Bauer Beate Loraine aus dem Buch "Lebensfarbpalette"
Der unsichtbare Gast
(der Tod)
Das kleine überschaubare Zimmer blickt mit seinen Fensteraugen hinaus in den grünen Park. Ein segensreicher Spruch begrüßt einen an der Türe. Rechts davon befindet sich das Badezimmer. Lädt nicht ein zum Ebenenwechsel. Leise trete ich ein und begrüße freundlich meinen Vater. Im stillen vorbeiziehenden Schlaf bemerkt er meine Anwesenheit. Die mitgebrachte englische Duftrose stelle ich an seinen Tisch, damit er seine Lieblingsblume wahrnimmt.
Liebevoll drücke ich seine schmal gewordene Hand. Streichele ihn. Meine Mutter kommt später hinzu. „Wo bin ich?“ fragt er. „Paps, du bist im Krankenhaus“, antworte ich. „In Stuttgart?“ „Nein, im Diakonissenkrankenhaus in Augsburg.“
Sein Blick sucht ratlos in meinem Gesicht nach Antwort. „Ich bin im Zug!“ Paps, in welchem Zug?“ „In einem normalen Reisezug. Sitze im Abteil.“ „Hast Du einen schönen Fensterplatz?! Er überlegt kurz. Ja! „Gut – so siehst Du alles Schöne von der Landschaft!“ Schwerer sinkt er ins Kissen zurück. Sein Handdruck ist kurz und kräftig. Vergewissert sich meiner Nähe! Atmet gleichmäßig ruhig. Angstvolle Verzweifelung spricht aus dem Gesicht meiner Mutter. Nehme diesen kurzen Notfaden und beginne: „Weißt Du noch – Papschi – als Du mit Mutti diese wunderschöne Kanadareise unternommen hast. Vancouver, Niagarafälle und Banf. Da fallen mir Bilder ein von Butchers Garden. Blumen, Farben und bilddurchströmende Düfte in üppigsten Formen!! Eine Blumenoase - wie vom lieben Gott persönlich erschaffen!“ Mutti fängt den Fadenball auf und erzählt von dieser einzigen großen Reise die sie gemeinsam erlebten.
Danach folgt Stille. Abwechselnd mit heftigen Schmerzattacken meines Vaters. Mutti rinnen Tränen herab. Furcht breitet ihren dunklen Samtmantel über uns! Ruhig lese ich aus einer Traumreisegeschichte beiden vor. Ein wenig Entspannung zeichnet sich ab. Die Zeit schleppt vollgepackt schwer übers Zifferblatt. Angst kriecht von unseren Körperwänden und dem Bettlacken merklich hoch.
Da spüre ich das erste Mal den unsichtbaren Gast. Schaut interessiert vorbei –schenkt uns Zeit. Schweigend und mehr wissend als wir. Muntere Mutter auf mit ihrem Mann zu sprechen. Zu vergeben. Liebe – winkelt und knickt aus fast vergessenen Sackgassen heraus. Finden den Weg über die Lippen ans Ohr. Plötzlich sitzt Vater aufrecht im Bett, sieht uns an – „ich will nicht sterben!“ Zuerst zaghaft leise, danach laut bestimmend. Erzählt – all seine Kraft zusammen nehmend von der Liebe! Zu ihr, zu mir und zu meiner nicht anwesenden Schwester. Umarmt jede einzeln mit einer nie dagewesenen INNIGKEIT! Herzpochen erschallt tief pulsierend im Zimmer. Erinnerungen schwelgen zwischen diesen Dimensionen in feinsten Zellstaubteilchen hin und her. Besonderer Reichtum wird ausgetauscht! Findet neue Besitzer. Als tiefer Schlaf der Erschöpfung meinen Vater aufs Kissen niederdrückt. Sein röchelnder Atem durchdringt die Stille des Raumes. Mutter legt kraftlos eine Pause ein und geht.
Setze mich neben Paps, streichle zart seine Hand und beginne ihm von Gott zu erzählen. Gott wie ich ihn erlebe, spüre und wahrnehme. Im Gestern und HEUTE. Der unsichtbare Gast betritt das Zimmer, sein kühler Hauch streift vorüber. Sieht in unsere Gesichter, unsere Herzen. Wortlos lässt er uns wieder zurück. Unruhe und Angst treiben ihr Unwesen mit Vater. „Paps – erinnerst Du Dich an meinen schweren Fahrradunfall? Habe ich Dir je erzählt, was nach dem Aufprall geschah? Das Auto erfasste mich mit rasender Geschwindigkeit, katapultierte das Rad und mich Kopf voraus auf den Betonboden! Harter dröhnender Aufschlag! Schwarzer Teppich verschleierte die Augen.
Mein Körper nicht gewahr! Stimmen hörbar – jedes einzelne gesprochene Wort klar verständlich. Wo war ich? Blickte mich selbst von oben an! Dreht mich verwundert um. Ging über einen wunderschönen grünen Weg ins Licht! Umhüllt von einer besonderen Liebe und tiefem Frieden – wie nie zuvor! Das Licht blendete nicht, warm tauchte es mich ein! Leicht und vollkommen sicher ging ich den nächsten Schritt. Als sanft eine Stimme sagte: „Beate, was tust Du hier?“ Natürlich suchte ich blickend die Gestalt. Niemanden konnte ich sehen. Schüttelte mich verwundert und trotzdem vertrauend.
„Beate, Deine Zeit ist nicht diese Zeit! Konzentriere Dich!“ Paps – ich könnte Dir genau diesen magischen Ort beschreiben. Faszinierend schön! Wohltuend. Vollkommenes Glücksgefühl durchflutet mich. Soviel LIEBE! Nein – Deine Zeituhr läuft! LEBE!“ Und als ich aufblickte sahen meine Augen direkt in die Augen des behandelnden Arztes im Krankenhaus. Überrascht und staunend nahm ich mich selbst wieder körperlich wahr.
„Weißt Du Paps – diese spürbare Liebe löst alle irdischen Ängste, Nöte und Sorgen im Licht auf! Meine Liebe fließt stärkend zu Dir! Vertrau mir. Ich wünsche Dir von ganzem Herzen das Du frei, friedlich und gut die Ebene wechseln kannst! Ohne Schmerzen! Ohne Kampf! Ohne schweres Gepäck! Paps – ich will das Allerbeste für Dich! Ich bete für Dich – weil ich Dich liebe – es mit weh tut –Deine Schmerzen zu sehen, mitzuerleben! Hilflosigkeit als Wegbegleitung zu fühlen.. Mit all meiner Kraft möchte ich Dich beschützen!“
Ruhiger gleichmäßiger Atem antwortet mir. Die durchwachte Nacht ist ein Stück geteilte Ewigkeit! Momente ausgefüllt von Liebe. Friedlicher Entspannung. Durchrissen von extremen hautnahen Schmerzphasen. Morgengrau klopft mit zwei funkelnden Sternen freundlich grüßend an unser Fenster! „Papschi – der Begleitstern hat Zuwachs bekommen“ Aufmunternd blinken leuchten sie zu uns!“ Trete an die wachsende Lichtquelle. „Paps – exakt bei uns!“ Sanft streift der unsichtbare Gast draußen den endlosen Korridor entlang. Klopft er an eine Türe? Nahe oder weit? Lese Textpassagen aus „Wege ins Licht“ meinem Vater vor!
Herzlich verbunden mit der Hand des Anderen – beginnt ein neuer Hoffnungstag! Gott begleitet uns fürsorglichst spürbar. Deshalb kann ich mich vertrauensvoll von meiner Mama ablösen lassen! 24 Stunden sollen notdürftig überbrückt werden. Zuhause ein warmes Bad – für die starren schmerzenden Knochen und Muskeln. Rundruf bei meinem Gebetskreis. Bitte um heilsamen Beistand für meinen Paps! Als ich im Bett müde Schlaf finden will – höre ich seine Seele rufen! Döse für einen kleinen Moment. Seine Seelenstimme spricht deutlicher! Sanft energievoll steht er neben mir. Springe auf, ziehe mich an und fahre mit dem Taxi ihm! Hoffnungslos traurig empfangen mich die Augen meiner Mutter. Verblüfft – das ich bereits da bin. Worte suchen formend die Wiedergeburt. Insbesondere diese trostlose todgeweihte Situation setzt Mutter zu. Kraftlos traurig verabschiedet sie sich bis morgen... Ergreife liebevoll die Hand meines Vaters. Fülle die Stille mit Erinnerungen auf. Spreche mit ihm über den tragischen Unfalltod meines Bruders. Er wusste als EINZIGER von der Vergewaltigung und der versuchten Tötung des Täters an mir. Viel Leid folgte damals diesen dramatischen Ereignissen. Furcht zog breite Lebensbahnen! Zeichnete uns!
In diesem Erzählmoment umarmt Gott uns bewusst voller Liebe! Gütigst nimmt er das schwere Seelengepäck von den niedergedrückten Menschenschultern. Heilend gleitet seine fließende Energie um die Körper. „Paps – ich liebe Dich und sage DANKE, für alle Erfahrungen die wir teilten. DANKE – für die positiven Lebensbereicherungen! Danke – für Deine indirekten und direkten Aufgaben an mich. Einiges löste ich erstklassig.
Schön, das Du für mich da warst – als die Vergewaltigungsgeschichte in mir hochgekommen ist. Wie ein Orkan an einem still-harmonisch sonnigen Tag. Viele Lebensaugenblicke beschwingten wir mit der ganzen Spannbreite der lebbaren Vielfalten. Kleine- und große Glückszeitgeschenke überreichte ich Dir!“
Friedvolle Ruhe entfaltete sich wie eine blühende Rose! Der unsichtbare Gast kommt still als Freund, nicht als Feind zur Tür herein! Frieden und Liebe aus einer lichtvollen Dimensionen breiten Ihre wunderbaren Flügel aus. Zärtlich ergreift er die Hand meines Vaters. Atemlose Stille! Tränen lösen sich von meinem Herzen und fließen an meinem Gesicht entlang.
Abschiede – sind selten willkommen.
Schwestern kommen – holen die Ärztin – Exitus.
Verständige telefonisch auf dem Korridor meine Familie. Rufe die Seelsorgerin für das wichtige Licht-Ritual des Erden-Abschied-Nehmens an! Kerzenlicht – leuchtet das neue andere Gesicht meines Paps aus! Zärtlich streichle ich seine gefalteten Hände. .Bleibe längere Zeit bei ihm. Bereichere seine Hülle in diesem gegenwärtigen Moment mit Liebe – als kleine Wegzehrung für sein neues – mir unbekanntes - wunderschönes Reiseziel!.
Ich wünsche Dir das Allerbeste!!
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.06.2020.
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