Manfred Ende

Brieftreue

Brieftreue

Robert und Juliane gingen, kaum dass sie voll jährlich waren, ihre eigenen Wege. Als sich ihre Wege zufällig kreuzten, war es, wenn nicht Liebe auf den ersten, so doch gewiss auf den zweiten oder dritten Blick. Also heirateten sie und die Liebe wuchs mit jedem Tag, den sie zusammen waren.

Es kam die Zeit, da Robert, einer beruflichen Weiterbildung wegen, in eine andere Stadt musste. Weinend bat sie ihn, doch mindestens einmal in vierzehn Tagen zu schreiben. Robert versprach es, tröstete sie, so gut er konnte, und umarmte sie zum Abschied. Juliane winkte noch, als der Zug längst nicht mehr zu sehen war.

In den nächsten Tagen wartete sie mit großer Ungeduld auf seinen ersten Brief.

»Was dabei für mich?«, rief sie dem Briefträger hinterm Gartentor mit gespielter Gleichgültigkeit zu.

»Mal sehen«, sagte der freundlich und sortierte mit beiden Händen in der Umhängetasche. Er suchte lange nach dem, was er längst zwischen den Fingern hielt.

Juliane sah dem Briefträger, der kaum älter als sie sein mochte, gespannt zu. Endlich zog er den ersehnten Brief ans Licht.

»Hier!«, triumphierte der junge Mann und hob ruckartig den Kopf, dass die Mütze nach hinten rutschte und sein braunes, lockiges Haar sichtbar wurde.

»Ein gewichtiges Papier, - mindestens drei Seiten«, sagte er und lachte.

Sie riss ihm den Brief aus der Hand und dankte flüchtig. Sie seufzte erleichtert und sah ihn mit einem Lächeln an, das ihn fast verlegen machte. Dann verschwand sie im Hausflur.

Robert schrieb, es gehe voran und er hätte sich gut eingelebt. Auch, dass sie ihm sehr fehle und er sie über alles liebe.

Darauf schrieb sie ihm jede Woche und regelmäßig kam Antwort von ihm. Sie freute sich auf den Briefträger, den sie an fälligen Tagen vor der Haustür erwartete, weil das Briefkastenschloss am Gartentor dahin rostete und sich nicht mehr öffnen ließ. Der junge Briefträger nahm den kurzen Mehrweg gern in Kauf, - denn immer fand sich Zeit für ein Schwätzchen. Sie redeten über die scheußlichen Wege, über ihren zu verwildern beginnenden Garten, über ein längst notwendiges Postauto und derlei Dinge mehr. Schließlich kam der Herbst und manchmal schon schickte der Winter erste frostige Vorboten.

An einem solchen Tag, als der Briefträger, heftig auf die Kälte schimpfend, ihr mit klammen Fingern einen Brief überreichte, sagte sie:

»O, sie sind durchgefroren«! Sie ergriff seine Hände und rieb ihm die geröteten Finger. »Kommen sie ins Haus. Ich mache schnell einen Kaffee, oder besser, einen Grog, das wird gut tun.«

Der Briefträger nahm seine Dienstmütze ab, kratzte sich aufgeregt am Hinterkopf, blickte abwechselnd auf ihr mintgrünes, enges Samtkleid und das hübsche Gesicht .

»Lieb von ihnen, aber eigentlich...«

»Ein viertel Stündchen wird ihren Dienstplan nicht durcheinander bringen«, sagte sie.

»Also gut, eine Fünfzehn zum warm machen.« Er stellte seine Tasche im Hausflur ab und hing die Dienstmütze an den Haken.

Sie bat ihn, im Wohnzimmer Platz zu nehmen, füllte die Gläser mit heißem Wasser, goss einen übergroßen Schluck Rum dazu und setzte sich neben ihn. Das Getränk erwärmte, also zog er seine Jacke aus, hing sie mit großer Sorgfalt über die Stuhllehne. Sie redeten lange miteinander, aus der viertel Stunde wurde fast eine ganze. Als er aufbrach, war seine Schüchternheit verflogen. »Die verlorene Zeit hole ich mit Leichtigkeit auf«, rief er ihr zu und radelte, einen Schlager trällernd, mit seinem gelben Fahrrad davon.

Juliane aber winkte noch, als er längst hinter dem Gartentor nicht mehr zu sehen war. Roberts Brief lag auf dem Küchentisch, sie würde ihn später lesen.

Juliane schrieb nun täglich eine Karte an Robert. Kurze Grüße, die Frage »Wie geht‘s«, ab und an ein paar Neuigkeiten aus dem Dorf und dass er sich keine Sorgen machen muss, ihr ginge es gut.

Auch Robert schrieb täglich - liebe Grüße aus der fremdem Stadt.

Juliane wartete nun mit immer größerer Ungeduld auf den Briefträger, lud ihn täglich ins gute Zimmer, machte ihm Grog an kalten und Kaffee an warmen Tagen. Manchmal hielt sie auch einen guten Schnaps bereit.

An einem sonnigen Frühlingsmorgen klingelte es an der Haustür. Es war Sonntag und Juliane war es gewohnt, an einem solchen Tag länger im Bett zu bleiben. Es dauerte also ein Weilchen, ehe sie ihren nackten Körper mit einem Morgenmantel verhüllt hatte.

Sie öffnete. Draußen vor der Tür stand Robert.

Sie wusste in diesem Augenblick nicht, was sie sagen sollte. Sie sah ihn nur an, als erwartete sie ein Begründung, eine Erklärung. Warum schon heute und ohne eine Vorankündigung, dachte sie.

Auch Robert schwieg, machte zögerlich eine Bewegung, als wollte er sie in die Arme nehmen, aber da rief eine fröhliche Stimme:

»Julchen, wer ist denn da«?

Die Stimme klang aus dem Schlafzimmer, dessen Tür weit offen stand und Robert sah deutlich die Briefträgeruniform, die ordentlich gefaltet über der Stuhllehne hing.

Robert lächelte. Er drehte sich um, zog ein junges Mädchen, das sich bis dahin im Hintergrund gehalten hatte, vor die Tür und sagte trotzig und erleichtert zugleich: »Das ist Christel, die mir deine Post zugestellt hat.«

Ein viertel Jahr später waren Robert und Juliane geschieden, - im gegenseitigen Einvernehmen, wie es hieß.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.02.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Humorvoll schreibt der Autor über eine Kindheit im Jahr 1949 in einem kleinen Dorf in der damaligen "Ostzone".
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