalt zu decken. Ich hoffe, dass es nicht so rücksichtslos abläuft wie bei euch.
Ich würde Tookoomah gerne einmal mitbringen. Der ist so ein lustig! Du musst ihn unbedingt einmal kennenlernen. Deine Geschichte beunruhigt mich. Ich hoffe, dass wir uns bald wiedersehen!
Auch euch einen guten Rutsch!
Melde mich wieder.
Die Kerze die sie auf den Schreibtisch gestellt hatte, war schon fast heruntergebrannt und sie wollte sie gerade ausblasen ...
„Das Universum ist eine Kerzenflamme“ dachte sie wortlos laut „Eine einzige Kerzenflamme." Und wie der Schnee und das Eis im grönländischen Sommer, so schmilzt auch das Wachs, das die Flamme nährt und bildet beim Erkalten die skurrilsten Formen.
Tausende Jahre hatte sich das Leben der Menschen am Rand des riesigen Eisschilds um nichts anderes gedreht, als den Winter zu überleben. Jeden Sommer löste sich das Eis an der Küste auf und die Eskimos konnten mit ihren Kajaks auf Robbenjagd gehen. Irgendwann begann aber unvermeidlich der lange, dunkle Winter. Das Eis an der Küste fror zu und die Möglichkeiten an Nahrung zu kommen waren sehr eingeschränkt. In den Iglus musste man mit den Vorräten die oft wochenlangen Eisstürme überstehen. Man besserte die Kleidung und Gerätschaften aus, erfand Spiele und erzählte sich Geschichten. Tookoomah hatte diese Zeit selbst nicht mehr erlebt, doch kannte er manches aus den Erzählungen seines Grossvaters. Die seltsamsten Geschichten drehten sich um den Tupilak.
Bei einem Tupilak sei es entscheidend, dass ausser seinem Schöpfer niemand von ihm wissen darf. Sein Schöpfer muss über genug Zauberkräfte verfügen und die richtigen Rituale und Lieder kennen. Dann muss er in der Lage sein, ihm einen Teil seiner Lebenskraft einzuhauchen. Wenn dabei irgendetwas schief läuft, besteht immer die Gefahr, dass sich der Tupilak gegen seinen eigenen Schöpfer wendet.
Sie musste still in sich hineinlachen ... Lebenskraft, Lebenskraft ... Tookoomah hatte viel davon. Leider besoff er sich manchmal so sehr, dass sie nichts mehr verstand. Tief im Eis gäbe es Ungeheuer aus der Vorzeit. Mit jedem Jahr, in dem das Eis weiter abschmelze, vergrössere sich die Gefahr, dass man sie aufwecken würde. Und mit den Bohrungen solle man besser nicht fortfahren. Ob sie sich schon Gedanken darüber gemacht hätte.
Dabei blinzelte er ihr listig zu und zeigte ihr wie man mit dem kleinen Finger und dem Daumen die Teile eines Tupilak zusammenfügt. Dabei tat er so, als wenn er ihre Körperteile auf dem Boden neu zusammensetzen würde. Er begann mit den Augen, der Nase, den Lippen, strich über ihren Hals, die Brüste, den Bauch und tiefer. Als er fertig war, betrachtete er das fiktive Wesen und rezitierte in dramatischem Ton:
„O ich sage, dies sind nicht allein Teile und Gedichte des Leibes, sondern der Seele,
O jetzt sage ich: diese sind die Seele!“ W.W.)
Dann begann er das geheime Lied zu singen, womit es natürlich nicht mehr geheim war:
die Nacht - die Sterne
der Schnee – das Iglu
die Augen - die Ohren
das Feuer - Oh Feuer!
die Ohren - die Augen
das Iglu - der Schnee
die Sterne - die Nacht P.S.)
daraufhin hatte er eine kleine Figur aus Elfenbein in der Hand. Ein Wesen mit einer Fratze, halb Mensch, halb Tier. Ein Bein war angewickelt und mit dem Bauch schien es ganz dicht über der Erde zu kriechen. Sie musste lachen. Aus dem Kofferradio, dass sie mit in das Iglu genommen hatten, schnalzte Snoop Dogg sein „Drop it like its hot, drop it like it's hot ...“
"Nimm den Tupilak, nimm ihn mit! Und wenn dir jemand etwas Böses will, musst du ihm Leben einhauchen ... siehst du so ..." Er machte es ihr vor, indem er seinen Atem auf die Figur blies. Aber vergiss nicht das Lied zu singen. Dann wird er dich beschützen.
Dann lagen sie noch eine Zeit lang unter den Eisbärenfellen und spielten mit ihren Körpern. Durch die Schneeglocke hindurch vermeinte sie die Sterne zu sehen ...
W.W.) aus Walt Whitman: "Ich singe den Leib, den elektrischen" - New York 1855
P.S.) frei nach Philippe Soupault: "Die Reise des Horace Pirouelle" - Paris 1925
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Thomas Theo Emanuel Hannen).
Der Beitrag wurde von Thomas Theo Emanuel Hannen auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.02.2020.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Thomas Theo Emanuel Hannen als Lieblingsautor markieren
Oma Dorfhexe - Eine kleine Geschichte vom Niederrhein
von Wolfgang Scholmanns
Anna und Frank ziehen mit ihren Eltern in ein kleines Dorf am Niederrhein, wo sie die alte Dame kennen lernen, die die Dorfkinder oftmals mit dem Namen "Oma Dorfhexe" betiteln.
Bei ihr lernen sie, wie man mit Reusen fischt und die Fische räuchert, sie gehen mit ihr Pilze sammeln und lernen sogar, wie man mit Heilkräutern umgeht.
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: