Hans K. Reiter

Filtertütenkollaps

In jener Zeit, als das Klopapier rapide zur Neige ging und die begierig lauernden Kunden in den Supermärkten landauf, landab in traurig entleerte Regale blickten, kam es zum Kollaps der Filtertüten.

Was bis zu diesem Zeitpunkt kaum jemand für besonders wichtig erachtete, war die Tatsache, dass Klopapier und Filtertüten Bestandteile gemeinsamer Art besitzen.

Nur so ist es zu erklären, dass weder in den Protokollen des Deutschen Bundestages noch der Länderparlamente auch nur der kleinste Hinweis auf diesen Zusammenhang zu finden ist. Unsere grundgesetzlich bestellten Volksvertreten haben hierüber also weder debattiert noch abgestimmt.


Ein Fehler mit weitreichenden Folgen, wie historische Untersuchungen belegen.

 

Professor Dr. Dr. Baltasar Wütesam, Lehrstuhlinhaber der renommierten Bad Kleingeist Universität in Berlin Kreuzberg, stellte den Zusammenhang als erster fest und veröffentlichte die Ergebnisse seiner Forschungen im weltweit anerkannten Wissenschaftsjournal Der Fexer.

Demnach kam es im Sommer des untersuchten Zeitraumes zu einem Kollaps der kaffeeproduzierenden Länder weltweit, der wiederum auf die Nichtkenntnis der bereits erwähnten Kausalität zwischen Klopapier und Filtertüten zurückzuführen ist.

Was war geschehen?

Wütesam fasst die wichtigsten Eckpunkte seiner Forschungsergebnisse in einer sog. Executive Summery wie folgt zusammen:

Führende Papierwarenhersteller haben aufgrund der plötzlich eingetretenen, allerdings durch nichts begründeten, enormen Nachfrage an Klopapier die Fertigungskapazitäten ihrer Produktionslinien um ein Mehrfaches erhöht. Die hierfür benötigten Ressourcen an speziellen Rohstoffen wurden kurzerhand der Herstellung von Filtertüten entzogen.

Über einen Zeitraum von wenigen Wochen, hätte diese Entscheidung keine spürbaren Auswirkungen zur Folge gehabt, da die Nachfrage aus den Lagerbeständen hätte bedient werden können.

Unberücksichtigt war geblieben, weil auch in dieser Hinsicht Zusammenhänge nicht erkannt wurden, dass bedingt durch die Proklamation der Bundes- und Landesregierungen, wonach Restaurants, Cafés und Dienstleistungsbetriebe zu schließen waren, die Nachfrage an Filtertüten zum Kaffeeaufguss im häuslichen Bereich ansteigen würde.

Selbstverständlich hatte niemand daran gedacht, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, bis ein Großteil der privat betriebenen Espresso- und Kaffeemaschinen mangels verfügbarem Reparaturservice funktionsunfähig sein würden und die Menschen deshalb auf die altbewährte Methode des Kaffeebrauens mittels Filteraufsatz und Filtertüte zurückgreifen würden.

Die Lagerbestände an Filtertüten, aller Größen übrigens, leerten sich folglich rasant. Mit Nachschub war jedoch wegen der Umsteuerung auf Klopapier (siehe oben) nicht zu rechnen.

Was zunächst nur linear einzelne Haushalte betraf, fußte schließlich in einem dramatisch, exponentiell verlaufenden Anstieg des Verzichts auf Kaffee.

War erst eimal im Wesentlichen nur Deutschland davon betroffen, griff dieser eklatante Einbruch in der Nachfrage nach Kaffee innerhalb weniger Wochen auf ganz Europa und in weniger als zwei Monaten schließlich auf die gesamte Welt über.

In Peru, Paraquay, Chile, Brasilen usw. stauten sich die Ernten an Kaffeebohnen zu hunderttausenden von Tonnen. Und schon sehr bald folgten die Kaffeeländer aus Afrika und anderen Teilen der Welt.

Transportflugzeuge blieben am Boden, Containerschiffe im Hafen. Ganze Wirtschaftszweige der Zulieferindustrien brachen ein. Niemand brauchte mehr Zucker in der gewohnten Menge, Milch und Sahne verkamen in den Molkereien, die Milchwirtschaft lag danieder, die Viehzüchter rauften sich die Haare. Spediteure waren ebenso betroffen wie Fahrzeughersteller und Produzenten von Maschinen und Zubehör jeglicher Art. Ja sogar Bäckereien und Konditoreien bekamen es zu spüren. Kein Kaffee, keine Brötchen und Semmeln und schon gar keine Hörnchen, Croissant und Gipferl, egal ob in München, Paris, Zürich oder Wien.

 

Professor Dr. Dr. Baltasar Wütesam wurde für seine herausragende wissenschaftliche Grundsatzarbeit mit dem Nobelpreis der Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet.

„Sehen Sie, meine verehrten Damen und Herren“, sagte er in seiner Dankesrede, „heute gibt es wieder Klopapier und auch Filtertüten, mehr als wir verbrauchen können, doch, so frage ich, haben wir etwas gelernt? Der mir verliehene Preis ehrt mich, aber er wird nicht verhindern, dass auch weiterhin fundamentale Zusammenhänge nicht erkannt werden. Verschwenden Sie nur kurz einen Gedanken auf unsere globale Welt, die Strukturen, die sie zusammenhält, in denen wir uns bewegen und vergleichen sie dieses Gebilde mit den kleinkarierten Denkmustern so mancher Möchtegerns, seien Sie Staatspräsidenten oder Lokalplauderer und Sie werden verstehen, was ich meine.“

 

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