Klaus Mallwitz

Eine Mutterliebe 1964

Liebe Staatsanwaltschaft, lieber Herr Richter,
hoch verehrter Rechtsanwalt,
meine lieben Gerechtigkeitskenner,
werte Gutgläubige,
 
die Reihenfolge dieser kurzen Anrede hat nichts mit einer Wertung Ihrer Fähigkeiten zu tun, sondern ist rein zufällig von mir so aufgestellt worden.
Ich gehe nun ganz direkt und sorgenfrei zu meiner Aussage zum Tathergang über und bin sicher, Sie werden mir nach meinen Ausführungen zujubelnd den Freispruch, eine Aufwandsentschädigung und einen Sonderurlaub in der Karibik zusprechen. An dieser Stelle möchte ich Sie gerne schon mal im Voraus mit meinem glaubwürdigen, aufrichtigen Dank an Sie alle ein bisschen verwöhnen! Sie haben es verdient!
Nehmen Sie sich nach der Aufnahme und Verarbeitung meiner Aussage viel Zeit. Ich setze niemanden unter Druck. Wichtig ist allein, dass sie alles tun, um mein Herz inklusive Geldbeutel zu erfreuen.
Falls Sie zur richtigen Urteilsverkündung in der Lage sind, und damit rechne nicht nur ich, sondern auch alle Mitmenschen, denen ich bereits tausend Mal meine Kinderliebe vor Augen geführt habe, erhalten Sie von mir ein weiteres Dankeschön, nämlich einen vollständig ausgeschriebenen Dankessatz, schön ausführlich auf einem frisch gewaschenen DIN A 5 Blatt formuliert und per Post (Porto übernehme ich!!!) an Sie gesendet. Mir macht Danke schreiben Spaß! Und das sogar handschriftlich. Und vor allem: ohne jeden Rechtschreib- und Kommafehler! Da staunte schon meine Mutter. Staunen auch Sie!
 
Ich starte nun kurz meine Aussage, die Sie alle, die Sie hier körperlich und ganz sicher auch geistig anwesend sind, sicher mit Standing Ovation in der Länge von mindestens zweieinhalb Stunden quittieren werden. Hier ist sie:
 
Mein ausgeprägter Sinn für Sauberkeit und Ordnung war schon immer in der ganzen Nachbarschaft und ist sicher auch heute noch bei meinem vorgestern gegen 22:47 Uhr versehentlich verstorbenen Mann Ralf Hans-Helmut Hermann (91) mehr als bekannt, ja dieser Sinn steht mir laut Verfassungsgericht ins Gesicht geschrieben. Natürlich auch ohne jeden Rechtschreibfehler. Ich legte schon immer Wert auf Null Fehler Eins.
 
Wöchentlich 49 Mal, also im Durchschnitt sieben Mal täglich, reinige ich das Geschirr, putze den Fußboden, das Klavier, das Rommee-Spiel und meine achtjährige Tochter Gitti Renata-Adelheid, letzteres Stück gespendet von meinem 4. Ehemann, also von dem von mir bereits hier vor Ort erwähnten Ralf Hans-Helmut Hermann.
 
Am Freitag, 01. April dieses Jahres war ich wie selten zuvor gut gelaunt. Ich öffnete gegen 22:38 Uhr zum siebten und letzten Mal dieses sonnigen Tages die Spülmaschine. Mit beiden Händen entnahm ich ihr sämtliche Tassen und andere Kleinigkeiten, trocknete alles mit einem Original-Geschirrhandtuch ab und zog dann, wie immer vorsichtig, meine Tochter aus der Maschine heraus. Ihr war wie immer etwas schwindelig. Sie verträgt den Schleudergang nicht so richtig. Ich legte sie also zunächst für zwei Minuten auf den angewärmten Grill, bevor ich sie mit einem Spezialhandtuch, angefertigt von mir persönlich aus Strumpfresten meines verstorbenen Ehemannes, abtrocknete. Anschließend hängte ich sie wie gewohnt über die Wäscheleine im Hinterhof auf. Da ich seit dem Selbstmord meines 3. Ehegatten vor sechs bis acht Jahren etwas größeren Wert auf Sicherheit lege, habe ich mich für die Sicherheit meiner Tochter besonders eingesetzt. Ich reparierte innerhalb weniger Minuten drei gebrauchte, auf dem Flohmarkt günstig erworbene Wäscheklammern mit Tesafilm und Spucke, die ich dann als zusätzlichen Halt für meine Gitti einsetzen konnte.
 
Schon nach anderthalb Stunden war meine Tochter an der Leine hängend getrocknet, so dass ich unverrichteter Dinge sofort den Teppichklopfer De Luxe aus der Abstellkammer herausholen und mein frisch aussehendes Gitti-Schätzchen abstauben konnte.
Zu meiner Verwunderung lösten sich bereits nach dem 22. Schlag von insgesamt 68 Schlägen alle vier Wäscheklammern aufgrund meiner außergewöhnlichen Schlagkraft. Gleichzeitig stach eine Wespe aus Bad Kissingen fünf Mal in die Leine hinein, so dass neben den Wäscheklammern nun auch die Tesafilm-Streifen und die Leine ersetzt werden mussten. Aber das erledige ich später, dachte ich. Hier schien sich nun erst einmal alles von einer auf die andere Sekunde zu ändern. Die kleine süße Gitti fiel allerdings nicht senkrecht direkt den Wäscheklammern hinterher, in den von mir angelegten und ebenfalls nur von mir mit Gemüse und Fleisch versorgten, herrlich-weichen Misthaufen hinein, sondern wurde wegen ihres leichten Gewichts mittels Orkan in Windstärkengröße 8 gen Richtung Nord-West, direkt in die Weser hinein geweht.
Folgerichtig eilte ich schnellen Schrittes in den Keller, nahm mir eine der stabilen, auf dem Flohmarkt erworbenen Angeln und rannt zum Fluss, um heldenhaft und standesgemäß meine Tochter zu retten. Zu meiner Überraschung, ich war wirklich zunächst sehr verwundert, war Gitti bereits unter Wasser, sogar schon in ertrunkenem Zustand, so dass ich die Angel nicht mehr auswerfen musste. Die blieb also immerhin trocken. Sie konnte daher, ohne sie abtrocknen zu müssen, in den Keller zurückgetragen werden. Diese Arbeit hat dann später mein damals noch lebendiger Ehemann freundlicherweise für mich übernommen.
Glücklicherweise kam gerade meine Nachbarin Myriam Michaela Schatzmoor (54), geboren 1920 in Staffelstein um die Ecke. So konnte ich ausgelassen vor ihren Augen die Tränen aus meinen persönlichen Augen heraus kullern lassen und sogar noch die kurz zuvor verdurstete, nein, ich meine, ertrunkene Gitti in meine ganz persönlichen Arme nehmen. Das gelang mir so überzeugend, dass mir selbst die größten Nichtsnutze einen herzlichen Applaus gegönnt hätten.
Nun ist meine Nachbarin allerdings etwas anders gestrickt. Sie beherrscht die Eifersucht, wo es nur geht! Freilich zeige ich aufgrund meiner guten Erziehung durch meine ehemalige Mutter Verständnis für eifersüchtiges Verhalten. Es ist ihr, also meiner Nachbarin halt ganz im Gegensatz zu mir nie gelungen, fünf Ehemänner, ja nicht mal einen einzigen zu ergattern. Aber jetzt muss ich ihr trotzdem einmal ganz hoch anrechnen, dass sie sich hier als Zeugin in meinem Fall zur Verfügung stellt. Sie kann aussagen, dass ich immer wieder, schon seit zwei Monaten beinahe jede Woche ein Mal, meine Tochter geliebt habe. Mit Zucht und Ordnung! Frau Schatzmoor hat mit ihren eigenen Augen gesehen, und sie trug sogar eine Lesebrille vor Ort, dass ich mit einer echten, stabilen Angel zur Weser gelaufen bin! Sie wird im Anschluss meines kurzen, ausführlichen Vortrags diese Aussage bekräftigen, weil sie vermutet, dass ich mich später mit einer Zahlung von 20 Euro auf ihr Konto erkenntlich zeige. Sie wird bestätigen, dass ich mich täglich meiner Tochter gegenüber hilfsbereit gezeigt habe. Nach den (von außen betrachtet) nicht von jedem Staatsbürger als pädagogisch sinnvolle Erziehungsmaßnahme anerkannten rhythmisch harmonisierenden Tracht Prügeln, die Gitti von mir erhalten hat, erhielt sie nicht nur Trost in Form von Streicheleinheiten der gehobenen Klasse, ausgeführt von meiner rechten Hand, sondern auch eine Krankmeldung für die Schule. Vom Sportunterricht durfte ich sie stets aufgrund ihrer Narben und Blutungen befreien. Dafür möchte ich an dieser Stelle auch noch mal meinen Dank an die pflichtbewussten Lehrerinnen und Lehrer richten, die ihr Bestes gaben, die Verwundungen meiner Tochter geheim zu halten. Ich kann verstehen, dass Gitti manchmal traurig war, wenn ihre Mitschülerinnen sie fragten, wie sie an so viel Blut gekommen sei. Die Lehrkräfte haben erklärt, dass Gitti beim Trinken eines Blutorangensaftes nicht aufgepasst hätte. Diese pädagogische Höchstleistung ist anerkennenswert, und ich erkenne das sogar hochhaushoch an, sogar noch höher!
Herr Richter, ich bin unschuldig! Mein begrüßenswertes Engagement in Sachen Kinderliebe verdient auch Ihren Respekt! Zeigen Sie Haltung! Urteilen Sie, aber verurteilen Sie nicht!
Es ist meines Erachtens, und ich bin überzeugt davon, dass sie das alle genau so sehen wie ich, unmöglich, ein totes Kind mit einer Angel aus dem Fluss raus zu kriegen. Und eine Schaufel hatte ich nicht zur Verfügung. Ich war vor Ort und scheiterte. Mein Kind war schneller. Ich plädiere auf Freispruch! Dann kann ich vielleicht schon morgen meinen nächsten Ehemann suchen Wer suchet, der findet! Und wer weiß, vielleicht entdecken Sie morgen in Ihrem Briefkasten eine Note, eine echte, waschechte Banknote. Die Höhe darf ich noch nicht verraten! Vielleicht gönnen Sie sich dann auch einen Teppichklopfer. Wenn Sie Kinderbesitzer sind, und wenn Sie Ihren Besitz lieben, sollte der Ausklopfer nicht fehlen! Aber vergessen Sie die Angel nicht! Für den Notfall.
Und vielleicht machen Sie dabei gleich Nägel mit Köpfen. Im Supermarkt gibt es brandneue Schaufeln im Angebot. Eine reicht vollkommen aus.
Denken Sie auch an kräftiges Tesafilm. Oder nehmen Sie besser gleich Paketband! Doppelseitiges! Dann wickeln Sie Ihr Kind doppelt um die Leine rum.
Einmal links, einmal rechts. Sicherheit geht vor!
Nun überlegen Sie nicht so viel. Urteilen Sie, bevor ich es mir anders überlege!
Ich warte nicht lange!
Muss ich erst den Teppichklopfer holen?
 
Beeilung!
Noch hat der Supermarkt auf!
Noch kann alles klappen!
Sie schaffen das!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.03.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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