Hans Fritz

Schicksal früher Siedler auf Tambosirk


Sechshundert Erdenjahre nach der Ankunft des Menschen auf dem virtuellen Exoplaneten Tambosirk glauben die Bewohner alle Regionen zur Genüge erforscht zu haben. Bis ein Kartograph mit einer vom Sicherheitsministerium freigegebenen Luftaufnahme für eine Sensation sorgt. Das Bild wurde über dem Waldkontinent von einem Helikopter aus gemacht und ist trotz einer beachtlichen Distanz gestochen scharf.

Dreihundert (irdische) Kilometer von der Nordküste landeinwärts steht ein nach oben offener, ockerfarbener Rundbau von geschätzten vierhundert Metern Durchmesser. Die Höhe könnte etwa zwanzig Meter betragen, die 'Dicke' des Mauerwerks drei Meter. Auffallend ist der spärliche Pflanzenwuchs des ummauerten Areals, jedenfalls scheinen die für den Regenwald charakteristischen Bäume mit ihren blaugrünen, weit ausladenden Kronen zu fehlen.

Nach heftigen Diskussionen über Sinn und Zweck einer Expedition, beauftragt das Institut für Altertumsforschung eine fünfköpfige Mannschaft den Rundbau auf dem Landweg ausfindig zu machen und zu untersuchen. Nach einer weiteren Debatte sollten die Leute jedoch von einem Helikopter aus zu einer vor dem Mauerwerk ausgesparte Lichtung abgeseilt werden. Mittlerweile ist bekannt geworden, dass bereits vor Jahren ein Forscherehepaar zu Fuss zum Rundbau aufbrach, inzwischen aber als verschollen gilt.

Der Rundbau

Wie sich auf den ersten Blick herausstellt, ist das Gemäuer aus gebrannten Ziegeln erbaut worden. Das Material könnte von Menschenhand an der Steilküste im Norden gebrochen worden sein. Aber wie über dreihundert Kilometer durch einen Dschungel transportiert?

Die Umgehung des Bauwerks lässt keine Öffnung erkennen, durch die Menschen hätten eintreten können. Möglicherweise gab es Leitern, Rampen oder dergleichen aus Holz, die nun zerfallen sind. 

In Ermangelung eines geeigneten Zutritts müssen per Funkgerät die Helikopter nochmals aufgeboten werden, um Strickleitern und Haken abzuwerfen, mit deren Hilfe die Erkunder schliesslich ins Innere des Rundbaus hinabsteigen können.

Lange müssen die Forscher nicht suchen, bis sie auf Skelette stossen, die zum Teil von modernden Pflanzenresten bedeckt sind. Nach einer ersten groben Einschätzung handelt es sich um Individuen üblicher menschlicher Abmasse, soweit es Alter und Geschlecht betrifft. Die Skelette zeigen keine Spuren von äusserer Gewalteinwirkung. Vergleichbare Funde wurden bislang weder auf dem Waldkontinent noch auf den übrigen Kontinenten gemacht. Es wird vermutet, dass einst Vertreter einer hochtechnisierten Welt auf Tambosirk landeten und den Rundbau mit Hilfe mitgeführter Maschinen errichteten. Tatsächlich entdeckten vor acht Jahren Fischer an der Westküste des Waldkontinents seltsam geformte Metallstücke, die weder tambosirkischen noch irdischen Ursprungs sein dürften. Der Fund wurde zunächst geheim gehalten um eine Invasion von Schatztauchern zu verhindern.

 

Gerüchte

Kaum sind die Forscher zu ihrem Quartier auf dem Hauptkontinent zurückgekehrt, kursieren in den Medien die abenteuerlichsten Berichte über den Rundbau und den makabren Fund. Mit Feuereifer widmen sich Labore der Begutachtung der Skelette. Die Analyse einer Knochensubstanz lässt auf ein Alter von zwölftausend Jahren schliessen, mit ein paar unbedeutenden Abweichungen ins Plus oder Minus.

Während die Diskussionen immer heftiger geführt werden und nicht selten auszuarten scheinen, könnte eine Kunde vom Planeten Aetaulor Licht ins Dunkel bringen. Es handelt sich um ein Buch aus dem Nachlass des wohl ersten Erdenmenschen, der jenen Planeten betreten hatte.

Vor ein paar Jahrhunderten schreibt der Erdenbewohner, der auf Aetaulor und einem benachbarten Planeten namens Tjilumorg gelandet sein will, in seinen Memoiren etwas höchst Interessantes. Demnach sollen vom Aetaulor Menschen zu einer Erkundungsreise zum Tambosirk aufgebrochen sein, die, mit einem Raumtransporter dort angekommen, sich vor irgendetwas wie beispielsweise ‘wilde’ Tiere in Sicherheit bringen mussten und sich zwangsläufig in ein Ghetto zurückzogen. Also errichteten sie den Rundbau. Nach der neuesten Deutung der Schrift durch Altphilologen wird jedoch klar, dass der Autor selbst erhebliche Zweifel an seiner Theorie hat und sie seltsamerweise im letzten Kapitel gar als Hirngespinst abtut. Dann schreibt der Literat recht glaubwürdig, dass nach seiner Kenntnis die Aetaulorer sich per Gesetz verpflichtet hätten, niemals Gestirne ferner Galaxien zu erobern. Somit können die Tambosirker insofern aufatmen, als die Gefahr einer Invasion der Aetaulorer fürs Erste einmal gebannt sei. «Das aetaulorische Damoklesschwert ist entschärft», meldet ein täglich mit reichlich ausgeschmückten Sensationsmeldungen aufwartender Nachrichtendienst. Bleibt nachzutragen, dass die Erde bisher von einem Einfall der Aetaulorer verschont geblieben ist.

Pojinklsa

Die Analyse von Skelettproben ergibt einen in die Knochensubstanz eingelagerten Fremdstoff, nämlich ein für den Menschen äusserst gefährliches Nitril. Es gibt auf Tambosirk den weit verstreuten Pojinklsa-Strauch mit seinen halbmeterlangen Schoten und bohnengrossen roten, ebenso wohlschmeckenden wie hochgiftigen Samen. Letztere wurden allerdings schon ersten Siedlern irdischer Herkunft in Unkenntnis der fatalen Wirkung zum Verhängnis und es gab Todesfälle. Das hat wesentlich zu Errichtung des ‘Institut für Ernährungsforschung’ beigetragen.

Möglicherweise hatten die Erbauer des ‘Rondells’ ein Festmahl zubereitet, wobei die Pojinklsa-Bohnen eine wesentliche Zutat waren.

Die Bewohner des Tambosirk leben nun mit der Gewissheit, dass vor der Ankunft des Erdenmenschen Menschen eines anderen Planeten hier ihr Glück versuchten und wahrscheinlich durch ein Gift zu Tode kamen. Auf einer zufällig entdeckten Granittafel, die in etwa zwei Meter Höhe ins Mauerwerk des Rundbaus eingefügt ist, ist eine Schote des Pojinklsa-Strauchs eingraviert. Der noch schwach lesbare Text darunter wird noch Generationen von Sprachwissenschaftlern beschäftigen.
 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.05.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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