Wolfgang Scholmanns

Leichenfund am See

 

Noch eine Stunde Fußweg, dann werde ich den See erreicht haben. Um ihn herum wachsen die verschiedensten Baumarten und zur Herbstzeit finde ich hier manchmal zwei Pilzarten, die ich besonders gerne mag. Kräftige Regenschauer haben hoffentlich einige der kleinen Waldgeister ans Tageslicht gelockt, denn die Zeit ist da und Feuchtigkeit und Temperatur könnten nicht besser sein. Mein Marschgepäck sind ein alter Jagdrucksack, der mir bei meinen Streifzügen immer gute Dienste leistet und ein Weidenkorb, in dem ich wohl schon einige Zentner Pilze nach Hause getragen habe. Hinter der Birkenschonung, die am Westhang einer Anhöhe angelegt ist, liegt ein vom Orkan Kyrill gefällter Kastanienbaum, der mir schon so manches Mal als einigermaßen bequeme Sitzgelegenheit gedient hat. So auch an diesem Morgen. Ein Becher Kaffee aus der Thermoskanne und zwei Schnittchen von dem Schwarzbrot, das ich am Wochenende gebacken habe, sind eine köstliche Stärkung.

Mit einem Lied auf den Lippen, setze ich meinen Weg fort. Schon bald strömt mir ein altbekannter Duft entgegen. Er stammt von dem kleinen Waldsee, den ich schon seit dreißig Jahren regelmäßig besuche. „Bist mir ein guter Freund , mein alter See. Deine Stille gibt mir Kraft und Frieden.“

Mein Blick fällt auf eine Holzhütte, die oberhalb des Ostufers steht. Sie wurde von einem hier damals ansässigen Angelverein gebaut und zunächst nur als Unterschlupf bei schlechtem Wetter genutzt. Später wurde sie erweitert, eine Toilettenanlage gebaut und sogar bewirtschaftet. Was mich wundert ist, dass die Türe aufsteht, denn den Angelverein gibt es schon seit ein paar Jahren nicht mehr. Grund dafür ist, dass dieser See immer mehr verlandet und als Angelgewässer nicht mehr geeignet ist. Die Hütte hat man stehen lassen, die Eingangstüre jedoch abgeschlossen. Da will ich doch mal sehen, warum sie aufsteht. Vielleicht ist ja jemand vom Naturschutz da oder vom Forstamt. Am Zaun steht ein Fahrrad, auf dessen Gepäckträger ein Einkaufsbeutel liegt. Na ja, vielleicht ist auch ein Stadtstreicher eingebrochen, der ein warmes Quartier gesucht hat.

Als ich die Hütte betrete, fährt mir ein gewaltiger Schrecken in die Glieder. Auf dem Boden liegt leblos der Körper von Opa Waldschrat. Ich knie mich zu ihm nieder und rüttle ihn.

„Opa Waldschrat, Opa Waldschrat!“

Schnell bemerke ich, dass da nichts mehr zu machen ist. Opa Waldschrat ist tot. Ich rufe die Polizei an und berichte von meinem traurigen Fund.

Manches Pläuschchen habe ich mit Opa Waldschrat gehalten und viel von ihm gelernt. Er war Jahrzehnte lang Förster und zuständig für dieses Gebiet. Den Namen Waldschrat gaben wir ihm schon als Kinder, weil er immer in grünen Klamotten unterwegs war. Als Förster waren ihm Kräuter, Beeren und Pilze bestens bekannt und da er bemerkte, dass ich ernsthaft an allem was die Natur uns bietet interessiert war, weihte er mich in so manches Geheimnis ein. So in Gedanken vertieft, werde ich durch plötzlich auftauchende Motorengeräusche in die Gegenwart zurückgeholt. Ein Polizeiauto und ein Krankenwagen fahren vor.

“Guten Morgen, ich hoffe Sie haben hier nichts verändert.“, sagt einer der zwei Polizisten.

Nach einer kurzen Untersuchung schüttelt der Arzt den Kopf. „Da ist nichts mehr zu machen. Der alte Herr ist einem Herzinfarkt erlegen.“

Er spricht kurz mit den Polizisten, die sich einige Notizen machen, nickt mir flüchtig zu und verschwindet wenig später auf dem schmalen Waldweg.

Ich muss jetzt meinen Personalausweis vorzeigen und noch ein paar Angaben machen. Näheres zum Sachverhalt würde dann später bei der Polizei aufgenommen werden. Dazu würde ich noch einen Termin bekommen.

Es trudelt eine schwarze Limousine ein. Zwei Männer betreten die Hütte , quatschen ein paar Sätze mit den Polizeibeamten, legen Opa Waldschrat in einen Blechsarg und sind schon bald wieder verschwunden. Auch die Polizisten verabschieden sich nach einer Weile.

Ich setze mich an den See, der von alldem nichts mitbekommen hat. Still und friedlich, gleich einem Spiegel, liegt er im kühlen Morgengrau. Nur ab und zu vernehme ich den Ruf des Steinkauzes und erinnere mich der Worte des Opa Waldschrat.

„ Wenn ein Mensch stirbt, ruft das Käuzchen drei Mal kurz hintereinander. Wenn der Mensch gestorben ist, ruft es in regelmäßigen Abständen jeweils einmal.“

Der Opa hat es nun geschafft, hat ein langes Leben hinter sich gebracht.

Der Tod ist das Einzige, was uns von Geburt an gewiss ist.

  1. Mit jedem Moment der vergeht, sind wir ihm ein Stück näher.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.02.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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