Sven Eisenberger

Heil Corona!

So schnell kann man seine Textentwürfe gar nicht mehr umbauen, wie sich gerade die Welt verändert, oder? Sogar Schnelldenker haben große Not, die richtigen Worte zu finden, in die sie ihre Geistesblitze kleiden können. Atemberaubend, in welchem Tempo ein Mikroorganismus die Weltenräume durcheilt! Ja, Virus müsste man sein – in so kurzer Zeit weltweit bekannt zu werden, und das als eher langweiliger Durchschnittstyp in der Welt der Krankheitserreger. Selbst Greta Thunberg hat ein wenig länger gebraucht für ihren medialen Kometenflug und ist jetzt schon verzweifelt um Verewigung im Markensektor bemüht.
Es ist durchaus möglich, dass im globalen Kontext das Virus bald nicht mehr nur der große Serien-Killer, sondern der noch unerkannte Heilsbringer ist. Ein Katalysator ist es in jedem Fall, da die ohnehin bereits prognostizierte Weltwirtschaftskrise nun stark beschleunigt und um ein Vielfaches potenziert wird. Der CO2-Ausstoß wird sich deutlich und spürbar verringern; in chinesichen Metropolen soll man sogar wieder atmen können. Ein Virus ermöglicht etwas, was alle Regierungen dieser Welt in konzertierter Aktion bislang nicht erreicht haben. Selbst in den USA wird es bald nur noch heißen: “Corona first!” Die Mehrzahl der politisch Unliebsamen, der tatsächlichen oder potentiellen Friedensgefährder und Diktatoren liegt altersbedingt im Feld der Risikogruppen deutlich vorne. Auch hier bestünde die Hoffnung, dass es weltpolitisch zu einer sichtbaren Entspannung und Vernünftigung kommt, wenn auch vermutlich nicht zu einer "Bestenauslese" in erwünschtem Format.
Jedoch, die Erkenntnisse und Lernchancen, welche diese Krise bereithalten und bieten könnte, kann ich hier und anderswo noch nicht erkennen. Die zwangsweise entöffentlichten Menschen kommen nicht zur Besinnung, sondern drohen mehrheitlich, diese zu verlieren. Um ein bereits vor der Krise nur bedingt funktionsfähiges Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren, opfert man staatlicherseits Zehn-, wahrscheinlich Hunderttausende von Arbeitsplätzen und ökonomischen Existenzformen und – mindestens so fatal – das für den Bestand einer jeden Gesellschaft unverzichtbare öffentliche Leben. Angesichts der vollmundigen Ankündigung des Wirtschaftsministers, die Corona-Krise werde keinen einzigen Arbeitsplatz vernichten, muss man sich zudem ernsthaft fragen, ob das Virus nicht weitaus gefährlicher ist als bislang angenommen, weil es offenbar auch zentrale Hirnregionen befällt.
Man darf ruhig einmal fragen, ob es nicht völlig genügt hätte, frühzeitig einen cordon sanitaire um Alters- und Pflegeheime zu legen und alle organisch Vorgeschädigten zur eigenen Sicherheit in Quarantäne zu schicken, bis ein geeigneter Impfstoff gefunden wäre? Nun an eine bereits hochgradig verunsicherte und zunehmend hysterische Bevölkerungsmehrheit wohlmeinende Appelle vernunftgeleiteten Handelns zu richten, erscheint mindestens hilflos. Ach, was hätte wohl ein Helmut Schmidt getan, gesagt und empfohlen? Mag sein, dass sein Ruf als Krisenmanager in nicht geringem Maße auf selbstgestrickten Legenden beruhte, doch ich stelle mir gern für einen Augenblick vor, wie er gelassen lächelnd in die Kamera blickt und sein Menthol-Nikotingemisch inhalierend spricht, dass ja auch Rauch immerhin eine desinfizierende Wirkung habe.
Was soll denn eigentlich erst geschehen, wenn einmal Epidemien mit Letalitätsraten von 50% in Europa wüten? Die Wahrscheinlichkeit, dass völlig neuartige und weitaus gefährlichere Viren im globalen Treibhaus, zu dem wir diesen Planeten gemacht haben, ihre Welttournee starten, steigt mit jedem Zehntelgrad des Temperaturanstiegs. Ich wünschte sehr, das alles wäre einfach nur apokalyptischer Phantasieüberschuss!

Mir ist wohl bewusst, dass ich mich in diesem Moment um Kopf und Kragen schreibe. Aber... einer muss es ja schließlich tun, bevor in wenigen Tagen auch die geistige Ausgangssperre verhängt wird. Soll man annehmen, dass auf die Phase der ordnungspolitischen Verschärfung, die wir gerade erleben, erst recht ein Zustand der gesellschaftlichen Anomie folgt? Unwahrscheinlich ist das nicht. Sind Telekom-Aktien die einzigen, die gegenläufig noch im Kurs steigen werden? An welch geheimen Orten lassen sich wenigstens punktuell noch liebe Menschen treffen? Erhalten Berufseinbrecher eine Ausfallentschädigung? Mit diesen Fragen verabschiede ich mich an dieser Stelle - ein Nachgedanke sei noch erlaubt - mit neuem deutschen, pardon, europäischen Gruß: “Heil Corona !” Natürlich imperativisch verstanden, wie in jenem Flüsterwitz, welcher sich einst in Hitler-Deutschland ohne Sicherheitsabstand viral schnell verbreitete. Apropos: Nous sommes en guerre...! Monsieur Macron erklärt, wir seien im Krieg gegen einen unbekannten Feind. Allons enfants de la patrie... Nun erinnert zwar aktuell tatsächlich vieles an vergangen geglaubte kriegsähnliche Szenarien, aber zum einen kennen Virologen diesen Feind bereits recht gut; zum anderen – wiederum pardon – wurde die Kriegsmetapher schon vor zwei Wochen in einer deutschen Talkshow verwendet. Coronal gesehen, ist der historische Bezugspunkt weniger das Deutschland der 1930er und 40er Jahre, sondern - "Heil Dir im Siegerkranz!" - einzig die letzte deutsche Monarchie, das deutsche Kaiserreich, welches bekanntlich 1918 in einem Weltkrieg unterging. Macronisch betrachtend, befinden wir uns ja schließlich in nichts Geringerem als einem neuen Weltkrieg.
Auch der innenpolitische Zustand hierzulande gemahnt verblüffend an alte kaiserliche Zeiten, selbst wenn gute Demokraten das partout nicht wahrhaben wollen. Es wäre dies eine exakte, zudem historisch informierte Situationsbeschreibung gewesen, doch die Ansprache der Bundeskanzlerin begann unglücklicherweise nicht mit dem augenblicklich allzuwahren Satz: “Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Patienten.” Das Ende ist hinlänglich bekannt. In guter alter Sündenbocktradition durfte die SPD dann den in den Dreck gefahrenen Karren steuern und die Verantwortung übernehmen. Mal sehen, wie die Geschichte diesmal ausgeht: der Karren aber dürfte nur höchstwahrscheinlich ein Rollator sein.

Ach, es ist so vieles vorstellbar in diesen pandemisch-pantokratischen Zeiten, zum Beispiel auch ein schöner, vorläufiger Schlusssatz wie dieser: “Stell dir vor, es ist Krieg und alle gehen raus.”

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.03.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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