Claudia Savelsberg

Ein kleines Wunder

Ich musste meinen geliebten Sammy, der dreizehn Jahre treu an meiner Seite war, über die Regenbogenbrücke gehen lassen. Meine Trauer war unermesslich, ein Stück meines Herzens war mit ihm gegangen. Ich konnte nicht mehr klar denken.

Aber eins wusste ich, ich wollte wieder einen Hund an meiner Seite; denn „ein Leben ohne Hund ist möglich, aber sinnlos.“ Ich weiß nicht, wer diesen klugen Satz gesagt hat, aber auf mich trifft er zu. Einer Eingebung folgend, schrieb ich eine Mail an ein Tierheim: „Ich suche eine Fellnase.“ Bereits eine Stunde später bekam ich einen Anruf, und eine Mitarbeiterin des Tierheims erzählte mir von einer fünfjährigen Parson-Russell-Hündin mit dem Namen Kiwi. Die Kleine stammte aus einer „Sicherstellung“, sie wurde aus schlechter Haltung befreit. Dann war sie bei einer Pflegefamilie, wo sie sich aber nicht wohl gefühlt hatte. Ihr Foto war noch nicht auf der Homepage des Tierheims, aber sie stand zur Vermittlung frei. Das alles erzählte mir die engagierte Mitarbeiterin und fügte voller Elan hinzu: „Frau Savelsberg, als wir Ihre Mail gelesen haben, dachten wir alle sofort, dass Kiwi und Sie gut zusammen passen.“ Ich war überrascht. Das klang alles zu gut, um wahr zu sein. Dann fragte ich, wann ich Kiwi kennenlernen könnte. Wir verabredeten gleich einen Termin für den nächsten Tag.

Meine Freundin Melanie fuhr mich zum Tierheim. Ich war nervös und redete viel, was sie mit Gelassenheit ertrug. Plötzlich plagten mich Zweifel. Könnte ich so kurz nach dem Tod von Sammy wieder einen Hund zu mir nehmen? Würde ich damit meinen geliebten Sammy nicht verraten? Melanie beruhigte mich in ihrer liebevollen Art. Natürlich würde ich Sammy nicht verraten, wenn ich wieder einen Hund zu mir holte; denn Sammy würde immer einen Platz in meinem Herzen haben.

Im Tierheim wurde mir Kiwi dann vorgestellt, und sie hangelte sich gleich an meinem Hosenbein hoch, weil sie gestreichelt werden wollte. Die Mitarbeiterin des Tierheims gab mir die Leine, damit wir Gassi gehen konnten. Kiwi schein nicht begeistert zu sein, ging recht zögerlich neben mir her. Sie wollte wieder zurück in die vertraute Umgebung des Tierheims. Ich fand die Kleine entzückend, und es war ein schönes Gefühl für mich, wieder einen Hund an meiner Seite zu haben. Wie sollte ich mich entscheiden? Ich fragte etwas hilflos meine Freundin Melanie, ob ich Kiwi zu mir nehmen sollte. Melanie sagte nichts, weil sie mich nicht beeinflußen wollte. Dann schaute ich auf Kiwi, die sich wieder an meinem Hosenbein hoch angelte und mich fast liebevoll ansah. Dieser Blick rührte mich. Ich sah Melanie an: „Darf ein Mensch spontan seiner inneren Stimme folgen?“ Melanie nickte stumm. Damit war die Entscheidung gefallen, und ich durfte Kiwi sofort mitnehmen. Auf dem Rückweg saß Kiwi ruhig im Fußraum des Beifahrersitzes. Manchmal stellte sie ihre Vorderpfoten auf den Sitz, weil sie zu mir auf den Schoß wollte. Ich streichelte ihren kleinen Kopf, damit sie Vertrauen zu mir aufbauen konnte.

Bei mir zuhause erkundete sie vorsichtig das neue Revier. Ich stellte ihr natürlich sofort Fressen und Wasser hin und sprach ruhig mit ihr. Sie sollte sich an meine Stimme gewöhnen. Dann wurde es Zeit für den ersten gemeinsamen Spaziergang. Kiwi ging bereitwillig mit, ganz anders als im Tierheim. Sie war zwar noch ein wenig unsicher, aber nicht ängstlich. Ein Bekannter hielt mit dem Fahrrad neben uns und schaute Kiwi liebevoll an, dann sagte er zu mir: „Claudia, du und Sammy, ihr seid ein Traumpaar gewesen. Aber glaub' mir – du und die Kleine, ihr werdet auch ein Traumpaar. Das seh' ich jetzt schon.“ Ich war etwas verwundert, maß seinen Worten aber keine Bedeutung zu. Wenige Minuten später trafen wir einen Nachbarn, den ich längere Zeit nicht mehr gesehen hatte. Er beugte sich zu Kiwi runter und streichelte über ihren Kopf, dann fragte er mich, wie lange ich die Hündin denn schon bei mir hätte. Als ich ihm sagte, dass ich Kiwi erst vor ein paar Stunden aus dem Tierheim geholt hatte, konnte er es nicht glauben: „Aber die Kleine geht doch ruhig an deiner Seite. Und sie schaut dich an. Das ist erstaunlich.“ Jetzt war ich doch etwas irritiert. Die Mitarbeiterin im Tierheim hatte gesagt, dass Kiwi und ich gut zusammen passen würden, und nun wurde es mir plötzlich auch von anderen Menschen auf den ersten Blick bestätigt. Ich konnte es einfach nicht glauben.

Am nächsten Tag musste ich Kiwi allein zuhause lassen, weil ich Besorgungen zu erledigen hatte. Im Tierheim hatte man mir nicht sagen können, ob sie alleine bleiben könnte oder aus Angst und Unsicherheit bellen würde. Vorsorglich ließ ich das Radio an, damit Kiwi eine Geräuschkulisse in der leeren Wohnung hatte. Als ich wieder nachhause kam, lag Kiwi entspannt auf dem Sofa, und erst als ich sie ansprach, merkte die Kleine, dass ihr Frauchen wieder zurück war.

Beim Nachmittagsspaziergang leinte ich sie ab. Kiwi rannte los, ließ sich aber von mir wieder abrufen und anleinen. Etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. Viele Menschen hätten sich vermutlich nicht getraut, einen Hund aus dem Tierheim bereits am zweiten Tag ab zu leinen und frei laufen zu lassen; aber ich hatte eben Vertrauen in Kiwi und in meine Erfahrung mit Hunden gesetzt.

Ich merkte schnell, dass Kiwi nicht viel von der Welt kennen gelernt hatte. Sie sprang erschreckt zur Seite, wenn Autos oder Züge vorbei donnerten. Eine fette Krähe, die am Wegesrand nach Futter pickte, war ihr nicht geheuer. Als sie zum ersten Mal die Geräusche der Waschmaschine und des Haartrockners hörte, lief sie etwas aufgeregt auf und ab. Aber die vielen neuen Eindrücke und vor allen Dingen die Gerüche, die sie bei unseren Wald-Spaziergängen aufnahm, liebte sie sofort.

Kiwi ist jetzt fast vier Wochen bei mir. In dieser relativ kurzen Zeit hat sie sich zu einer selbstbewußten Hündin entwickelt, die freudig und aufmerksam die Welt erkundet. Sie genießt die Spaziergänge, die Streicheleinheiten und ihr neues Zuhause. Und sie hat schnell begriffen, dass ihr Frauchen ihr Sicherheit und Geborgenheit gibt. Eine Erfahrung, die sie vermutlich in ihrem Leben leider noch nie gemacht hat.

Natürlich vermisse ich meinen Sammy, der immer einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen haben wird, aber ich bin glücklich, dass ich Kiwi zu mir genommen habe; denn sie bereichert mein Leben.

Wenn ich heute zurückdenke, hat sich alles gut gefügt. Meine Freundin Sabine hatte einmal zu mir gesagt: „Irgendwo wartet schon ein kleiner Hund auf dich, den Gott für dich bestimmt hat.“ Meine Freundin Christiane hatte es so formuliert: „Dein Sammy hat sicher schon seinen Nachfolger für dich ausgesucht.“ Ich bin ein reflektierter Mensch, bisweilen sogar nüchtern. Aber wenn ich daran denke, wie Kiwi und ich zueinander gefunden haben, dann bin ich geneigt, an ein kleines Wunder zu glauben.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.05.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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„Stellen sie sich vor, in einer fernen Zukunft befindet sich die Erde und eigentlich das gesamte bekannte Universum unter der Faust einer fremden und äußerst bösartigen Spezies namens Tenebridd. Das Leben, so wie wir es im Augenblick kennen existiert seit zwei Jahren nicht mehr. Die Erde ist dem Erdboden gleich gemacht, kein Standard, keine Sicherheiten mehr und nur noch das Gesetz der Eroberer. Und dennoch, eine Handvoll Menschen, angetrieben von dem Wunsch der Freiheit, kämpfen unermüdlich um das Überleben des Planetens und der restlichen Menschheit.“

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